MONITOR vom 02.04.2020

Eingriff in die Grundrechte: Wie weit geht der Staat?

Bericht: Golineh Atai, Lisa Seemann

Eingriff in die Grundrechte: Wie weit geht der Staat? Monitor 02.04.2020 06:10 Min. UT Verfügbar bis 02.04.2099 Das Erste Von Golineh Atai, Lisa Seemann

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Georg Restle: „Einsames Sitzen auf einer Parkbank? In Bayern und Sachsen mittlerweile verboten. Das ist eine von vielen Maßnahmen, die die Frage aufwerfen, ob alles, was da gerade angeordnet wird, auch wirklich notwendig und verhältnismäßig ist. Dabei geht es schließlich um keine Kleinigkeiten, sondern um die Grundpfeiler unserer Verfassung: Elementare Grundrechte wurden in den letzten Wochen quasi aufgehoben oder massiv eingeschränkt. Und jede Menge Machtbefugnis vom Parlament auf den Bundesgesundheitsminister übertragen. Der kann jetzt praktisch schalten und walten, wie er will. Alles im Namen des Gesundheitsschutzes. Aber schützt uns das auch wirklich? Golineh Atai und Lisa Seemann.“

Geschlossen – abgeriegelt – leer. Unsere Freiheit so sehr eingeschränkt, wie es vor wenigen Wochen noch undenkbar gewesen wäre. Es ist die Stunde der Exekutive, des starken Staates. Es scheint, als ob im Krieg gegen das Virus die Gesetze schwiegen. Bund, Länder, Städte, Gemeinden preschen mit Maßnahmen vor – im Namen des Notstands. Und Not macht erfinderisch. Die Polizei erlaubt sich Hausbesuche. Wer sich in einer fremden Wohnung aufhält, könnte bestraft werden. Familienpicknick im Freien? Kostet 250,- Euro. Mecklenburg-Vorpommern erlaubt nur noch Einreisen für Bürger mit Hauptwohnsitz. In Sachsen entscheidet die Polizei, ob jemand sich zum Frische-Luft-Holen zu weit von seiner Wohnung entfernt hat. Alleine auf einer Parkbank sitzen – in Bayern und Sachsen verboten. Sind solche Maßnahmen aus Sicht der Virologen noch maßvoll?

Prof. Gérard Krause, Leiter Epidemiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionskrankheiten Braunschweig: „Aus epidemiologischer Sicht und aus hygienischer Sicht ist das alleinige Sitzen auf einer Parkbank in Bezug auf das Infektionsrisiko mit Covid völlig unbedenklich. Man muss sich sogar fragen, ob solche Regeln oder solche Verbote nicht auch eine Gefahr bergen. Es könnte sein, dass man es so interpretiert, dass eben die Luft bereits kontaminiert ist, und deswegen man nicht in der freien Luft sein kann. Das Gegenteil ist aber der Fall. Der Aufenthalt in der freien Luft ist definitiv gesünder als in geschlossenen Räumen.“

Im Eilverfahren beschloss der Gesetzgeber letzte Woche Änderungen des Infektionsschutzgesetzes. Damit stellte das Parlament eine

Zitat: „epidemische Lage von nationaler Tragweite“

fest. Also eine neue Form des Ausnahmezustands. Es überträgt weitreichende Befugnisse auf den Bundesgesundheitsminister. Er darf nun Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrats erlassen und Gesetze außer Kraft setzen. Damit werde die Gewaltenteilung weitgehend aufgehoben, warnen Kritiker. Und sehr viel Macht in die Hände eines Mannes gelegt.

Uwe Volkmann, Lehrstuhl für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Universität Frankfurt: „Zu dieser Regelung haben viele meiner verfassungsrechtlichen Kollegen Stellung genommen. Ich kenne niemanden, der diese Regelung für verfassungsmäßig hält. Es ist eine Regelung von einer Tragweite, wie sie bislang nur in der Weimarer Reichsverfassung gegeben war.“

Gerhart Baum (FDP), Bundesinnenminister a. D.: „Es sind praktisch zum Teil Blankovollmachten an die Regierung. Das ist nicht im Einklang mit Artikel 80 des Grundgesetzes, das ist verfassungswidrig. Natürlich muss die Regierung handeln, aber die parlamentarische Kontrolle ist unverzichtbar – jetzt wichtiger denn je. Und sie muss in kürzeren Abständen erfolgen, alle zwei Monate zwingend.“

Der vom Bundestag angepasste § 28 Infektionsschutzgesetz greift jetzt flächendeckend in den Schutzbereich elementarer Grundrechte ein. Unter anderem Artikel 2, die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit, die Freizügigkeit, die Unverletzlichkeit der Wohnung. Ist dieser kollektive Grundrechtseingriff noch verhältnismäßig?

Uwe Volkmann, Lehrstuhl für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Universität Frankfurt: „Wir sind konfrontiert mit einer so außerordentlich großen Gefahr, dass sie unser Vorstellungsvermögen sprengt. Das rechtfertigt außergewöhnliche Maßnahmen. Aber es rechtfertigt nicht alle Maßnahmen, und rechtfertigt sie nicht unbegrenzt, und rechtfertigt sie auch nicht auf unbegrenzte Dauer. Von irgendeinem Zeitpunkt an werden wir uns fragen müssen, ob die Einschränkungen, denen wir uns alle noch ausgesetzt sehen, um der Erreichung dieses Zieles willen gerechtfertigt sind.“

Stattdessen wachsen die Begehrlichkeiten. Der Bundesgesundheitsminister würde am liebsten personalisierte Handydaten nutzen, um Kontaktpersonen von Infizierten zu finden – weit mehr als eine freiwillige App. Sein Vorstoß wurde zwar aus dem Infektionsschutzgesetz gestrichen, ist aber längst nicht vom Tisch.

Prof. Gérard Krause, Leiter Epidemiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionskrankheiten Braunschweig: „Ich habe die Sorge, dass wenn so ein System erst mal etabliert ist, dass dann die Versuchung sehr groß ist, das auf andere Indikationen auszuweiten. Das ist aus meiner Sicht absolut nicht verhältnismäßig. Und wir haben ja diese Bürgerrechte über lange Generationen erarbeitet und die brauchen wir auch, um in unserer Gesellschaft so zu funktionieren, wie wir jetzt leben. Und wegen einer relativ kurzzeitigen Epidemie, wie wir sie jetzt haben, diese aufzugeben und dann nicht mehr einfangen zu können, das halte ich für ein sehr großes Risiko.“

„Not kennt kein Gebot“, heißt es – ist das so? Wenn wir uns daran gewöhnen, dass Grundrechte in der Krise nebensächlich sind, dann wird Corona auch unserem Rechtsstaat schweren Schaden zufügen.

Georg Restle: „Zur Klarstellung: Viele der beschlossenen Maßnahmen sind aus epidemiologischer Sicht notwendig und sinnvoll. Und trotzdem drängt sich hier und da der Eindruck eines Überbietungswettbewerbs auf, der mehr mit politischer Profilierung zu tun hat als mit als effektivem Gesundheitsschutz. Und nein, Grundrechte sind kein Luxusartikel unserer Verfassung, auch nicht in Krisenzeiten.“

Kommentare zum Thema

  • A.Schmidt 16.07.2020, 20:35 Uhr

    In österreich, in Dänemark, in Schweden, in Finnland, in den Niederlanden, in Norwegen, in der Schweiz und in vielen anderen Ländern gibt es keine Maskenpflicht.Dort gibt es das gleiche Virus wie bei uns! Ich frage mich dann, was hat denn Maskenpflicht mit der Pandemie zutun? Sind wir die Deutschen zu gutgläubig und naiv, dass wir alles glauben, was die Regierung uns über die Pandemie erzählt? Wenn tatsächlich COVID-19 so gefährlich wäre, warum haben andere Länder andere Entscheidungen getroffen? Ich denke, dass die anderen Länder schon die richtigen Entscheidungen getroffen haben und unsere Regierung völlig auf dem Holzweg ist. Der Preis dafür zahlen die Bürger*innen täglich.

  • Peter Becker 12.07.2020, 11:42 Uhr

    Dieser Kommentar wurde mehrfach abgegeben und daher an dieser Stelle gesperrt. (die Redaktion)

  • Ulrich Lechner 03.05.2020, 09:29 Uhr

    Vielen Dank für diesen Artikel! Die Front gegen den Corona-Wahnsinn wächst. Die massiven Grundrechtsverletzungen müssen endlich aufhören!! Schweden macht es uns doch vor. Wer 100% Sicherheit will, die es auf diesem Planeten nicht gibt, soll sich für die Mars Expedition anmelden. Vernünftige Hygieneregeln: ja; Ausgangsbeschränkungen: Nein!