MONITOR vom 12.11.2020

Hochgiftige Pestizide: In Europa verboten – in die Welt exportiert

Bericht: Elke Brandstätter, Andreas Maus

Hochgiftige Pestizide: In Europa verboten – in die Welt exportiert Monitor 12.11.2020 07:14 Min. UT Verfügbar bis 12.11.2099 Das Erste Von Elke Brandstätter, Andreas Maus

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Hochgiftig, toxisch, lebensgefährlich. Stoffe, die ein solches Zeichen tragen, sollten in der Regel nicht in die Umwelt gelangen, schon gar nicht in den menschlichen Körper. Deshalb sind viele solcher Stoffe in Europa nicht zugelassen. Was viele Unternehmen nicht davon abhält, sie hier zu produzieren, um sie dann zu exportieren. Meistens in die ärmeren Länder der Welt, wo ein Menschenleben offenbar weniger wert ist als bei uns – zumindest, wenn es nach aktuellen, deutschen und europäischen Exportregeln geht. Elke Brandstätter und Andreas Maus über einen ganz legalen Umweltskandal, bei dem ein deutsches Unternehmen ganz vorne mit dabei ist.“

Unterwegs im nördlichen Chile – im Valle del Elqui. Das Tal ist fruchtbar, viele Menschen leben von der Landwirtschaft. Vor allem Weintrauben werden hier angebaut und mit Pestiziden behandelt. Nathalie Castex lebt mit ihrer Familie hier in der Gegend. Plötzlich wurden ihre Kinder krank, direkt nachdem Traktoren Pestizide verspritzt hatten. Beim nächsten Mal filmte sie es mit ihrem Handy.

Nathalie Castex (Übersetzung Monitor): „Um fünf Uhr morgens haben meine Kinder heftig aus der Nase geblutet – einfach so, ohne dass es heiß war, als wenn sie keine Luft mehr bekommen. Ich erinnere mich an die Augen von meinem Sohn Lucas, sie waren rot, total rot. Das versetzte mich in Schock, denn danach begannen zusätzlich zu den entzündeten Augen auch die Kopfschmerzen. Meine 10-jährige Tochter bekam sehr starke Kopfschmerzen, Erbrechen und Durchfall.“

Nathalie begann nachzuforschen, nahm Kontakt auf mit lokalen Gruppen und bekam Hinweise, warum ihre Kinder krank geworden sein könnten.

Reporterin (Übersetzung Monitor): „Von welchen Chemikalien hast du damals erfahren?“

Nathalie Castex (Übersetzung Monitor): „Dormex. Mir wurde ganz direkt von Dormex erzählt, durch eine Person, die dort arbeitet.“

Reporterin (Übersetzung Monitor): „Haben sie dir erzählt, dass sie Dormex verwendeten?“

Nathalie Castex (Übersetzung Monitor): „Ja, dass sie Dormex einsetzten.“

Dass die Symptome ihrer Kinder auf diesen Stoff zurückzuführen sind, lässt sich nicht nachweisen. Doch viele Menschen in der Region berichten von solchen und anderen Schädigungen.

Werbespot: „Dormex, better fruit starts here.“

Produziert wird Dormex in Deutschland. Im bayerischen Trostberg hat der Hersteller AlzChem seinen Sitz. 7.000 Tonnen Dormex hat AlzChem im Jahr 2018 exportiert. Das Mittel wird als Wachstumsregulator eingesetzt, oft bei Trauben oder auch Kiwis. Damit die Pflanzen früher und gleichmäßig blühen. Dormex besteht zur Hälfte aus dem Wirkstoff Cyanamid. Einem Stoff, der laut Datenblatt der Europäischen Chemikalienagentur als giftig beim Verschlucken gilt. Er kann zu Allergien, Hautverbrennungen und schweren Augenschäden führen. Zudem steht Cyanamid im Verdacht

Zitat: „Krebs zu verursachen”

und

Zitat: „die Fruchtbarkeit sowie das ungeborene Leben zu schädigen.”

In Süditalien hat das Mittel vor Jahren zu zahlreichen Vergiftungsfällen geführt. Danach wurde die Zulassung zunächst ausgesetzt – und später in der EU grundsätzlich nicht verlängert.

Jörn Wogram, Umweltbundesamt: „Das beteiligte Bundesinstitut für Risikobewertung und das Umweltbundesamt sind zu dem Schluss gekommen, dass eine Genehmigung von Cyanamid in der europäischen Union nicht möglich ist, weil sehr hohe Risiken für die Anwender des Mittels, für Verbraucher über Rückstände auf dem Erntegut, aber auch über Belastungen des Grundwassers zu befürchten sind.“

Die Verwendung von Cyanamid als Wachstumsregler ist in der EU also nicht mehr möglich, der Export dagegen schon. AlzChem etwa exportiert Dormex weltweit – nach Chile zum Beispiel. Auf Anfrage von MONITOR antwortet AlzChem, konkrete Vergiftungsfälle seien der Firma dort nicht bekannt. Grundsätzlich könne ein gesundheitliches Risiko für Anwender aber zuverlässig ausgeschlossen werden. Voraussetzung sei ein Einsatz

Zitat: „… gemäß den Anforderungen auf dem Etikett des Produkts und den zugehörigen Sicherheitsblättern”.

Deshalb schule man die Anwender entsprechend. Maria Rozas hat letztes Jahr einen Report über Pestizid-Auswirkungen in Chile veröffentlicht. Sie kennt diese Argumentation von Unternehmen – und glaubt nicht daran.

Maria Elena Rozas (Übersetzung Monitor): „Wenn das so wäre, würden sie in Europa weiterhin eingesetzt, denn dort gibt es mehr Richtlinien, die Menschen dort halten sie eher ein als in Ländern wie Chile, in denen es Probleme wie Analphabetismus und Armut gibt.“

Und Cyanamid ist nur eine Substanz von vielen. Eine ganze Reihe gefährlicher Pestizide sind in der Europäischen Union nicht zugelassen. Und werden trotzdem aus der EU heraus weltweit exportiert. Wie groß das wirkliche Ausmaß dieser Pestizid-Exporte aus der EU ist, das enthüllt jetzt zum ersten Mal eine gemeinsame Untersuchung der Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen Public Eye und Unearthed. Monatelang haben die NGOs Tausende Export-Dokumente analysiert. Die müssen Unternehmen einreichen, wenn sie Stoffe exportieren wollen, die in der EU nicht zugelassen sind.

Laurent Gaberell, NGO Public Eye (Übersetzung Monitor): „Was wir herausgefunden haben, ist ziemlich schockierend. Denn wir sprechen hier nicht über eine, zwei oder drei spezifische Chemikalien. Wir reden über mehr als 40 Pestizide, die für den Einsatz in der EU zu gefährlich sind.“

Es geht um 41 Stoffe, Substanzen, die für Mensch und Umwelt gefährlich sind. Die exportierte Menge belief sich insgesamt alleine in 2018 auf 81.000 Tonnen – ein Milliardengeschäft. Deutsche Unternehmen insgesamt liegen den Daten zufolge bei den Exporten an dritter Stelle. Neben AlzChem sind auch die Chemieriesen Bayer und BASF darunter. Die Unternehmen betonen auf Anfrage von MONITOR, man halte sich an alle Vorschriften. Die Stoffe seien in den Empfängerländern zugelassen und bei richtiger Anwendung ungefährlich. Tatsächlich? Ein Großteil der Exporte gehe vor allem in ärmere Länder, sagt Baskut Tuncak – in Länder mit schwächeren Schutzstandards. Der ehemalige UN-Berichterstatter für Pestizide wirft den Unternehmen Doppelmoral vor.

Baskut Tuncak, Ehem. UN-Sonderberichterstatter für toxische Stoffe (Übersetzung Monitor): „Die Staaten sollen damit aufhören, Stoffe zu exportieren, die bei Ihnen verboten sind. Sie sollten diese Schlupflöcher schließen und dafür sorgen, dass die Unternehmen innerhalb ihres Rechtsraumes nicht in der Lage sind, durch den Verkauf dieser zweifellos giftigen, schädlichen Pestizide und anderer Industriechemikalien Bevölkerungsgruppen anderswo auszubeuten.“

Die Bundesregierung weist auf MONITOR-Anfrage jede Verantwortung von sich. Für die Zulassung außerhalb der EU seien die jeweiligen Staaten zuständig. Der Export hochgiftiger Pestizide kann also weitergehen.

Georg Restle: „Was zu befürchten ist.“

Kommentare zum Thema

  • Ralf Dieter 15.11.2020, 18:04 Uhr

    Zitat: "Der Schutz des Lebens hat für uns als Christdemokraten eine überragende Bedeutung", ist auf cdu.de zu vernehmen. Und dass soll für geborenes so wie für ungeborenes Leben gelten. Dass das aber nciht so ganz stimmt, konnte man spätestens im Monitor-Beitrag vom 15.11.2018 "Hochgiftig und trotzdem zugelassen: Pestizide in der EU" erfahren. Heuchlerischer gehts es wohl nicht mehr. Da verdrängt die CDU wissentlich, das der Fötus im Mutterleib genauso (manchmal sogar noch schlimmer) von Pestiziden bedroht sein kann, wie die Mutter selbst. Egal ob in Deutschland, der EU oder im Ausland. Für die CDU ist der deutsche Export Erfolg von Pestiziden wichtiger, als der Schutz menschlichen Leben. so viel zur christlichen Skrupellosigkeit. Da will ich aber die SPD nciht in Schutz nehmen, die ist da auch nicht viel besser.

  • Aga Bellwald 14.11.2020, 13:34 Uhr

    Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Abstimmung vom 29. November zur Konzernverantwortungsinitiative KOVI ist das von Euch behandelte Thema topaktuell. Neben MR- Verletzungen kommt auch der Einsatz von bei uns verbotenen Pestiziden zur Sprache. "Polo" von Syngenta, einst Ciba-Geigy, mit dem Wirkstoff Diafenthiuron, ist so ein Beispiel. Es verursacht schwere gesundheitliche Schäden, bspw. Blindheit, oder es kann tödlich wirken. In der CH ist dieses Mittel verboten. Im indischen Bundesstaat Maharashtra, Distrikt Yavatmal, kommt "Polo" nach wie vor zum Einsatz, ohne dass die Bauern über dessen Wirkung Bescheid wissen, weil sie oft die Anwendungsbeilagen nicht verstehen. Schutzanzüge? Fehlanzeige. Mit einem JA zur KOVI versuchen wir in der Schweiz, das zu ändern. Es darf nicht sein, dass aus lauter Profitgier die Menschen im Süden solchen Giften ausgesetzt werden, die bei uns mittlerweile aus dem Handel genommen wurden. Gesundheit gilt für alle Menschen, nicht bloss für uns im Norden.

  • Hans-Peter Karrer 13.11.2020, 21:12 Uhr

    Sehr geehrte Damen und Herren, Laurent Gaberell, NGO Public Eye (Übersetzung Monitor): „Was wir herausgefunden haben, ist ziemlich schockierend. Denn wir sprechen hier nicht über eine, zwei oder drei spezifische Chemikalien. Wir reden über mehr als 40 Pestizide, die für den Einsatz in der EU zu gefährlich sind.“ Ich bedanke mich für den Beitrag von Monitor über NGO Public Eye. In der Schweiz läuft zur zeit die Konzernverantwortungsinitiative am 29. 11.2020 zur Abstimmung. Die abstoßenden Machenschaften von Glencore und Syngenta müssen endlich ein Ende haben, verantwortliche Manager und Politiker müssen zwingend auf die Anklagebank. Mit freundlichen Grüßen Hans-Peter Karrer