Bericht: Achim Pollmeier, Lutz Polanz, Kim Otto, Frank Konopatzki
Georg Restle: „Was wäre wenn? Auch unser nächster Film wagt einen Blick in die Zukunft. Was wäre nämlich, wenn die Integration hunderttausender Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Eritrea dieses Mal wirklich gelänge? Wenn nicht die gleichen Fehler der Vergangenheit wieder und wieder gemacht werden? Und wenn wir endlich damit aufhören würden, Zuwanderung als Problem und stattdessen als riesige Chance für dieses Land zu begreifen? Ja, was wäre dann? Achim Pollmeier, Lutz Polanz und Kim Otto zeigen Ihnen jetzt, welche Perspektiven sich diesem Land dann bieten würden. Und warum wir drauf und dran sind, sie wieder mal zu verspielen.“
Drei Tage ist Mohammed erst hier - und schon hat er einen neuen Namen. Josef will er heißen. Das klingt so schön deutsch, sogar bayerisch.
Josef (Übersetzung Monitor): „Ich mag den Namen.“
Wir sind in einer Erstaufnahme-Einrichtung für jugendliche Flüchtlinge ohne Eltern in Passau. Alle hier haben Furchtbares erlebt, viele kommen aus Syrien oder Afghanistan. Trotzdem können sie lachen und Witze machen. Sie sind froh, dass sie hier sind - und dass ihr Leben neu beginnen kann. Auf zum Deutschkurs. Englisch spricht hier eh fast jeder. Sie haben eine gute Schulbildung gehabt - doch nichts ist jetzt wichtiger, als schnell Deutsch zu lernen. Alle sind hoch motiviert, sie wollen die Chance nutzen, die das Leben ihnen doch noch gegeben hat.
Schüler (Übersetzung Monitor): „Ich will Banker werden.“
Und du?
2. Schüler (Übersetzung Monitor): „Ingenieur.“
3. Schüler (Übersetzung Monitor): „Ich will Journalist werden oder Wissenschaftler. Das mag ich.“
Prof. Andreas Pott, Migrationsforscher, Universität Osnabrück: „Wir stellen fest, dass viele der Flüchtlinge, die gegenwärtig zu uns kommen, überdurchschnittlich hoch qualifiziert sind. Und zwar sowohl akademisch, als auch Berufsausbildungen mitbringen, die dringend benötigt werden in Deutschland. Abgesehen davon wollen viele ja sozusagen bessere Lebensumstände und wollen arbeiten und möglichst auch schnell arbeiten. Und davon profitiert Deutschland sehr stark.“
Deutschland steuert auf einen Fachkräftemangel zu. Experten gehen davon aus, dass bis 2030 mehr als zwei Millionen Fachkräfte fehlen, trotz geringer Zuwanderung. Würde die Netto-Zuwanderung jedes Jahr auf 400.000 Menschen steigen, könnte dieser Mangel immerhin halbiert werden. Vielleicht ja auch mit ihrer Hilfe. Sie wissen, es ist noch ein langer Weg, um ihren Traum zu erfüllen. Aber sie sind motiviert. Und - sie sind jung. Das hier ist die Alterspyramide der deutschen Bevölkerung - immer weniger junge, immer mehr alte Menschen. Zuwanderer dagegen sind im Schnitt sehr jung, sie können den sogenannten demographischen Wandel abfedern.
Prof. Axel Plünnecke, Institut der deutschen Wirtschaft: „Die Zuwanderung ist eine Riesenchance für Deutschland. Uns kann es gelingen, genügend Fachkräfte für den Bedarf in Deutschland über die Zuwanderung zu gewinnen. Dafür brauchen wir dringend Bildung und Qualifikationsangebote. In der Vergangenheit hat die Integrationspolitik leider nicht in dem Maß funktioniert, wie wir es benötigen.“
Der nüchterne Alltag der Integrationspolitik - für diese Kinder beginnt er in der Hauptschule in Wermelskirchen bei Wuppertal. Eine sogenannte Vorbereitungsklasse, wie sie in Deutschland tausendfach existieren. Die Schüler kommen gern hierher. Aber sie stammen aus zwölf Ländern, sind zwischen elf und siebzehn Jahre alt.
Allegra Rabe, Lehrerin: „Wenn dann wirklich jetzt Leute kommen, die kein Wort Englisch, kein Wort Deutsch können, dann steh ich natürlich erstmal da und dann überlegt man, ja vielleicht noch Französisch, aber das können auch nicht viele. Also das ist für mich dann auch wirklich so, wo ich dann sage, es wird schwierig.“
16 Schüler mit gewaltigen Leistungsunterschieden. Auf jeden einzelnen einzugehen, individuelle Förderung, trotz großem Einsatz praktisch unmöglich.
Allegra Rabe, Lehrerin: „Vor zwei Wochen war es hier echt, da hatten wir fast 30 Kinder hier sitzen, das war richtig schwierig, weil ich kann mich nicht auf jeden einzelnen konzentrieren und nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen auch fördern, das schafft man alleine nicht.“
Verhältnisse wie in Wermelskirchen sind keine Ausnahme. Die Länder brüsten sich damit, neue Lehrer einzustellen, doch für die Zahl der Neuankömmlinge reicht das bei Weitem nicht. Und so wird die Lage immer schwieriger - zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen.
Dorothea Schäfer, GEW Nordrhein-Westfalen: „Es gibt ja schon lange die Situation, dass Kinder und Jugendliche aus anderen Ländern zu uns kommen. In diesen Vorbereitungsklassen hatten wir einen Schlüssel von 15 Kindern für eine Lehrerstelle. Das ist halbiert worden, sogar mehr als halbiert. Für 18 Kinder gibt es jetzt nur noch eine halbe Stelle zusätzlich und das ist eine völlig falsche Entscheidung. Wir brauchen eigentlich das andere, wir brauchen mehr Lehrerstellen und wir brauchen kleinere Gruppen. Nur dann kann es gelingen, diesen Kindern und Jugendlichen auch das Menschenrecht auf Bildung zuzugestehen.“
Eine halbe Stelle für 18 Kinder. Und wie sieht die Zukunft aus? Wir haben alle Bundesländer angefragt, wie sie auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagieren wollen. Alle wollen zwar neue Lehrer einstellen, Genaueres erfahren wir häufig nicht. Hamburg antwortet:
Zitat: „Wir sind zuversichtlich, dass wir genügend zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer finden werden.“
In Thüringen habe man den …
Zitat: „erhöhten Bedarf aufgrund der Zuwanderung bereits berücksichtigt.“
Und in Bayern hätte man sich …
Zitat: „… so gut wie möglich auf die zu erwartende Entwicklung eingestellt.“
Wir zeigen die Antworten der Länder Professor Christoph Butterwegge vom Institut für Bildungspolitik an der Universität Köln.
Prof. Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler, Universität zu Köln: „Wie die Ergebnisse der Umfrage zeigen, geben die Bundesländer zwar vor, sich der großen Herausforderung bewusst zu sein. Die meisten sind aber nicht bereit, konkrete Zusagen zu machen, im Hinblick auf Planstellen für Lehrerinnen und Lehrer, fast ganz fehlt die Bereitschaft mehr Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen einzusetzen. Unter dem Strich: Es wird zu wenig getan und zu wenig Geld in die Hand genommen, um dem Problem gerecht zu werden.“
Schlechtere Betreuungsschlüssel, kaum individuelle Förderung. Was in den eilig eingerichteten Vorbereitungsklassen beginnt, wird sich im regulären Schulbetrieb noch verstärken. Etliche Studien zeigen, dass das deutsche Schulsystem den Aufstieg und die Integration von Zuwanderern eher hindert als fördert. Von den jungen Erwachsenen ohne Migrationshintergrund haben über 30 Prozent einen Hochschulabschluss oder einen Meisterbrief. Mit Migrationshintergrund ist der Anteil nicht einmal halb so hoch.
Prof. Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler, Universität zu Köln: „Kaum ein Bildungssystem auf der Welt ist so selektiv wie das Deutsche. Migranten und Kinder mit Migrationshintergrund werden kaum gefördert, ja zum Teil sogar durch die Institution Schule diskriminiert. Wenn sich daran nichts ändert und wenn wir nicht viel Geld in die Hand nehmen, um das zu ändern, vergibt die Gesellschaft eine riesige Chance.“
In zwei Wochen wird Josef die Erstaufnahme verlassen - in irgendeine bayerische Stadt an irgendeine Schule. Er will seine Chance in Deutschland nutzen. Die Frage ist, ob er sie auch bekommt.
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