MONITOR vom 30.01.2020

Coronavirus: Übertriebener Hype?

Bericht: Golineh Atai, Frank Konopatzki

Coronavirus: Übertriebener Hype? Monitor 30.01.2020 05:50 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Golineh Atai

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Georg Restle: „Jeden Tag die gleichen Bilder, jeden Tag neue Schlagzeilen zum Coronavirus. Auch heute wieder. Soeben hat die Weltgesundheitsorganisation den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Die Angst geht um vor einer weltweiten, tödlichen Pandemie. Aber ist sie auch berechtigt? Guten Abend und willkommen bei MONITOR.

Ob Ebola, SARS oder jetzt der Coronavirus. Mit einem neuen Virus macht sich regelmäßig auch neue Panik breit: vor weltweiter Ausbreitung, vor tödlicher Ansteckung. Dabei stellt sich die Frage, warum ist dieser Krankheitserreger ein so großes Thema, und andere gar keins? Solche Bilder sind nämlich nur sehr selten bei uns zu sehen, ein Kleinkind mit Malaria. Über 400.000 Menschen starben allein 2018 an der Krankheit; in Ländern weit weg, in Madagaskar, Malawi oder Mosambik. Ohne, dass das bei uns Schlagzeilen macht. Nein, es geht uns nicht darum, Krankheiten gegeneinander auszuspielen, aber um das richtige Maß unserer Aufmerksamkeit. Golineh Atai und Frank Konopatzki.“

Jeden Tag, jede Stunde eine neue erschreckende Meldung über das „Killer-Virus“. Jeden Tag neue starke Bilder. Ein Unbekannter, der Angst schürt, der unberechenbar scheint, wenn ganze Landstriche abgesperrt werden müssen. Wenn Millionen mit Schutzmasken leben müssen – und der Erreger sich doch über die Welt ausbreitet. Nur, nach allem, was bisher bekannt ist – ist diese Dauer-Erregung wirklich angemessen? Eher nicht, sagt der Hamburger Tropenmediziner Egbert Tannich.

Prof. Egbert Tannich, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin: „Wir sind überrascht, wie umfänglich diese Berichterstattung ist, wie stark, welchen Raum das Ganze einnimmt. Wir wundern uns, mit welcher Redundanz immer dasselbe berichtet wird und immer wieder. Es gibt noch so ein paar Dinge, die wir noch nicht genau wissen. Aber im Prinzip kann man schon absehen, dass die Gefährlichkeit des Virus deutlich geringer ist als ursprünglich angenommen.“

Alarmstimmung. Expertenrunden. Neue Gelder für neue Impfstoffe. Regierungen und andere Geldgeber vergeben millionenschwere Aufträge zur Erforschung und Bekämpfung des Coronavirus. Das neue Risiko scheint gefährlicher als alles, was wir schon kennen.

Elhadj As Sy, Generalsekretär Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) (Übersetzung Monitor): „Jedes Mal wenn wir einen Schock jener Art erleben wie das Coronavirus haben wir die Tendenz, in einen Kreislauf der Panik zu geraten. Und danach: Vernachlässigung und Vergessen. Wir gehen mit allen Kräften rein, sprechen viel, investieren viel, mobilisieren groß. Und wenn wir denken, es ist vorbei, gehen wir zurück zu „Business as usual“. Genau das erklärt, warum die heutige Welt immer noch mit alten, anhaltenden Krankheiten leben muss.“

Viel Aufmerksamkeit für ein neues Virus. Kaum Berichterstattung über bekannte, aber viel tödlichere Erreger. Allein die Masern forderten 2018 mehr als 140.000 Tote weltweit. Die Weltgesundheitsorganisation WHO beklagt „Geber-Müdigkeit“ bei ihrer Bekämpfung. Im Kongo haben die Masern im letzten Jahr mehr als 6.000 Menschen getötet, über 300.000 Verdachtsfälle registrierte die WHO. Es fehle an Geld, Koordination und Logistik gegen die

Zitat: „schlimmste Masern-Epidemie der Welt“.

Die Malaria: 405.000 Menschen starben 2018 an der Krankheit. Auch weil viele zu spät an Medikamente kommen. Es fehlt an Diagnostik und Finanzierung. Die Tuberkulose: 1,5 Millionen Tote in nur einem Jahr. Kranke werden nicht konsequent erfasst und nicht lange genug therapiert. Auch hier fehlt es an Geld. Die ärmsten Länder leiden am meisten. Die Folge: Instabilität und Migration. Die Ursache: Wir investieren nicht genug in Gesundheit für alle. Vom UN-Nachhaltigkeitsziel der „universellen Gesundheitsleistungen für alle“ sei die Welt „weit entfernt“. Das sagt ein Bericht im Auftrag von WHO und Weltbank, der zu dem Ergebnis kommt: Gerade die ärmsten Länder, die von Epidemien am stärksten betroffen sind, werden von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen. Elhadj As Sy ist einer der Verfasser dieses Berichts. Die Politiker der Welt täten nicht genug, sagt er, um Impfstoffe, Medikamente, Diagnostik zu finanzieren und zu verbreiten. Die Welt sei auf globale Notfälle nicht vorbereitet. Und die Welt sei eben nur so stark wie ihr schwächstes Glied.

Elhadj As Sy, Generalsekretär Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) (Übersetzung Monitor): „Wir finden, es ist ein Skandal, dass heute mit all den Mitteln, die wir haben – finanziell, technisch – es dennoch solche Krankheiten gibt, die verhindert und geheilt werden können, aber immer noch das Leben von Millionen Menschen fordern. Die Aufmerksamkeit, die wir gerade dem Coronavirus geben, sollte genau die gleiche Aufmerksamkeit sein, die wir allen anderen Krankheiten geben, egal wo sie auftreten. Wir rufen auf, den Kreislauf von Panik und Vergessen zu brechen.“

Das Coronavirus löst zurzeit Panik aus. Noch wissen wir nicht, wie viele Tote es fordern wird – aber einiges spricht dafür, dass wir es in einem Jahr schon wieder fast vergessen haben.

Georg Restle: „Die Nachricht über die 6.000 Maserntoten im Kongo kam übrigens fast zeitgleich mit der über die Verbreitung des Coronavirus. Mitbekommen haben das allerdings wohl nur die wenigsten.“

Kommentare zum Thema

  • vi 01.02.2022, 22:33 Uhr

    Februar 2022: Ende 2020 war das Virus nicht vergessen. Stattdessen jetzt 5600000 Tode weltweit. Long Covid und ME/CFS als Spaetfolgen. Ja, wir bluten nicht aus allen Koerperoeffnungen wie bei Ebola oder der Antoninischen Pest -- es koennte also schlimmer sein, aber es ist halt auch nicht nur ein Schnupfen. Das bedeutet natuerlich nicht, dass man nicht auf all die anderen schlimmen Krankheiten schauen sollte, wenn Corona irrelevant wird (was sicher passieren wird). Und leider muss man sagen, dass auch bei Covid die Entwicklungslaender weitestgehend vergessen wurden, denn mehr als Feigenblaetter sind bei der Hilfe nicht zu sehen.

  • puschan 07.04.2021, 07:51 Uhr

    Ihr müßt Euch entscheiden: Für den MAMMON - oder das Reich meines Vaters im Himmel (und das auf der Erde zu schaffen......) - soll JESUS gemeint haben...

  • ulinator 11.04.2020, 14:58 Uhr

    Ja, es nervt! Steigende Zahlen (welche Wunder, wenn man mal kurz darüber nachdenkt!), meist in absoluten Größen (tausende klingt halt dramatischer als ein paar kleine Prozent). Keine Frage: das Virus ist real und manche Maßnahmen durchaus sinnvoll und angebracht aber es ist schon erstaunlich wie einseitig und fast schon manipulativ darüber Bericht erstattet wird. Ich jedenfalls distanziere mich mittlerweile zum größten Teil von Nachrichten jeglicher Art. Sie bringen mir keinen Mehrwert für mein (eingeschränktes) Leben und mein Umfeld. Ich gehe meinen Hobbies nach, für die ich in den meisten Fällen zum Glück keine öffentlichen Einrichtungen brauche und hoffe, dass der Spuk bald vorbeigeht. Die Dummheit greift um sich (Klopapier und Hefe - ernsthaft?), man fühlt sich wie ein Verbrecher, weil man lebt und lacht - wo sind wir eigentlich? Also liebe Medien: feiert eure Klicks und Auflagenzahlen, solange das Thema noch heiß ist - nur ohne mich!