MONITOR vom 29.09.2016

Deutscher Wissenschaftler in der Türkei: Verfolgt und im Stich gelassen

Bericht: Naima El Moussaoui

Deutscher Wissenschaftler in der Türkei: Verfolgt und im Stich gelassen Monitor 29.09.2016 04:41 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Wohin solche Deals führen, konnte man in der Türkei in den letzten Monaten ziemlich genau beobachten. Wie sehr sich die Bundesregierung erpressbar gemacht hat, wie sie zu schwersten Menschenrechtsverletzungen schweigt. Und das auch dann, wenn deutsche Staatsbürger betroffen sind. Naima El Moussaoui hat in Istanbul einen Deutschen getroffen, der in der Türkei als Terrorist verfolgt wird, nur weil er sich für Frieden eingesetzt hat, und der sich von der deutschen Bundesregierung bitter im Stich gelassen fühlt.“

Sharo Garip, Politikwissenschaftler: „Mir macht Angst wegen einer Meinungsäußerung ins Gefängnis gesteckt zu werden. Mir macht auch Angst vor einer Razzia mitten in der Nacht. Ich fühle mich in einem offenen Gefängnis.“

Sharo Garip ist gefangen - mitten in der Metropole Istanbul. Er ist deutscher Staatsbürger und möchte zurück nach Deutschland. Aber seit acht Monaten verweigert ihm die Türkei die Ausreise. Der Grund: Im Januar unterzeichnete der Politikwissenschaftler einen Aufruf für den Frieden, einen Appell für ein Ende der Gewalt im Kurdenkonflikt. Mehr nicht.

Sharo Garip, Politikwissenschaftler: „Wenn in einer Gesellschaft Krieg herrscht, man kann nicht zuschauen. Ich will auch nicht zuschauen. Ich will wenigstens sagen, dass andere Lösungen möglich sind. Ich stehe als Akademiker weder auf der Seite der PKK noch auf der Seite des Staates.“

Doch die Unterschrift wurde ihm zum Verhängnis. Er kam in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Terrorpropaganda für die PKK. Sein Anwalt holte ihn raus, aber seitdem darf er die Türkei nicht mehr verlassen. Jetzt wartet er auf seinen Prozess, es droht ihm eine jahrelange Haftstrafe. Hinzu kommen Existenzängste. Wegen der Anschuldigungen verlor er seinen Job an einer türkischen Universität. Jetzt schlägt er sich mit Privatunterricht durch, überlebt nur dank der Hilfe von Freunden. Aber viele hat er nicht mehr, die meisten wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben.

Sharo Garip, Politikwissenschaftler: „Die Leute haben einfach Angst, dass sie auch schon ihren Job verlieren oder verfolgt werden, wenn sie mit mir Kontakt haben. Und das ist einfach für sie riskant.“

In seiner Verzweiflung wandte sich Garip nach seiner Verhaftung an die Deutsche Botschaft. Die riet ihm, still zu sein. Keine Presse, keine Öffentlichkeit. Man werde sich kümmern - auf leisem Weg. Garip vertraute und schwieg.

Nach sechs Monaten dann die erlösende Mail der Botschaft: Es gebe „keine Ausreisesperre“ mehr. Was nach diplomatischem Erfolg klingt, ist jedoch eine gefährliche Falschinformation. Die Ausreisesperre besteht fort. Hätte Garip sich auf die deutsche Botschaft verlassen, wäre er bei der Ausreise verhaftet worden.

Sharo Garip, Politikwissenschaftler: „Da hätte man mich verhaftet, mir noch einmal eine Klage gegenüber erhoben. Und vielleicht musste ich auch ins Gefängnis für zwei, drei, vier Monate.“

Er wendet sich erneut an den deutschen Botschafter. Doch der habe ihm nur gesagt, er könne nichts mehr für ihn tun. Er müsse weiter den Rechtsweg in der Türkei beschreiten. Einen Rechtsweg, den es für Garip in einem Unrechtsstaat nicht gibt.

Garip bleibt in der Türkei ein Ausgestoßener. Wie viele andere Wissenschaftler. Die Psychologieprofessorin Esra Mungan zum Beispiel. 40 Tage war sie inhaftiert wegen der Unterschrift unter dem Friedensappell. Sie ist in Deutschland aufgewachsen.

Esra Mungan, Psychologin: „Sobald Sie entlassen sind von der Uni, können Sie an keiner anderen Uni Anstellung bekommen. Weil wir jetzt auf der Schwarzen Liste sind, alle von uns. Es ist eine sehr, sehr, sehr gefährliche Atmosphäre. Man fühlt sich total erpresst, unterdrückt und atemlos.“

Unter den Akademikern herrscht ein Klima der Angst und der Perspektivlosigkeit. Helfen könnte internationale Kritik, Druck auf die türkische Regierung, konsularische Hilfe. Aber die ist nicht in Sicht.

Sharo Garip, Politikwissenschaftler: „Alle diese Diplomatie, das Schweigen, löst bei mir ein Gefühl aus, als ob ich für die deutsche Regierung egal wäre. Sie interessieren sich nicht für mich.“

Das Auswärtige Amt teilt auf Monitor-Anfrage lediglich mit, man sei an dem Fall dran und setze sich auch weiterhin für den Betroffenen ein. Sharo Garip will sich darauf nicht mehr verlassen. Er hat sich entschlossen, seine Geschichte öffentlich zu machen. Für sich, aber auch für die anderen verfolgten Wissenschaftler in der Türkei.

Kommentare zum Thema

  • Angelika Schröder-Menze 19.04.2017, 23:28 Uhr

    Guten Tag, Herr Garip sitzt immer noch in der Türkei. Bitte berichten sie weiter über ihm. Mit freundlichen Grüßen Angelika Schröder-Menze

  • Clara 30.09.2016, 10:17 Uhr

    Mit den "Akademiker für den Frieden" und Sharo Garip gibt es eine Solidaritätsinitiative aus der Zivilgesellschaft, die unterstützt werden kann. Mit einen Offenen Brief richten sich Kulturschaffende, Hochschulangehörige, politisch Aktive und NGOs an Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier und sprechen sich aus für die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen dem türkischen Staat und Vertretern kurdischer Organisationen, die Einhaltung von Menschen- und Freiheitsrechten sowie die Aufhebung des Ausreiseverbots von Sharo Garip. Der Offene Brief ist seit kurzem publik und kann hier unterschrieben werden: www.solidaritaetsbrief.org

  • Ursula Bumke 29.09.2016, 22:34 Uhr

    Es ist erschütternd zu erleben, wie ein Diktator und das ist Erdogan, von der Bundesregierung hoffiert wird Da fühlt sich die Regierung nicht die Parlamentserklärung betreffs des Armenienmordes nicht gebunden. Das hat für mich nichts mit Demokratie zu tun. Dass deutschen Bürgern, deren Freiheit in der Türkei in großer Gefahr ist, nicht geholfen wird ,ist ein Skandal. Das wundert mich bei dieser Regierung nicht mehr. Es wird auch nicht mehr lange dauern, dann kommt die Visafreiheit. Für mich ist Frau Merkel völlig unglaubwürdig geworden.