MONITOR vom 20.10.2016

Gekaufte Expertise: Wie ein industrienaher Gutachter seit Jahrzehnten die Politik beeinflusst

Bericht: Jochen Taßler, Kim Otto

Gekaufte Expertise: Wie ein industrienaher Gutachter seit Jahrzehnten die Politik beeinflusst Monitor 20.10.2016 07:13 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Wenn in Deutschland Gesetze gemacht werden, spielen Sachverständige eine ganz entscheidende Rolle. Klar, Politiker können nicht alles wissen, und deshalb holt man sich Rat von außen. Unabhängig sollte der natürlich sein - vor allem, wenn es um so wichtige Fragen wie unsere Gesundheit geht. Davon kann bei dem Mann, über den wir jetzt berichten, allerdings kaum die Rede sein. Ob Dieselabgase, Holzschutzmittel oder Glyphosat, seit Jahrzehnten taucht im Bundestag und vor Gerichten ein und derselbe unabhängige Sachverständige auf und gibt regelmäßig Entwarnung. Schon 1994 kam MONITOR dem hochdekorierten Wissenschaftler auf die Schliche, der von einem ehemaligen Staatsanwalt als „Falschgutachter“ bezeichnet wird, und der erstaunlich enge Verbindungen zur Industrie hat - und das bis heute.“

Das Große Bundesverdienstkreuz. Mehr Ehre geht kaum in Deutschland. Dieser Mann bekommt es für seine Leistungen zum Schutz von Mensch und Umwelt. Prof. Helmut Greim, heute 81, Wissenschaftler, Toxikologe. Einer, der herausragt. Wenn in Deutschland entschieden wurde, wie gefährlich Stoffe sind: Greim war mittendrin. Hat die Debatte über Jahrzehnte mitgeprägt. Gerne getreu der Maxime: alles halb so wild. Ob in Bundestagsausschüssen, Expertenkommissionen, Interviews oder Talkshows.

Prof. Helmut Greim, Toxikologe: „mit den 40 Mikrogramm und 200 Mikrogramm kann man gut leben“ - „Absurd, das einzustufen als karzinogen für den Menschen“ - „das wird schon sehr viel spekuliert, was hier vorgetragen wird.“

Greim zeigte klare Kante: Stickoxide - kein Problem. Glyphosat - nicht krebserregend. Dioxin - harmlos. PCB - kaum schädlich.

Prof. Erich Schöndorf, Umweltrechtler: „Es war immer das Gleiche, überall, wo es um giftige Stoffe ging, hat Greim Entwarnung signalisiert. Es war alles ungiftig.

Oliver Krischer, MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Stellv. Fraktionsvorsitzender: „Er ist vor allen Dingen immer dann präsent, wenn Industrieinteressen im Raume stehen, weil hier bestimmte Stoffe verboten werden sollen oder ihre Nutzung eingeschränkt werden soll. Greim taucht immer dann auf, wenn es darum geht, die Wirkung von Stoffen zu beschönigen, vor allem immer dann, wenn es gegen die Industrie geht, wenn es um Gesetze geht.“

2015 etwa. Landwirtschaftsausschuss im Deutschen Bundestag. Greim ist als unabhängiger Sachverständiger geladen. Es geht um Glyphosat, den Wirkstoff in vielen Pflanzenschutzmitteln. Weltweit eingesetzt und seit Jahren umstritten. Das Krebsforschungsinstitut der WHO hat Glyphosat gerade als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Greim gibt Entwarnung.

Prof. Helmut Greim, Toxikologe: „Ich muss sagen, ich habe eigentlich überhaupt kein Verständnis über die ganze Aufregung. Es ist nicht krebserzeugend.“

In einer eigenen Studie zu den Krebsgefahren von Gyphosat arbeitete er mit einem ungewöhnlichen Co-Autoren: David Saltmiras, ein Mitarbeiter von Monsanto, dem größten Hersteller von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln. Ganz im Sinne des Konzerns kommt die Studie zu dem Schluss, Glyphosat sei eher harmlos. Für seine Expertise ist Greim von Monsanto bezahlt worden. Die Ergebnisse habe das aber nicht beeinflusst, sagt er.

Prof. Helmut Greim, Toxikologe: „Es ist so. Das ist Fakt. Und nicht entspricht Monsantos Wünschen. Sondern das ist nun mal zufällig, haben Sie Glück gehabt, dass was da zusammengestellt ist, dass das eben negativ ist.“

Reporter: „Aber Sie haben sich eben schon bezahlen lassen.“

Prof. Helmut Greim, Toxikologe: „Ja, ich hab es ja gesagt: Würden Sie vielleicht irgendwas tun, ohne dass Sie bezahlt werden? Nur für die freundlichen Augen.“

Oliver Krischer, MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Stellv. Fraktionsvorsitzender: „Wer bezahlte Aufsätze für den Agrarkonzern Monsanto schreibt, der kann in meinen Augen kein unabhängiger Gutachter im Bereich Glyphosat und Pflanzenschutzmittel sein.“

Wie kommt so jemand als unabhängiger Sachverständiger in einen Bundestagsausschuss? In diesem Fall wurde Greim von der CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagen. Mit seiner Vita hatte man sich aber offenbar nicht wirklich befasst.

Hermann Färber, MdB (CDU), Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft: „Die Wissenschaftler, die wir von der Union einladen, die sind unabhängig, sonst würden wir sie gar nicht einladen.“

Reporter: „Nun, aber Herr Greim wird von Monsanto bezahlt und übernimmt 1:1 die Positionen von Monsanto. Da kann man ja schlecht davon sprechen, dass er unabhängig ist.“

Hermann Färber, MdB (CDU), Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft: „Da kann ich Ihnen jetzt so aus dem Stehgreif raus auch nichts dazu sagen. Ich möchte auch jetzt wirklich … wir müssen uns auf die aktuellen Dinge fokussieren. Ee ist auch nicht entscheidend, was der Herr Greim sagt, sondern entscheidend ist, was die Bewertungsbehörden sagen.“

Dabei hätte man eine gewisse Industrienähe durchaus erahnen können. MONITOR ist Greim schon 1994 aufgefallen. Es ging um giftiges PCB in Holzschutzmitteln. Zehntausende Menschen waren dadurch krank geworden. Verhandelt wurde der Skandal in einem der größten Umweltprozesse in Deutschland. Greim trat dort als Sachverständiger auf und führte die Schädigungen ganz herstellerfreundlich auf andere Faktoren zurück.

Prof. Erich Schöndorf, ehem. Staatsanwalt im Prozess: „Er war ein Falschgutachter. Er hatte die Bezeichnung Sachverständiger/Gutachter nicht verdient. Er stand erkennbar auf Seite der Hersteller und hatte mit objektiver Wissenschaftlichkeit nichts im Sinn.“

So jedenfalls der damalige Staatsanwalt. Greim weist das zurück. Und seine Karriere lief weiter gut, auch in zahlreichen EU-Expertenkommissionen. Mit der vorgeschriebenen Kennzeichnung seiner Verbindungen zur Industrie nahm er es dabei nicht immer so genau. Bei den Angaben für ein wichtiges Expertengremium der EU-Kommission vergaß er zum Beispiel, dass er auch für Forschungsreinrichtungen tätig war, die maßgeblich von der Chemie- und Autobranche finanziert wurden.

Reporter: „Ich hab das ja hier. Und das ist abgefragt worden. Und das waren Ihre Angaben. Und da haben Sie diese …

Prof. Helmut Greim, Toxikologe: „Von … von wann?“

Reporter: „Ja, einmal 2008 und dann wieder 2011, Ihre Deklaration.“

Prof. Helmut Greim, Toxikologe: „Also da muss ich nachgucken, ob ich da noch in diesen … bei diesen Institutionen war.“

Wir haben nachgeguckt. Laut eigenem Lebenslauf war er noch drin.

Im Lauf der Jahre kommen so einige industrienahe Einrichtungen zusammen, die er nicht oder nicht immer angab. Auch in der aktuellen Debatte zu Stickoxiden aus Diesel-Motoren vertritt Greim industriefreundliche Positionen. Vielleicht hat es auch mit diesem Verein zu tun - der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor. Hier ist Greim Vorsitzender des Forschungsbeirates. Gegründet wurde der Verein von Daimler, BMW, Volkswagen und Bosch - geforscht wird unter anderem zu Stickoxiden. Ausgerechnet zu diesem Thema trat Greim auch als Sachverständiger im Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages auf. Und wendete sich im Sinne der Industrie gegen schärfere Grenzwerte.

Reporter: „Jetzt haben Sie im Ausschuss - in Bezug auf die Abgase - haben Sie ja gerade die Position übernommen.“

Prof. Helmut Greim, Toxikologe: „Habe ich nicht! Ich habe die wissenschaftliche Position übernommen und nicht die von der Automobilindustrie.“

Reporter: „Die sich aber deckt.“

Prof. Helmut Greim, Toxikologe: „Na und? Das kann ja sein.“

Das Bundesverdienstkreuz hat Greim übrigens auch bekommen, weil seine Politikberatung „nicht interessengeleitet“ sei. Ehre, wem Ehre gebührt.

Kommentare zum Thema

  • Lars Baumstark 01.02.2018, 13:22 Uhr

    Und es kommt noch toller: Besagter Hr. Greim war auch Vorsitzender der EUGT, die bis zu ihrer Auflösung gegen Bezahlung der dt. Autoindustrie die NOx Abgasversuche an Testpersonen in Aachen durchführen lassen hat. Quelle: Deutschlandfunk Streitgespräch gestern Abend, ca. 19:30.

  • Luzie Flach-Siebenlist 31.01.2018, 19:30 Uhr

    DANKE für eure klasse Recherchearbeit!! Bitte weiter so!

  • Hans-Günther Haase 31.01.2018, 07:22 Uhr

    Gutachten fallen immer positiv für den Besteller aus. Anders rum wäre es ja auch ein Witz!