MONITOR vom 30.04.2020

Corona in Gefängnissen: hoch ansteckend

Bericht: Herbert Kordes, Aiko Kempen

Corona in Gefängnissen: Hoch ansteckend Monitor 30.04.2020 06:10 Min. UT Verfügbar bis 30.04.2099 Das Erste Von Herbert Kordes, Aiko Kempen

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Georg Restle: „Wenn man der Bundeskanzlerin heute so zuhörte, haben die Regierungen dieses Landes doch vieles richtig gemacht. Dabei gab und gibt es nach wie vor große Versäumnisse: Bei der Beschaffung von Schutzkleidung ganz offenkundig, aber auch dabei, besonders gefährdete Orte und Personen vor Infektionen zu schützen. Dazu gehören auch und insbesondere Gefängnisse, wo Menschen auf engstem Raum zusammenleben müssen – ob sie wollen oder nicht. Menschen, die sich nicht selbst helfen können, sondern darauf angewiesen sind, dass ihnen geholfen wird. Herbert Kordes und Aiko Kempen.“

Justizvollzugsanstalt Untermaßfeld in Thüringen. Manuela Schulze ist hier mit Sabrina Lang verabredet. Die Männer der beiden sitzen hier ihre Strafen ab. Die beiden Frauen sorgen sich, denn die Anstalt ist seit Wochen abgeriegelt – wegen Corona.

Sabrina Lang: „Was uns am allerersten am Herzen liegt, ist die Gesundheit unserer Männer. Und die sehen wir da drinnen im Moment nicht gewährleistet. Bei diesen Abstandshaltungen, die wir aufgelegt bekommen in der Freiheit, können die in der JVA unseren Männern nicht gewährleisten.”

Das Telefon ist für Manuela Schulze und ihre Familie zurzeit die einzige Verbindung zu ihrem Mann. Und häufig hört es sich nicht gut an, wenn er erzählt:

Herr Schulze (am Telefon): „Wir haben Angstzustände, definitiv, dass wir weiter angesteckt werden. Wir halten uns schon fern, so weit wie es geht, nur, das ist hier drinnen gar nicht möglich. (…) Wir haben jetzt zwei Mal Masken ausgetauscht gekriegt, aber die haben wir mittlerweile wieder 14 Tage.“

Reporter: „Wie geht’s Ihnen nach solchen Telefonaten?“

Manuela Schulze: „Ganz schlecht. Mir geht’s so schlecht. Entschuldigung. Mir geht’s so schlecht, ich hab so ne Angst um meinen Mann, weil er ist vorerkrankt. Einen Schlaganfall – voriges Jahr gehabt, Blutgerinsel im Kopf, Bluthochdruck.“

Rund 90 % der Haftplätze sind hier belegt. Unter Experten gilt das schon als übervoll, und das trotz Corona. Mittlerweile gebe es täglich neue Masken, versichert das zuständige Justizministerium. Zu spät? Schon Anfang April wurde der Anstaltsarzt hier positiv getestet – danach fünf Gefangene und eine Vollzugsbeamtin. Manuel Matzke ist Sprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO. Ihn erreichen gerade viele Zuschriften von Gefangenen aus allen Teilen des Bundesgebiets.

Manuel Matzke, Sprecher Gegangenen-Gewerkschaft (GG/BO):  „Wir haben Inhaftierte, die machen sich allgemein Gedanken, weil sie keinen Kontakt mehr aufnehmen können zu ihren Familien, weil sie natürlich auch da das Problem haben der Kommunikation, die natürlich jetzt immens eingeschränkt ist. Das sind einfach, die machen sich Ängste, die haben Sorgen um ihre medizinische Versorgung, was ist denn, wenn der worst case eintritt?”

MONITOR hat umfassende Fragenkataloge an alle 16 Bundesländer zu Corona in den Haftanstalten geschickt. Bei der Frage nach Desinfektionsmitteln oder Schutzmasken bleiben viele Länder vage, schreiben etwa …

Zitat: „knapp, aber vorhanden“

oder

Zitat: „vorerst ausreichend“

Ausreichend? René Müller von der Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten widerspricht.

René Müller, Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschland: „Jedes Bundesland kämpft an seiner eigenen Front, damit dort ausreichend Material zur Verfügung steht. Ich gehe davon aus, dass wir flächendeckend in Deutschland für den Justizvollzug eben nicht ausreichend Masken haben.”

Rund 130 JVA-Beschäftigte bundesweit haben sich bislang mit dem Corona-Virus infiziert – und 33 Gefangene. Das klingt nicht nach viel. Aber, im Strafvollzug wird vielerorts kaum getestet. Beispiele: Sachsen-Anhalt testete nur 14 von rund 1.700 Gefangenen: 0,8 Prozent. Niedersachsen testete gerade mal vier von insgesamt rund 4.500 Gefangenen: unter 0,1 Prozent. Mehrere Länder mit vielen Gefangenen erheben gar keine Testzahlen. Flächendeckende Tests in den Gefängnissen lehnen fast alle Bundesländer ab – obwohl die Infektionsgefahr in den Anstalten von Experten wie Thomas Galli als besonders hoch eingeschätzt wird. Galli ist Spezialist für Strafvollzugsrecht und hat früher selbst eine JVA geleitet.

Thomas Galli, Strafverteidiger und ehem. JVA-Leiter: „Gefängnisse sind ja so konzipiert, dass man auf möglichst engem Raum möglichst viele Menschen unterbringen kann. (...) Und das heißt, dass ein paar hundert, in größeren Anstalten auch tausend Menschen zusammen auf engstem Raum in einer geschlossenen Anstalt sind und das ist natürlich in Zeiten von Corona ein massives Problem.”

Selbst das Justizministerium in Sachsen räumt unumwunden ein:

Zitat: „(Die) Corona-Schutz-Verordnung (ist) auf die Gegebenheiten des Vollzugs nicht anwendbar. Die Abstandsgebote (...) können in einem geschlossenen System wie dem Vollzug nicht in jedem Fall eingehalten werden.”

Kein Wunder: Es gibt Gefängnisse, in denen sich bis heute sechs Gefangene eine Zelle teilen. Nur vier Bundesländer verzichten vollständig auf solche Mehrfachbelegungen. Auch Manuela Schulzes Mann sitzt in einer Zelle mit mehreren anderen. Neun Monate – wegen Betrugs und Urkundenfälschung. Er habe unter anderem Autokennzeichen gefälscht, sagt sie.

Manuela Schulze: „Ich wollte Haftaussetzung. Ich frag mich, was daran so schwer – so schwer ist. Sind doch keine Schwerverbrecher.“

Das sieht Ex-Anstaltschef Galli genauso. Für ihn haben viele Kleinkriminelle momentan nichts im Gefängnis zu suchen.

Thomas Galli, Strafverteidiger und ehem. JVA-Leiter: „Etwa die Hälfte aller derzeit Inhaftierten verbüßen Freiheitsstrafen von längstens einem Jahr. Man könnte die Haft derjenigen, die jetzt inhaftiert sind, unterbrechen. Das heißt, man könnte relativ schnell gut die Hälfte aller Inhaftierten in Freiheit bringen, ohne dass die Sicherheit der Allgemeinheit gefährdet wäre.“

In Rheinland-Pfalz, Hamburg und Nordrhein-Westfalen ermöglicht man die man die Unterbrechung von geringen Haftstrafen, um die Gefängnisse zu entlasten. Andere Länder sollten diesem Beispiel folgen, fordert die Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten. Manuela Schulze und Sabrina Lang wollen genau dafür weiterkämpfen. Geschenkt wollen sie nichts, sagen sie.

Sabrina Lang: „Sie haben scheiße gebaut, sie sitzen dafür, sie haben ihre Strafe bekommen, alles richtig. Wir wollen eigentlich nur die Sicherheit, dass unsere Männer nicht da drinnen krepieren.”

Kommentare zum Thema

  • Andrea Lascheit 27.05.2020, 20:31 Uhr

    Hallo, mein Mann sitzt im offenen Vollzug. Er geht die ganze Woche arbeiten von 4:00 bis 19:00 Uhr. Vor Corona hatte er am Wochenenden immer Urlaub wo er dann zu Hause war. Und auf einmal geht es nicht mehr. Das ist einfach nicht richtig.

  • Pittypoe 27.05.2020, 08:52 Uhr

    Ich bin Mutter einer Gefangenen. Richtig ist, dass Gefangene nicht umsonst einsitzen. Aber das heisst nicht, dass ALLE Gefangenen schlechte Menschen sind!!! Ich fordere lediglich, dass endlich wieder Besuch in Gefängnissen in NRW erlaubt werden. Ich möchte meine Tochter endlich wiedersehen. Das dürfte doch wohl nicht zuviel verlangt sein! Ob andere hier meine Tochter für höchst kriminell halten, interessiert mich NICHT!!! Sie wissen nichts, aber auch gar nichts über sie!!! Ich liebe und vermisse meine Tochter und werde IMMER zu ihr stehen!!!! Sonst dürfte ich mich nicht MUTTER nennen!!!!

  • Tina 15.05.2020, 21:46 Uhr

    Hallo möchte mich zum Thema Corona in Haft Äußern . 1 Da der Kontakt zur Aussenwelt kommplett untersagt worden ist wäre ich für eine Haftaussetzung da es an die Psyche geht Selbstmord anstieg . Ich finde es kann nicht sein wir Leben in Deutschland sowas ist Fahrläsig zu warten auf Ansteckung Farhläsig Töttung im Fall .Es Sollte schnell Gehandelt werden . Und zwar Schnell . Es sind auch Menschen Menschenrecht . Punkt 2 Es kann nicht sein das mann Anträge stellen muss was Wochen oder sogar Monate dauert um zu einen Arzt oder ins Juz.Krankenhaus muss der Kurz vorm Darm Verschluss ist . Unglaublich Unfabar Traurig . Es sind keine Tiere allso wird es zeit etwas zu Unternehmen