MONITOR vom 08.07.2021

Schattenkrieger: Das geheime Netzwerk der „Hammerskins“

Bericht: Johanna Hemkentokrax, Axel Hemmerling, Julia Regis, Jochen Taßler

Schattenkrieger: Das geheime Netzwerk der "Hammerskins" Monitor 08.07.2021 07:56 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Johanna Hemkentokrax, Axel Hemmerling, Julia Regis, Jochen Taßler

Hier finden Sie ab Freitagnachmittag den vollständigen Beitragstext.

Georg Restle: "Und jetzt zu dieser Truppe. Bilder von einem Geheimkonzert einer der gefährlichsten Neonazi-Vereinigungen weltweit. Sie agieren im Verborgenen, sie sind schwer bewaffnet, sie trainieren für den großen Umsturz. "Hammerskins" nennen sie sich, und sie sind auch in Deutschland sehr aktiv. Ihre Spuren reichen bis zu rechtsextremistischen Terror-Organisationen wie dem NSU. Warum um Himmels Willen wird eine solche Organisation in Deutschland nicht verboten? Und wer hält da seine schützende Hand über solch gefährliche Rechtsextremisten? Exklusive Recherchen – gemeinsam mit dem MDR – über einen Geheimbund, der das Licht der Öffentlichkeit scheut."

Diese Bilder sollte es eigentlich nicht geben. Heimlich aufgenommen bei einem geheimen Neonazi-Treffen.

Rufe: "Sieg Heil – Sieg Heil!”

Das Video wurde der Rechercheplattform "Exif" zugespielt. Wer hier dreht, begibt sich in Lebensgefahr. Denn hier feiern die "Hammerskins" – eine der gefährlichsten Neonazi-Organisationen überhaupt. Weltweit sind sie für unzählige Gewalttaten verantwortlich.

Prof. Matthias Quent, Soziologe, Hochschule Magdeburg-Stendal: "Die Ideologie der Hammerskins ist die der weißen Vorherrschaft und Überlegenheit. Es ist die des Kampfes für die weiße Rasse, wie sie selber sagen. Es ist eine extrem rassistische Ideologie, um einen vermeintlichen Rassenkrieg zur Bewahrung der Dominanz der Weißen in der Welt."

Die Hammerskins sind verschwiegen, diszipliniert und weltweit vernetzt. Auf verschiedenen Kontinenten gibt es regionale Gruppen, sogenannte Chapter. Allein in Deutschland sind es 13, mit rund 150 Mitgliedern und vielen Unterstützern. Die deutschen Sicherheitsbehörden beobachten die Hammerskins. Und schätzen sie als gefährlich ein.

Stephan J. Kramer, Präsident Verfassungsschutz Thüringen: "Gefährlich macht sie diese, ja fast schon Clan-Organisation. Also was wir aus der organisierten Kriminalität kennen. Verschwiegenheit, sehr konspirativ, alles sozusagen abgesichert nach außen."

Trotzdem bleiben die Hammerskins seit Jahren erstaunlich unbehelligt. Im aktuellen Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz tauchen sie nicht einmal auf. Dabei zeigen Recherchen von MDR und MONITOR, Hammerskins gehören zu den am besten vernetzten Rechtsextremen. Viele von ihnen sind bewaffnet. Regelmäßig posten sie Bilder von sich bei Schießtrainings. Und sie fallen immer wieder mit illegalem Waffenbesitz auf. Bei einem Hammerskin aus Norddeutschland wurden 2011 zum Beispiel eine Maschinenpistole und 200 Schuss Munition gefunden. In einem Verfahren gegen sächsische Hammerskins tauchten Bilder von Mitgliedern mit schweren Waffen auf. Und bei Razzien gegen portugiesische Hammerskins stellte die Polizei 2016 ein ganzes Waffenarsenal sicher. In den USA ist ein Hammerskin sogar schon zum Terroristen geworden. 2012 stürmte ein Mitglied der Neonazi-Organisation einen Sikh-Tempel in Wisconsin. Er erschoss sechs Menschen und verletzte vier weitere schwer. Und auch in Deutschland haben Hammerskins Verbindungen zu rechtem Terror. Bis tief hinein ins Umfeld des NSU, der mindestens zehn Menschen ermordete.

Martina Renner (Die Linke), Mitglied des Bundestages, Innenausschuss: "Das Kerntrio wusste in dem Moment, wo sie untertauchen mussten, ganz genau, an wen sie sich wenden können, wenn es darum geht, Geld zu beschaffen, eine Wohnung, Fahrzeuge, Waffen. Und da spielen auch Hammerskins an vielen Stellen eine Rolle. Wir haben das auch in den Akten gesehen."

Mehrere Hammerskins fielen durch NSU-Nähe auf. Etwa dieser Mann, hier auf einer Corona-Demo in Berlin im November 2020. Thomas Gerlach, ein Hammerskin aus Thüringen. Gerlach ist seit Jahrzehnten eng vertraut mit Ralf Wohlleben. Dem Mann, der dem NSU eine Waffe beschafft hat und wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurde. Gemeinsam mit ihm organisierte Gerlach schon in den 2000er Jahren große Rechtsrock-Konzerte in Thüringen. Gerlach musste gleich mehrfach im NSU-Prozess aussagen, weil er sich genau in dem Umfeld bewegte, von dem der NSU jahrelang gedeckt wurde. Und er war nicht der einzige. Auch andere Hammerskins tauchen in den NSU-Akten auf. Haben also auch die Hammerskins als Gruppe den NSU unterstützt? Dieser Frage sind Behörden und Gericht offenbar nie konsequent nachgegangen. Trotz vieler Verbindungen kamen die Hammerskins unbeschadet davon. Das ist umso erstaunlicher, weil es nicht das erste Mal war. Als im Jahr 2000 mit "Blood & Honour" die andere große Neonazi-Struktur in Deutschland verboten wurde, wurde auch ein Verbot der Hammerskins geprüft. Aber anders als bei "Blood and Honour” passierte nichts. Das Bundesamt für Verfassungsschutz behauptete damals, die Hammerskins seien kleiner und hätten

Zitat: "… weniger stark ausgeprägte Strukturen …".

Eine fragwürdige Argumentation angesichts ihrer weltweiten Vernetzung. Vielleicht war also eher ein anderes Argument entscheidend. Wichtige Infos über die Hammerskins stammten

Zitat: "… aus dem Einsatz von V-Personen …",

ließ der Verfassungsschutz wissen. Sie seien deshalb

Zitat: "… als Verschlusssache eingestuft und unterliegen dem Quellenschutz."

Im Klartext, der Verfassungsschutz hatte Spitzel bei den Hammerskins. Um sie zu schützen, hielt er Informationen zurück. Ein Verbot war deshalb offenbar nicht möglich. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt uns auf Anfrage, Verbote seien Sache der Politik. Man schaffe dafür nur die Grundlage. Ein

Zitat: "…etwaiger Einsatz von Vertrauensleuten…”

stelle dabei aber

Zitat: "…kein Hemmnis dar…”.

Aber behindern V-Leute intensivere Ermittlungen? Inzwischen ist bekannt, dass es mindestens drei Spitzel bei den Hammerskins gab. Ob auch heute noch, ist ungewiss. Auffällig ist aber, die Zurückhaltung der Behörden im Umgang mit den Hammerskins ist geblieben.

Martina Renner (Die Linke), Mitglied des Bundestages, Innenausschuss: "Es gibt zwei mögliche Begründungen für diese Zurückhaltung. Das eine wäre, dass Quellenschutz über die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden und das öffentliche Interesse nach adäquater Information gestellt wird. Und die zweite Möglichkeit wäre, dass einfach seitens der Verfassungsschutzbehörden eine mangelhafte Analysekompetenz vorliegt. Ob es jetzt Quellenschutz ist oder Inkompetenz, ich kann es nicht entscheiden."

Jahrzehntelang haben die Sicherheitsbehörden zugelassen, dass die Hammerskins Strukturen aufbauen, obwohl sie Waffen besitzen, obwohl sie Verbindungen zu rechtem Terror haben. Dabei sind es genau solche Gruppen, denen der Bundesinnenminister eigentlich den Kampf angesagt hat. Gerade erst lobte er sich wieder für sein hartes Durchgreifen gegen rechtsextreme Gruppierungen.

Horst Seehofer: "Solche Zusammenschlüsse haben in unserer freiheitlichen Gesellschaft keinen Platz."

Klingt entschlossen. Für die Hammerskins gilt es offenbar nicht.

Georg Restle: "Geschichten und Recherchen wie diese zeigen auch, warum politische Magazine in der ARD so wichtig sind. Weil sie Licht dorthin bringen, wo sonst keiner genauer hinschaut. Und weil uns das so wichtig ist, haben wir gemeinsam mit dem MDR einen ausführlichen Film dazu gemacht, den Sie am Montag um 21:50 exklusiv im Ersten sehen können."

Kommentare zum Thema

  • Anonym 15.07.2021, 13:48 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • Aga Bellwald 10.07.2021, 14:11 Uhr

    Danke für diesen eindrücklichen Bericht über die HS. Ich füge noch an, dass bei den Schweizer Hammerskins 1990 das erste Chapter in Europa gegründet worden war durch Carlo "Gary" Albisser und Patrick Iten. Die Schweiz hat eine wichtige Funktion in der internationalen Vernetzung: Betreuung des Crew 38 (38 steht für Crossed Hammers). Ist ein offizielles Unterstützern-Netzwerk, in welchem sich Sympathisanten engagieren, bevor sie als "Hang around" den definitiven Aufnahmeprozess beginnen. Im Berner Oberland hat sich der Grossteil der ehemaligen PNOS-Führungsriege rund um Mario Friso mittlerweile den HS zugewandt. PNOS steht für "Partei National Orientierter Schweizer. Quelle: Antifa Bern

  • Hilde Peters 09.07.2021, 14:00 Uhr

    Irgendetwas stimmt nicht mit unserer Angst. Wir haben Angst vor Spinnen, vor Prüfungen und vor Viren. Aber nicht vor Faschismus, Terror und Gewaltherrschaft.