Europas extreme Rechte: Partner für die Union? Monitor 23.05.2024 09:41 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Julia Regis, Jan Schmitt, Sandra Schmidt, Savanna Schmitz

MONITOR vom 23.05.2024

Europas extreme Rechte: Partner für die Union?

Nach der Europawahl im Juni könnte die EU deutlich nach rechts rücken. Das veranlasst die Europäischen Konservativen offenbar dazu, über neue Bündnisse mit der extremen Rechten nachzudenken. Im Mittelpunkt: Giorgia Meloni. Vor allem Spitzenpolitiker der Union umwerben die extrem rechte italienische Ministerpräsidentin. Melonis restriktive Minderheitenpolitik und ihre autoritäre Verfassungsreform sind dabei offenbar kein Problem.

Von Julia Regis, Jan Schmitt, Sandra Schmidt, Savanna Schmitz

Georg Restle: "Und damit zu diesen beiden Frauen – neuerdings so etwas wie allerbeste Freundinnen. Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni, Italiens ultrarechte Premierministerin. Weil die CDU-Politikerin wieder EU-Kommissionspräsidentin werden will, scheint ihr und der CDU/CSU offenbar jedes Mittel recht – selbst Bündnisse mit Europas extremer Rechten. Von wegen Brandmauer, in Europa will die Union jetzt offenbar schon mal vorzufühlen, wie weit nach rechts man gehen kann, ohne Wählerstimmen zu verlieren. Julia Regis, Jan Schmitt und Sandra Schmidt."

Europawahlkampf der extremen Rechten, diese Woche in Madrid. Über 10.000 Menschen bejubeln die Stars der ultrarechten Nationalisten in Europa. Viktor Orbán ist aus Ungarn zugeschaltet, Marine le Pen ist extra aus Frankreich angereist, und die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni grüßt per Videobotschaft.

Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin Italien: "Buenos días, patriotas!"

Begeisterungsstürme der extremen Rechten für die Postfaschistin Meloni. Eine Postfaschistin, der Deutschlands Konservative gerade den Hof machen. Ursula von der Leyen trifft sich immer wieder mit ihr. Manfred Weber, CSU-Vize und Chef der Konservativen im Europaparlament, wirbt für mehr Zusammenarbeit mit Meloni. Und auch der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder besuchte Meloni vor kurzem in Rom. Ein erstaunlich guter Draht zu deutschen Konservativen – auch weil Meloni und ihre Partei aus ihrer postfaschistischen Gesinnung keinen Hehl machen. Beim Singen der Nationalhymne zeigen Anhänger schon mal den Hitlergruß. In Italien heißt der "römischer Gruß" und ist nicht verboten. Zum Senatspräsidenten machte Meloni ihn, Ignazio la Russa, einen glühenden Mussolini-Verehrer, in seinem Wohnzimmer steht eine Statue des Duce, des Führers, wie La Russa ihn nennt. Gemeinsam mit Meloni in der Regierung: Matteo Salvini, Chef der rechtsextremen Partei Lega. Ein Bündnis der extremen Rechten, das auch mit seinen Verbindungen zur Neonazi-Szene nicht brechen will. Wenn Neonazis hier im Frühling durch Mailand ziehen oder im Januar in Rom aufmarschieren, schweigt Meloni konsequent.

Prof. Marco Valbruzzi, Politikwissenschaftler, Universität Neapel (Übersetzung Monitor): "Darin steckt natürlich eine Botschaft an die Organisatoren, Sie können es sich erlauben, solche Aufmärsche abzuhalten, weil die Regierung sie im Grunde eben mitträgt. Es ist eine Regierung, in der die radikalsten Gruppierungen der extremen Rechten ihre Ideologie und ihre Ziele wiederfindet."

Auch deshalb hatte sich CSU-Chef Söder nach der Italien-Wahl 2022 noch klar von der neuen Regierung um Meloni abgegrenzt.

Markus Söder (CSU), Ministerpräsident Bayern, 26.09.2022: "Wir freuen uns nicht über das Wahlergebnis in Italien, es ist nicht gut für Europa. Die Tatsache, dass die AfD jubelt, ist allein schon ein Beleg dafür, dass bürgerliche Kräfte sehr zurückhaltend sein sollten."

Jetzt – nach dem Treffen mit Meloni – will Söder davon nichts mehr wissen:

Reporter: "Nach der Wahl hatten Sie gesagt, das sei kein gutes Ergebnis, eine konservative, sehr rechte und sehr, sehr rechte Regierung. Wie sehen Sie das jetzt?"

Markus Söder (CSU), Ministerpräsident Bayern: "Was wär kein gutes Ergebnis?"

Reporter: "Die italienische Regierung, wie sie gewählt worden ist von eineinhalb Jahren."

Markus Söder (CSU), Ministerpräsident Bayern: "Das entscheiden die Italiener und nicht die Bayern."

Der außenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, denkt sogar über eine Zusammenarbeit mit Meloni auf EU-Ebene nach.

Jürgen Hardt (CDU), Außenpolitischer Sprecher CDU/CSU-Bundestagsfraktion:"Insofern kann ich mir schon vorstellen, dass es nach der Wahl auch Gespräche über die Zusammenarbeit der Fratelli bzw. Meloni – in welcher Formation auch immer – mit der EVP-Fraktion gibt."

Vor einem Jahr hatte sich das noch ganz anders angehört. Damals sagte er, Melonis Partei und die Lega verträten

Zitat: "politische Positionen, die mit den Positionen der EVP größtenteils unvereinbar sind."

Reporter: "Wie kommt dieser Richtungswechsel zustande?"

Jürgen Hardt (CDU), Außenpolitischer Sprecher CDU/CSU-Bundestagsfraktion:"Also, wenn Sie das als Richtungswechsel sehen – ich kann mich an dieses Zitat von damals nicht erinnern – ich meine, es wäre bezogen gewesen auf andere politische Kräfte, aber sei dahingestellt. Ich glaube, wir haben vor drei Jahren größere Befürchtungen gehabt im Blick auf die italienische Politik."

Reporter: "Das war letztes Jahr."

Aber warum wollen die Konservativen plötzlich mit Meloni kooperieren? Grund dafür könnte auch ein zu erwartender Rechtsruck bei den anstehenden Europawahlen sein. Melonis Fraktion, die EKR, könnte deutlich zulegen – und Ursula von der Leyen erhofft sich von Melonis Fraktion offenbar Unterstützung für ihre Wiederwahl als Kommissionspräsidentin. Auch sie schließt eine Zusammenarbeit ausdrücklich nicht aus.

Reporterin (Übersetzung Monitor): "Sind Sie in der nächsten Legislaturperiode offen für eine Zusammenarbeit mit der EKR?"

Ursula von der Leyen (CDU), EU-Kommissionspräsidentin, 29.04.2024 (Übersetzung Monitor): "Es hängt sehr davon ab, wie das Parlament zusammengesetzt und wer in welcher Fraktion ist."

Anderer Wahlkandidat (Übersetzung Monitor): "Was?"

Das verleiht den extrem Rechten Einfluss in Europa – ganz im Sinne von Meloni.

Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin Italien, 03.11.2023 (Übersetzung Monitor): "Nachdem wir die Wahlen gewonnen haben und begonnen haben, Italien zu verändern, ist es an der Zeit, den Einsatz zu erhöhen! Lasst es uns am 8. und 9. Juni gemeinsam noch einmal tun! Lasst uns auch Europa verändern!"

Melonis Politik soll Programm für die gesamte EU werden. Doch was diese Politik bedeutet, zeigt sich in Italien schon heute – Beispiel: Pressefreiheit. Beim öffentlich-rechtlichen Sender RAI sollen die Regierungsparteien im Wahlkampf mehr Sendezeit bekommen als andere. Regierungskritische Sendungen wurden abgesetzt. Wahlkampfveranstaltungen der Regierungsparteien sollen ohne journalistische Einordnung oder oppositionelle Stimmen übertragen werden. Anfang Mai streikten die Beschäftigten des Senders wegen dieser Eingriffe von Melonis Regierung. Auch die RAI-Reporterin Enrica Agostini meldete sich zu Wort.

Enrica Agostini (Übersetzung Monitor): "Ich arbeite seit über 20 Jahren im Politikjournalismus und ich habe noch nie so viel Druck und eine solche Zensur erlebt wie jetzt in dieser Zeit."

Vergangene Woche protestierten auch Journalisten anderer Medien gegen Eingriffe in ihre Arbeit. Aber Meloni geht noch weiter, sie will den Staat grundlegend umbauen. Neben einer Justizreform, die der Regierung mehr Einfluss auf Richter und Staatsanwälte verschaffen soll, geht es für sie auch um das ganz große Projekt – eine Verfassungsreform.

Giorgia Meloni (Übersetzung Monitor): "Ich betrachte das als die Mutter aller Reformen, die wir in Italien machen können."

Meloni will die Direktwahl des Ministerpräsidenten. Eine Verfassungsänderung, die sie unbedingt durchsetzen will und die gewaltige Konsequenzen hätte. Nach der neuen Verfassung würde der italienische Ministerpräsident direkt vom Volk gewählt. Wer die meisten Stimmen bekommt, wird Ministerpräsident. Dafür könnten beispielsweise schon 25 Prozent der abgegebenen Stimmen reichen. Er oder sie darf dann aber nicht nur 25 Prozent, sondern 55 Prozent der Parlamentssitze mit Vertretern der eigenen Partei besetzen und hat damit automatisch die absolute Mehrheit im Parlament.

Prof. Marco Valbruzzi, Politikwissenschaftler, Universität Neapel (Übersetzung Monitor): "Das ist ein Reformprojekt, das die Macht in den Händen einer einzigen Person konzentriert, nämlich der des direkt gewählten Ministerpräsidenten. Es handelt sich also um ein Reformprojekt, das auch gefährlich ist für die Stabilität oder das Überleben der italienischen Demokratie."

Melonis Kabinett hat die Verfassungsänderung bereits beschlossen. Am Ende wird wahrscheinlich ein Volksentscheid darüber befinden. Eine extrem rechte Regierung, die autokratisch durchregieren will. Dagegen wehren sich auch Holocaust-Überlebende, die die Gefahren des Faschismus noch sehr gut kennen, wie die Senatorin Liliana Segre, die Auschwitz überlebt hat.

Liliana Segre, Italienische Senatorin auf Lebenszeit, 14.05.2024 (Übersetzung Monitor): "Nach meiner Einschätzung enthält die Verfassungsreform, die die Regierung vorschlägt, mehrere alarmierende Aspekte. Ich kann und will dazu nicht schweigen. Nur in konstitutionellen Demokratien gibt es eine Gewaltenteilung, also solche Dämme, die verhindern sollen, dass wir in jene Autokratien zurückfallen, gegen die alle Verfassungen geboren sind."

Von deutschen Konservativen aber kein kritisches Wort zu Melonis demokratiefeindlicher Politik, nicht zur Einschränkung der Pressefreiheit, zur Verfassungs- oder zur Justizreform.

Reporter: "Spielen denn innenpolitische Fragen bei Ihnen dann gar keine Rolle? Ist das egal, was Frau Meloni im Land macht und ob das dann rechtsstaatlich zugeht oder nicht?"

Jürgen Hardt (CDU), Außenpolitischer Sprecher CDU/CSU-Bundestagsfraktion:"Wir müssen unsere europäischen Ziele gemeinsam durchsetzen. Das geht nur auf der Basis von Rechtsstaatlichkeit. Das sehe ich in Italien zum gegenwärtigen Zeitpunkt unter der Amtszeit von Ministerpräsidentin Meloni als gewährleistet an."

Eine ultrarechte Nationalistin und ihre demokratiefeindliche Politik – für die Union offenbar kein Problem, wenn es um die eigenen Interessen und die eigene Macht in Europa geht.

Georg Restle: "Eine mögliche Zusammenarbeit mit Europas extremer Rechten. Eine gewagte Strategie der Union. Wie das die Wähler und Wählerinnen finden, zeigt sich dann am 9. Juni, bei der Europawahl."

Startseite Monitor

Kommentare zum Thema

  • M. Schmidt 11.06.2024, 10:38 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • T. B. 09.06.2024, 22:34 Uhr

    Wissen unsere Grünen eigentlich dass Europa nicht gleich Europäische Union ist? Besonders seitens der Grünen hören wir anstatt des Namens „Europäische Union“ immer wieder „Europa“. Es gab heute nicht eine gesamteuropäische Wahl sondern eine Wahl in der „Europäischen Union“. Unsere Europapolitiker haben absolut kein Recht über ganz Europa zu bestimmen sondern nur über rund die Hälfte von Europa, sie scheinen jedoch zu glauben ein Recht dazu zu haben. Ein erheblicher Teil Europas ist ein Teil der Russischen Union. Leider wollen unsere Politiker sowie Politjournalisten scheinbar die östliche Hälfte Europas ausgrenzen. Somit grenzen sie auch ihr Lieblingskind in Europa, die Ukraine (welche sie am liebsten mit Gewalt in die Europäische Union zwingen wollen) aus. Hunderte von Milliarden Euros der Steuergelder von EU-Bürger werden in die ukrainischen Kriegsführung zum „Verbrennen“ geschickt.Geld welches die EU-Staaten, derer Bürger besser verwenden könnten als in eine tödliche Kriegsführung.

  • Müller 08.06.2024, 14:44 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er sich nicht auf das Thema der Diskussion bezieht. (die Redaktion)