Corona-Pandemie: Alles nicht so schlimm? Monitor 23.03.2023 08:01 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Elke Brandstätter, Silke Diettrich, Lutz Polanz

MONITOR vom 23.03.2023

Corona-Pandemie: Alles nicht so schlimm?

Von Elke Brandstätter, Silke Diettrich, Lutz Polanz

Georg Restle: "Die Geschichte vom Tod dieses Jungen werden wir Ihnen gleich ausführlich erzählen. Jetzt aber erstmal zu einem Thema, über das gerade viel debattiert wird: Die Corona Impfung und ihre möglichen Nebenwirkungen. Tatsache ist, Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat solche Nebenwirkungen anfangs komplett negiert – und das gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse. Menschen, die an Impfschäden leiden, wurden dadurch ausgegrenzt, ihre Krankheiten nicht anerkannt. Dafür muss der Gesundheitsminister jetzt zu Recht jede Menge Kritik einstecken. Eine ganz andere Frage ist allerdings, ob damit der Nutzen der Impfung insgesamt in Frage gestellt werden kann, wie es einige gerade tun. Dabei infizieren sich gerade wieder sehr viele Menschen mit dem Coronavirus, nicht wenige kämpfen auf Intensivstationen nach wie vor um ihr Leben oder leiden unter den Langzeitfolgen der Erkrankung; darunter überproportional viele Ungeimpfte. Elke Brandstätter, Lutz Polanz und Silke Diettrich."

Bilder wie aus einer anderen Zeit – doch sie sind aus dieser Woche. Patienten mit COVID-19, die künstlich beatmet werden. Wir sind auf einer Intensivstation des Uniklinikums Essen. Schwere Verläufe sind inzwischen zwar seltener geworden, doch letzte Woche ist hier noch ein Patient an COVID verstorben; er war ungeimpft.

Dr. Frank Herbstreit, Oberarzt, Universitätsklinikum Essen: "Wir haben im Moment vier Patienten mit COVID hier liegen. Bei 22 Betten ist das ja immer noch ein substanzieller Anteil, die wir dann auch entsprechend behandeln müssen. Also, es ist immer noch eine Erkrankung, die wir relativ häufig sehen."

Klar ist, die Zahlen sind bei weitem nicht mehr so groß wie zu Hoch-Zeiten der Pandemie; und die regionalen Unterschiede erheblich. Auffällig ist aber,unter der am stärksten betroffenen Altersgruppe der über 60-Jährigen landen Geboosterte zurzeit fast gar nicht mehr wegen COVID im Krankenhaus; dagegen sind doppelt Geimpfte schon häufiger betroffen. Und die Gruppe der Ungeimpften sogar fünf bis sechs Mal so oft wie Geboosterte. In der Öffentlichkeit spielt all das kaum noch eine Rolle. Die Zahl der Impfungen ist deutlich gesunken. Weil die derzeitige Omikron-Variante als weniger gefährlich gilt. Zudem wird kaum noch getestet, die offizielle Inzidenz ist deshalb trügerisch niedrig. Dabei zeigen Daten aus Kläranlagen einen anderen Trend. Die Virusbelastung im Abwasser steigt wieder an, wie schon bei vorhergehenden Infektionswellen. Für Fachleute gerade jetzt ein wichtiges Indiz.

Prof. Carsten Watzl, Infektiologe Leibniz-Institut für Arbeitsforschung:"Also ich würde davon ausgehen, dass wir eine Inzidenz haben, die ähnlich liegt wie bei der Sommer-Welle von BA 5, da waren wir ungefähr bei 500. Also wahrscheinlich ist die Dunkelziffer zehnmal höher als die wirkliche Inzidenz, die wir aktuell haben."

Wie schlimm auch eine Ansteckung mit der Omikron-Variante verlaufen kann, das hat Christoph erlebt. Im Juli erkrankte er schwer. Bis heute leidet er an zahlreichen Symptomen, die als Long COVID zusammengefasst werden. Früher hat er als Programmierer gearbeitet. Mit der Krankheit ging auch noch seine Beziehung in die Brüche. Jetzt versucht er, sich mit Nahrungsergänzungsmitteln selbst zu therapieren. Denn es gibt praktisch keine Medikamente für seine Krankheit. Mit 36 zog er zurück zur Mutter und zum Stiefvater. Schon bei leichten Anstrengungen trifft es ihn, wie aus heiterem Himmel.

Christoph, Long COVID Betroffener: "Dann ist es diese bleierne Schwere, die Muskeln versagen im Grunde. Man kann die Muskelspannung nicht mehr halten, man kann nicht mehr richtig gehen. Konzentration ist komplett dahin, man kann sich nicht mehr richtig konzentrieren und man kann auch nicht mehr richtig reden oder zuhören."

Eigentlich wollte er schnell wieder zurück in den Beruf, doch der Versuch scheiterte. Lange Zeit habe ihn niemand ernst genommen mit seinen Problemen, auch die Ärzte nicht.

Christoph, Long COVID Betroffener: "Es gibt ab und zu mal Leute, die kennen jemanden, die haben "Long COVID", wo dann alles drunter subsummiert wird, aber die Tragweite und die Fallzahlen, die sind in der Normalbevölkerung nicht angekommen. Die sind ja nicht mal bei den Fachärzten und Hausärzten angekommen."

So wie Christoph geht es vielen in Deutschland. Daten der AOK aus dem letzten Jahr zeigen, dass 3,8 Prozent der wegen COVID krankgeschriebenen später auch von Long COVID betroffen waren. Ähnliche Zahlen gibt es aus Großbritannien. Dort leiden etwa 4 Prozent der Erwachsenen nach einer ersten Infektion unter Long COVID. Und die britischen Zahlen zeigen auch, Menschen, die eine erste Infektion gut überstanden haben, können auch nach einer zweiten Infektion noch an Long COVID erkranken. Das Risiko sinkt zwar um rund ein Viertel, bleibt aber hoch. Daran ändert auch die weniger gefährliche, aber deutlich ansteckendere Omikron-Variante nicht viel, sagt die Long COVID-Spezialistin Jördis Frommhold.

Dr. Jördis Frommhold, Long COVID Institut: "Das Risiko, nach einer Omikron-Infektion Long COVID zu entwickeln, ist prozentual niedriger. Allerdings sind die absoluten Infektionszahlen so hoch, dass wir trotzdem noch viele Long COVID-Patienten im Verlauf haben."

Für Jördis Frommhold ist Long COVID inzwischen eine Volkskrankheit. In ihrem Institut in Rostock kümmert sich die Ärztin um Patienten aus ganz Deutschland, vorwiegend online. Für sie ist die Impfung bislang immer noch die wirksamste Methode, um das Problem wenigstens im Ansatz zu bekämpfen.

Jördis Frommhold, Long COVID Institut: "Es ist auf jeden Fall richtig, Impfungen durchzuführen, weil die Impfung nicht nur vor dem akut schweren Verlauf, sondern auch vor Long COVID schützt. Allerdings muss man sagen, nicht alle Patienten, die geimpft sind, entwickeln nie mehr Long COVID, sondern wir haben auch geimpfte Patienten mit Long COVID, aber deutlich weniger als wenn sie sich nicht hätten impfen lassen."

Das bestätigt auch eine Studie britischer Mediziner. Nach einer Doppelimpfung gibt es eine um 41 % geringere Wahrscheinlichkeit, an Long COVID zu erkranken. Was für Fachleute klar ist, wird in der politischen Debatte bestritten. Vor allem die AfD macht mobil, rückt vermeintlich immense Impfschäden in den Fokus. Und stellt damit den Nutzen der Corona-Impfungen insgesamt infrage.

Christina Baum (AfD), 16.12.2022 im Bundestag: "Aus dem verniedlichenden kleinen Pieks, der einen jahrelangen vollen Schutz ohne Nebenwirkungen garantieren sollte, wurde eine Injektion, die weder den Fremd- noch den Eigenschutz, noch einen Schutz vor einem schweren Verlauf garantiert.

Stephan Brandner (AfD), 15.03.2023: "Menschen wurde ja auch gesagt: ihr werdet alle sterben, wenn ihr euch nicht impfen lasst. Welche Konsequenzen ziehen Sie denn bitte schön daraus, dass diese Impfhysterie tatsächlich Todesopfer und schwere Opfer – was die Gesundheit angeht – gefordert hat?"

Und das sind die Menschen, von denen die AfD spricht. Menschen, die nach einer Impfung gesundheitliche Probleme bekamen, das sogenannte Post-Vac. Letzten Mittwoch demonstrierten sie gemeinsam mit Long COVID-Patienten vor dem Bundesforschungsministerium. Sie kämpfen mit ähnlichen Symptomen, chronischer Erschöpfung, Schwindel oder Schmerzen. Und fühlen sich gleichermaßen ignoriert von Politik und Forschung. Menschen, die dringend Hilfe brauchen. Keine Frage, für jeden Einzelnen kann die Impfung auch schweres Leid bedeuten. Aber wie groß ist das Problem insgesamt? Das Paul-Ehrlich-Institut teilt uns auf Anfrage mit, dass bis Ende Februar 192 Millionen COVID-19-Impfungen durchgeführt wurden. Nach der Impfung erfolgten dabei 1.336 Meldungen über Gesundheitsstörungen, die Long COVID oder ähnliche Syndrome wie Post-Vac beschreiben. Das sind 0,0007 Prozent – ein verschwindend geringer Anteil.

Prof. Carsten Watzl, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung: "Wenn ich mich impfen lasse, setze ich mich natürlich dem Risiko, ein Post-Vac-Syndrom zu entwickeln aus. Aber dieses Risiko ist deutlich geringer als das Risiko, sich nicht zu impfen und dann ein höheres Risiko von Long COVID zu haben."

Das sieht auch Long COVID Patient Christoph so. Er wurde krank, obwohl er geimpft war. Und dennoch würde er sich auch in Zukunft wieder impfen lassen.

Georg Restle: "Nein, keineswegs wollen wir das Leiden von Menschen kleinreden, die an den Folgen einer Corona-Impfung leiden. Aber man sollte diese Menschen auch nicht für politische Kampagnen missbrauchen, die ganz andere Ziele verfolgen."

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Kommentare zum Thema

  • Zwei Seiten 07.04.2023, 15:14 Uhr

    Wann wird Dr. Frank Gunter vom ARD interviewt? Der hätte ein paar erschütternde Fakten zur ganzen Thematik im Repertoire.

  • African Queen 30.03.2023, 10:41 Uhr

    er war 4 mal gepiekst .

  • Andreas 29.03.2023, 08:22 Uhr

    Emils Kommentar hat es auf den Punkt gebracht. Ich vermisse sachliche, unparteiische Berichte.