MONITOR vom 15.11.2018

CDU-Hoffnungsträger: Wie gerecht ist Friedrich Merz?

Bericht: Nikolaus Steiner, Steen Thorsson

CDU-Hoffnungsträger: Wie gerecht ist Friedrich Merz? Monitor 15.11.2018 04:50 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Nikolaus Steiner, Steen Thorsson

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Georg Restle: „Prügelnde Polizeibeamte. Dieses Video zeigt, wie ein völlig unbescholtener Bürger von deutschen Polizisten getreten und misshandelt wird. Nur zufällig aufgenommen von Videokameras in einem Hausflur. Alles andere als ein Einzelfall leider, und deshalb berichten wir heute auch darüber. Guten Abend und willkommen bei Monitor. Zunächst aber zu diesem Mann: Friedrich Merz. Gut möglich, dass Merkels ehemals schärfster Widersacher bald ihr Nachfolger wird. Ein Mann der klaren Worte ist er jedenfalls. Die AfD bezeichnet er als „offen-nationalsozialistisch“ und will deren Wähler so schnell wie möglich wieder zur CDU zurückholen. Darauf hoffen viele in seiner Partei - auch heute bei der ersten Regionalkonferenz in Lübeck, bei der sich die Kandidaten für den Parteivorsitz schon mal der Basis präsentierten. Bleibt nur noch die Frage, für welches Programm steht Merz eigentlich? Nikolaus Steiner und Steen Thorsson.“

„Messias“, „Hoffnungsträger“, „Bundeskanzler“, heißt es in den Medien - Friedrich Merz. Merkels Gegenspieler soll die CDU wieder zu alten Erfolgen führen.

Friedrich Merz, 31.10.2018: „Ich bin von meiner ganzen Überzeugung und Neigung her ein wirtschaftsliberaler, ein wertkonservativer und sozialpolitisch engagierter Mensch.“

Wirtschaftsliberal. Sozialpolitisch engagiert. Wofür steht Friedrich Merz? Um das zu verstehen, muss man 18 Jahre zurückgehen. Im Jahr 2000 beginnt der Aufstieg von Merz. Er wird Fraktionsvorsitzender der CDU. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland steigt in diesen Jahren auf über vier Millionen, die Wirtschaft schwächelt. Merz fordert deshalb radikale Arbeitsmarktreformen.

Friedrich Merz im Bundestag, 04.07.2002: „Wir wollen den Niedriglohnsektor in Deutschland mobilisieren. Wir wollen die Zeitarbeit entbürokratisieren. Wir wollen befristete Arbeitsverträge ermöglichen. Wir wollen im Kündigungsschutzrecht ein Optionsmodell einführen, insbesondere für ältere Arbeitslose.“

Das, was Merz forderte, wurde dann größtenteils von Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 umgesetzt. Für Merz bis heute ein Meilenstein.

Friedrich Merz, 11.05.2017: „Die Agenda 2010 für sich genommen ist doch unbestreitbar ein großer Erfolg für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland.“

Ein großer Erfolg? Arbeitsmarktexperten sehen das ganz anders.

Stefan Sell, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Hochschule Koblenz: „Offensichtlich glaubt Herr Merz immer noch, dass die alten Rezepte, nämlich Sozialstaatsabbau, Deregulierung, Privatisierung gerade im Sozialbereich, wofür ja die Agenda 2010 steht, dass das ein großes Erfolgsrezept war und auch weiterhin ist.“

Und heute? Die Schattenseiten des Wirtschaftsbooms. Deutschland hat mittlerweile den größten Niedriglohnsektor Westeuropas. Etwa jeder Vierte arbeitet für einen Stundenlohn unter 10,50 Euro brutto. Die Schere bei Vermögen und Einkommen geht seit Jahren immer weiter auseinander, die Wohlhabenden werden reicher, die ärmeren Teile der Bevölkerung haben immer weniger. Und Friedrich Merz - wie will er soziale Gerechtigkeit schaffen? Beim CDA, dem Arbeitnehmerflügel der CDU, befürchten sie eine weitere Spaltung der Gesellschaft, wenn Merz an seinen Rezepten einer radikalen Marktwirtschaft festhält.

Christian Bäumler (CDU), stellv. Vorsitzender Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft: „Wir sehen, dass sich Friedrich Merz immer heftig gegen Gewerkschaften ausgesprochen hat, gegen die betriebliche Mitbestimmung ausgesprochen hat. Damit würde er, wenn er diesen Kurs weiter verfolgt, den sozialen Frieden in Deutschland gefährden.“

Gefährdung des sozialen Friedens? Nachfrage bei Friedrich Merz. Kein Interview. Auch schriftlich bekommen wir keine Antworten.

Albrecht von Lucke, Politologe, Blätter für deutsche und internationale Politik: „Friedrich Merz hat bis heute keine Antwort darauf gegeben, wie wir mit der Spaltung dieser Gesellschaft umgehen. Keine Antwort für diejenigen, die das Geld nicht einmal zum Überleben haben. Er gibt keine Antwort auf die Frage, ob es mittlerweile einen höheren Mindestlohn geben muss, ob Menschen in stärkerem Maße an enormen gesellschaftlichem Reichtum beteiligt werden müssen.“

Gesellschaftlicher Reichtum, den auch Friedrich Merz in den letzten Jahren erlangt hat. Mit gut dotierten Posten in der Wirtschaft. Zeitweise soll er 19 Aufsichts- und Verwaltungsratsmandate parallel gehabt haben. Soziale Gerechtigkeit, Verteilung des Wohlstands - auch das könne der Markt regeln, ist Merz überzeugt.

Friedrich Merz, 08.09.2016: „Wenn wir größere Bevölkerungsteile am Wohlstandszuwachs unserer Wirtschaft beteiligen wollen, dann geht das nur über die Beteiligung an Unternehmen und am besten über Aktien.“

Bürger werden zu Aktionären. Ist das das Rezept für eine gerechtere Verteilung und gegen Altersarmut?

Prof. Stefan Sell, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Hochschule Koblenz: „Wir sollen ein Volk von Aktionären werden. Das hört sich für viele erst einmal ganz interessant und einleuchtend an, liefert aber Millionen von Menschen an ein System aus, was - und das sagt er nicht - bedeutet, dass man natürlich auch an den Risiken der Wirtschaft und der Unternehmen voll beteiligt wird.“

Friedrich Merz - wird er an seinen Überzeugen einer radikalen Marktwirtschaft festhalten und wird das der Markenkern einer neuen Bundesregierung?

Georg Restle: „Und das könnte sich schon bald zeigen, falls Friedrich Merz das Rennen machen sollte.“

Kommentare zum Thema

  • 1929 waren auch viele Aktionäre ... 19.11.2018, 09:03 Uhr

    und dann kam die Weltwirtschaftskrise. Nein, wer Aktien kauft muss wissen, dass sie morgen nichts mehr wert sein kann. Von der Volksbank hat jemand auch meinem alten Vater Fondsparen als Sparbuch angedreht und nun wundert er sich, dass der Sparbetrag immer weniger wird. Nur ein normales Sparbuch ist aber sicher. Mit den Alten kann man es ja machen.

  • Anton 17.11.2018, 20:41 Uhr

    Genau betrachtet sagt Herr Merz doch nur, dass sein Konzept der Marktwirtschaft extreme Ausbeutung der Arbeit, Armut, Beseitigung soziale Ausrichtung und sogar Tote braucht um zu funktionieren.

  • M. Stetten 16.11.2018, 05:03 Uhr

    Alle drei Kandidaten der CDU kann man vergessen, die CDU ist komplett blank so schaut es aus.