MONITOR vom 12.11.2020

Am Rande der Gesellschaft: Corona-Herbst auf der Straße

Bericht: Lutz Polanz, Aiko Kempen

Am Rande der Gesellschaft: Corona-Herbst auf der Straße Monitor 12.11.2020 06:57 Min. UT Verfügbar bis 12.11.2099 Das Erste Von Lutz Polanz, Aiko Kempen

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Georg Restle: „Deutschland im Corona-Herbst. Steigende Zahlen bei den Neuinfektionen, mittlerweile aber auch bei den schwer Erkrankten und bei den Covid-19-Toten. Und auf den Herbst wird ein kalter Winter folgen, der nicht unbedingt Besserung verspricht. Schon gar nicht für diejenigen, die ihr Leben auf den Straßen verbringen müssen, die keine Krankenversicherung haben und auf Hilfe jetzt dringender angewiesen sind denn je zuvor. Auch deshalb, weil viele von ihnen zu Risikogruppen gehören, für die Covid-19 eine besondere Bedrohung darstellt. Lutz Polanz und Aiko Kempen waren auf Hamburgs Straßen unterwegs.“

Hamburg vergangenen Donnerstag. Wir sind unterwegs mit Streetworker Julien Thiele. Seit Tagen steigen die Corona-Zahlen in der Stadt auf neue Rekordhöhen. Er selbst kommt gerade aus der Quarantäne. Und er macht sich Sorgen, dass viele Menschen hier auf der Straße schon bald an Covid-19 erkranken könnten.

Julien Thiele, Sozialarbeiter, Caritas Hamburg: „Das Problem ist immer noch, dass wir halt einfach darin im Dunkeln tappen, wie viele Menschen haben es überhaupt? Wir merken, wenn wir nicht es schaffen, zuverlässig alle Menschen in Obdachlosigkeit auch geregelt testen zu können, werden wir sozusagen einen Ausbruch innerhalb dieser Szene überhaupt nicht verhindern können. Das ist sozusagen katastrophal.”

Der Sozialarbeiter kümmert sich um Obdachlose und EU-Bürger, die keinen Anspruch mehr auf Sozialleistungen haben. Menschen wie Vanessa aus der Slowakei etwa. Seit mehr als drei Monaten ohne Arbeit, lebt sie inzwischen auf der Straße. Aus Sorge, sich angesteckt zu haben, würde sie sich gerne auf Corona testen lassen.

Reporter: „Haben Sie denn schon selber einmal einen Test auch bekommen?”

Vanessa: „Die machen die Tests, wie die wollen. Die messen Fieber und das ist alles.”

Reporter: „Das heißt, Sie kriegen normalerweise keinen Test?”

Vanessa: „Keinen.”

Gleich neben dem Hauptbahnhof befindet sich das Testcenter der Kassenärztlichen Vereinigung. Gerade für obdachlose Menschen ein gut erreichbarer Anlaufpunkt, doch getestet werden hier fast ausschließlich Reiserückkehrer und Menschen, deren Corona-Warn-App anschlägt. Ansonsten gilt die Regel, offizielle Stellen müssen den Test erst anordnen.

Julien Thiele, Sozialarbeiter, Caritas Hamburg: „Das ist nix sozusagen, wo man in der Regel einfach mal alle hinschicken kann, die sich Sorgen machen, weil sie vielleicht Kontakt hatten zu Corona-Positiven oder falls sie mit mehreren Menschen auf dem Zimmer schlafen und sie machen sich Sorgen um ihre Gesundheit, weil sie krank sind.”

Dabei bietet die Stadt Hamburg durchaus Alternativen. Etwa im Winternotquartier im Stadtteil Hammerbrook. 400 Menschen kommen hier unter. Hier könnten sich Obdachlose testen lassen, müssen dann aber erst einmal in der Einrichtung bleiben. Doch genau das wollen viele nicht, wie Wojto. Auch er musste dort schon mal übernachten, nachdem er seine Arbeit in einem Hotel verloren hatte.

Reporter (Übersetzung Monitor): „Wie viele Menschen schlafen denn da in einem Raum?“

Wojto (Übersetzung Monitor): „Vier Leute. Und es geht ziemlich eng zu. Sie wissen, was ich meine. Manche sind betrunken und stinken.”

Reporter (Übersetzung Monitor): „Ist Ihnen das Risiko dort zu hoch?”

Wojto (Übersetzung Monitor): „Ja, natürlich, zur Hölle damit. Keine Chance, dass ich da nochmal hingehe.”

Wie man sich in diesen Massenunterkünften vor Corona schützen soll, weiß auch Streetworker Julien Thiele nicht. Guten Gewissens könne er dort niemanden hinschicken. Schon gar nicht Obdachlose wie Herbert. Seit Monaten campiert er hier schon, gestrandet neben der Polizeiwache am Hauptbahnhof. Er hat Multiple Sklerose, ist pflegebedürftig. Jetzt heißt es eigentlich, ihn in der kalten Jahreszeit von der Straße zu bekommen, doch in eine Notunterkunft will auch er nicht.

Herbert: „Ich sehe es als eine Unmenschlichkeit an, dass man viele Menschen auf eine … auf einen Raum zusammenschließt, sag ich, weil überall sagt man, man muss 1,50 Meter abhalten … Abstand halten.”

Deswegen bleibe er lieber hier, das sei sicherer. Zu groß die Angst vor Corona in den Sammelunterkünften. Und dann ist da noch ein Problem, wohin sich wenden, wenn man erkrankt, aber keine Krankenversicherung hat? Wir sind in der „Praxis ohne Grenzen”. Hierhin kommen Menschen ohne Krankenversicherung. Auch Obdachlose, aber vor allem Menschen, die offiziell gar nicht in Deutschland sein dürften, ohne gültigen Aufenthaltsstatus. Herr M. ist einer von ihnen, lebensgefährlich an einem Tumor erkrankt.

Prof. Peter Ostendorf, Leiter Praxis ohne Grenzen Hamburg: „Ich glaube, das ist aus der Situation geboren, dass wir nur unversicherte Patienten hier haben, die wirklich nur dann kommen, wenn es nötig ist und manchmal auch sogar kommen sie dann zu spät. Der Regelfall ist, dass die richtig schwer krank oder krank sind.”

Nicht nur Herr M, viele Patienten hier gelten als Risikopatienten. Auch das medizinische Personal, das ehrenamtlich arbeitet, ist hochgradig gefährdet. Kein Arzt, der nicht über siebzig ist. Mit strikten Eingangskontrollen will man verhindern, dass Patienten mit Corona-Symptomen hier reinkommen und andere anstecken. Besteht ein Verdacht, schickt die Praxis sie in eine befreundete Klinik und zahlt die Tests aus eigener Tasche.

Peter Ostendorf, Leiter Praxis ohne Grenzen Hamburg: „Wir kriegen keinen Pfennig vom Staat. Das einzige, was wir bekommen, sind Zuschüsse zu den Impfungen der Kinder. Aber alles andere müssen wir selbst bezahlen.”

Offiziell bietet Hamburg hierfür eine Lösung an. Über die kassenärztliche Bereitschaftsnummer könnten sich unversicherte Patienten auf Corona beim Arzt testen lassen, sagt Susan Weichenthal von der „Praxis ohne Grenzen”. Bezahlt über einen Notfallfonds, mit anonymer Abwicklung. Aber das funktioniere nur in der Theorie:

Susan Weichenthal, Sozialberaterin Praxis ohne Grenzen Hamburg: „Das Verfahren ist sehr kompliziert. Unsere Leute sprechen oft nicht die deutsche Sprache und können gar nicht antworten. Das habe ich einmal trocken durchgespielt. Das hat fast 40 Minuten gedauert und hat am Ende zwar funktioniert, dass mir eine Praxis genannt wurde, aber ich wurde darauf hingewiesen, dass unversicherte Menschen dann bar bezahlen müssen, den Test.“

Menschen, die kaum Geld und keine Krankenversicherung haben, die keinen Corona-Test bekommen. Chronisch Kranke, die aus Angst vor dem Virus lieber auf der Straße leben. Ehrenamtliche Ärzte, die selbst gefährdet sind. Für Streetworker Julien Thiele ein untragbarer Zustand.

Julien Thiele, Sozialarbeiter, Caritas Hamburg: „Wenn so ein System zusammenbricht, dann ist es wichtig, dass Menschen ohne Versicherung im Regelsystem behandelt werden können. Und dafür wäre der anonyme Krankenschein sozusagen sehr sicherstellend. Dann brauchen wir natürlich auf jeden Fall jetzt Einzelzimmer, wir brauchen sozusagen, und das nicht sozusagen in der Ausnahme, sondern im Standard.”

10 Millionen Euro gibt Hamburg für sein Winternotprogramm aus. Viel Geld, von dem zu wenig an den richtigen Stellen ankommt. Solange sich das nicht ändert, werden Menschen wie Herbert vor dem Hauptbahnhof schlafen. Und hoffen, dass es irgendwie gut geht.

Georg Restle: „Zur Klarstellung: Menschen in Not haben in Deutschland einen Anspruch auf notwendige und angemessene medizinische Behandlungen. Das ist Ausdruck der Menschenwürde und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit, Artikel 1 und 2 Grundgesetz. Und die gelten für alle Menschen, unabhängig von der Herkunft – ob mit oder ohne Papiere.“

Kommentare zum Thema

  • Anonym 17.04.2021, 20:20 Uhr

    Ja , so ist das eben ! Wenn man, wie der Staatfunk ständig massenhaft Migranten anlockt und die Leute dann ein Dach über dem Kopf suchen , dann kippt der Wohnungsmarkt ganz schnell mit dem Ergebnis , daß es viele Verlierer gibt, die dann in die Obdachlosigkeit gehen müssen !. Das nennt man dann Marktwirtschaft. Man kann eben nicht Alles haben: nicht unbegrenzt Wirtschaftsmigranten , und hier das Überbevölkerungsproblem Afrikas lösen die dann auch noch von Biodeutschen alimentiert werden müssen und Wohnungen für Alle ! Diesen Zusamenhang beim Staatsfunk zu verorten, ist ohnehin utopisch. Daß dort auf Kosten des Zwangszahlers nicht gerade diehellsten Kerzen auf der Torte beschäftigt sind, hat Restle durch seine atypischen Wortbeiträge bereits mindestens 1000 Male nachgewiesen !Wer guckt deswegen heute noch Staatsfunk ? Ich kenn Keinen. Die letzte sehenswerte Sendung war das Sandmännchen .

  • Jürgen 16.02.2021, 11:16 Uhr

    Der Staatsfunk sollte sich inzwischen nach der erfolgten Nachrichtenrevolution durch das Netz endlich eingestehen , daß er für Viele nur noch ein teures Ärgernis ist, besonders für Haushalte mit geringen Einkünften, wie Rentnern ! (86 % der Bürger finanzieren inzwischen einen eigenen Netzanschluß , durch den jede Information für Jeden billigst framing- und haltungsfrei zur Verfügung steht ! Es entspräche daher dem gesundem Menschenverstand und der Ratio, wenn der Rundfunkeitrag als Zwangsabgabe endlich fallen würde !Das würde somit besonders den Gruppenangehörigen in o.a. Monitor zu Gute kommen !

  • Anonym 13.02.2021, 16:17 Uhr

    Ein amerikanischerNobelpreisträger hat einmal gesagt, daß der StaatNichts anderes ist, als eine große Versicherung für die großen Lebensrisken (Arbeitslosigkeit, Gesundheit, Altersversorgung). Diese Aufgaben erfüllt der Staat heute nur noch äußerst unzureichend. Stattdessen wird das Geld an Lobbyisten rausgehauen, die in den Medien dafür am lautesten schreien können und den meisten Wind machen können; dazu gehören dann ebenso Mio-en Migranten, die hier gerne materiell illegal besser leben wollen, aus der ganzen Weltt,,eeexorbitant teuren Klima-Forderungen von Onkel Habeck und Teenager Greta, die Kapitalverwertung von Großunternehmen durch Steuersubventionierung und Subventionen , die bereits zum größten Teil in Oasen wie z.B. Luxembourg gering versteuern. Im Ergebnis wird die noch öffentliche Abgaben zahlende Mittelschicht immer mehr unverhälnismäßig geschröpft. Im Alter erhält dann von denen kaum einer mehr als ein zugereister jungerMigrant auch erhält ! Mal sehen, wann es knallt ?