MONITOR vom 18.05.2017

Ohne Geld kein Mandat? Die teure Mitgift der Bundestagskandidaten

Bericht: Martin Suckow, Kim Otto

Ohne Geld kein Mandat? Die teure Mitgift der Bundestagskandidaten Monitor 18.05.2017 07:16 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Und da wären wir schon beim nächsten Thema. Eines, über das die großen Parteien in Deutschland am liebsten schweigen würden. Denn eigentlich sollte man ja davon ausgehen, dass jeder Mensch in Deutschland die gleichen Chancen hat, für den Bundestag zu kandidieren. Stimmt aber nicht, denn vor allem die großen Parteien erwarten von ihren Kandidaten regelmäßig jede Menge Geld. Bis zu 70.000 Euro sollen Bundestagskandidaten für den Wahlkampf bezahlen. Kann sich natürlich nicht jeder leisten, und deshalb führt dieses sogenannte Brautgeld auch dazu, dass Geringverdiener deutlich schlechtere Chancen haben in den Bundestag einzuziehen. Da sitzen dann - wen wundert’s - vor allem die Besserverdienenden. Martin Suckow und Kim Otto berichten.“

Blumen fürs Wahlvolk, denn nur auf die Themen setzen - das reicht nicht. CDU-Kandidat Björn Franken vor ein paar Tagen, im NRW-Wahlkampf. Sein Wahlkreis Rhein-Sieg I ging bei der letzten Landtagswahl an die SPD. Franken kämpft, damit das diesmal anders wird. Und es ist nicht nur seine Zeit, die er investiert.

Reporter: „Was müssen Sie denn so selbst bezahlen für den Wahlkampf?“

Björn Franken (CDU): „Ja, genaue Summen stehen noch nicht fest, ich würde sagen, es gibt Leute, die sich davon ein kleines, neues Auto kaufen.“

Reporter: „Was heißt das in Zahlen?“

Björn Franken (SPD): „Ja so 20.000 Euro bis 30.000 Euro kann man sicherlich rechnen.“

Dass er überhaupt selbst investiert, ist aber nicht nur seine Entscheidung.

Reporter: „Das erwartet auch die Partei, dass Sie jetzt auch Geld in Ihren Wahlkampf stecken?“

Björn Franken (SPD): „Natürlich. Also jeder Kandidat sollte Geld mitbringen, die Bereitschaft muss da sein. Die Höhe, das kann dann jeder selber entscheiden. Das kommt natürlich auch so ein bisschen auf die Gegebenheiten an, was für ein Wahlkreis ist es, muss man viel aufwenden oder wenig?“

Eigenes Geld für den Wahlkampf? Damit ist Björn Franken nicht allein. Monitor-Recherchen ergeben: Viele Kandidaten, die für CDU und SPD in NRW einen Wahlkreis erobern wollten, zahlten selber. Auch wer 2013 in den Bundestag wollte, griff tief in die Tasche. Mit Privatinvestitionen von nicht weniger als 48.000 Euro liegen zwei CSU-Kandidaten an der Spitze. Durchschnittlich zahlen die Kandidaten von CSU, CDU und SPD am meisten. Denn vor allem sie haben Chancen auf den Gewinn eines Wahlkreises. Das ist das Ergebnis der Deutschen Kandidatenstudie. Bernhard Weßels hat sie ausgewertet. Eine Befragung unter allen Kandidaten bei der Bundestagswahl 2013.

Prof. Bernhard Weßels, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung: „Dass man an das eigene Portemonnaie geht, finde ich dann schon irritierend. Wenn man dann auch noch sagen muss, dass die Portemonnaies der Leute unterschiedlich groß sind, dann haben wir da ein Problem.“

Eine wissenschaftliche Untersuchung der Universität Frankfurt kommt sogar auf noch höhere Summen. Hier wurden nicht die Kandidaten, sondern die Parteivertreter befragt. Ergebnis: Für die Parteien ist eine finanzielle Eigenbeteiligung oft eine „Grundvoraussetzung“ dafür, dass jemand überhaupt als Kandidat aufgestellt wird.

Zitat: „So wird von den Direktkandidaten erwartet, dass sie sich nicht nur zeitlich intensiv im Wahlkampf engagieren, sondern insbesondere auch finanziell einen Großteil der Kosten übernehmen.“

Laut Studie beziffern die zuständigen Parteivertreter von CDU, CSU und SPD diese privaten Kosten der Bewerber mit

Zitat: „… mindestens 10.000 Euro bis nicht selten 70.000 Euro“.

Summen, die viele Bewerber abschrecken dürften, selbst wenn sie in dieser Höhe nicht ausdrücklich verlangt werden sollten.

Tim Spier, Politikwissenschaftler Universität Siegen: „Wenn aber die Chance, von einer Partei als Kandidat aufgestellt zu werden, vom Geldbeutel abhängt, dann haben wir ein erhebliches demokratietheoretisches Problem. Dann setzen sich nämlich die etwas wohlsituierteren, die reicheren Bevölkerungsgruppen in den Parteien durch.“

Und nicht Menschen wie Barbara Roth aus München. Sie wollte politisch aktiv werden, trat in die CSU ein, und interessierte sich für ein Landtagsmandat. Roth führte Vorgespräche, unter anderem mit ihrem Kreisverband. Aber dann hätten Delegierte die Summe von 100.000 Euro erwähnt, die sie selbst mitbringen müsse. 100.000 Euro? Auf Monitor-Anfrage wollte die CSU dazu keine Stellung nehmen. Barbara Roth fühlte sich als Alleinerziehende jedenfalls abgeschreckt - und verzichtete auf die Kandidatur.

Barbara Roth (CSU): „Für mich war es einfach auch Enttäuschung und auch … ich bin ein sehr politisch denkender Mensch, und ich finde es für die Repräsentation der Bevölkerung nicht gut. Es müssen alle Bereiche der Bevölkerung im Landtag vertreten sein, und welche Alleinerziehende hat mal 100.000 Euro übrig, um einen Wahlkampf zu wagen?“

Die hohen finanziellen Eigenbeteiligungen dürften sich auch auf die Zusammensetzung des Bundestags auswirken. Fest steht, das Parlament ist alles andere als repräsentativ für die Bevölkerung. Von den insgesamt 630 Abgeordneten sind 183 Beamte und 148 Selbstständige. Völlig unterrepräsentiert dagegen Hausfrauen, und auch Arbeiter. Olaf Mangold wollte gerne im Parlament vertreten sein. Er hatte gedacht, dass es seiner Partei, der SPD, nur um Inhalte gehen würde - als er sich aufstellen ließ als Direktkandidat in Brandenburg, bei der Bundestagswahl 2013. Doch es war anders. Hier in seinem Keller stapelten sich die Broschüren. Die Unterstützung durch sein Team war zwar groß, doch das reichte nicht. Um die 10.000 Euro steckte er selbst in den Wahlkampf, sogar Schulden machte der Angestellte damals.

Reporter: „Sind Sie direkt gefragt worden, ob Sie privates Geld mit reinbringen können?“

Olaf Mangold (SPD): „Ja, das bin ich in mehreren Runden, im Vorwege in den Vorstellungsrunden, immer wieder mal gefragt worden, ja.“

Reporter: „Wie fanden Sie das damals, als das gefragt worden ist?“

Olaf Mangold (SPD): „Ich persönlich immer irritierend.“

Reporter: „Warum?“

Olaf Mangold (SPD): „Weil es ums Thema soziale Gerechtigkeit geht und nicht um finanzielle Mittel der Kandidaten.“

Wie aber kann es sein, dass die Parteien überhaupt erwarten, dass Menschen wie Barbara Roth, Olaf Mangold und Björn Franken eigenes Geld in den Wahlkampf stecken? Schließlich bekommen alle Parteien mehr als 160 Millionen Euro pro Jahr vom Staat - vor allem auch, um ihre Wahlkämpfe zu bezahlen.

Tim Spier, Politikwissenschaftler Universität Siegen: „Historisch betrachtet ist die Parteienfinanzierung im Kern eigentlich auch eine Wahlkampfkostenerstattung. Insofern kann man schon von den Parteien erwarten, dass sie für die Kosten, die ihren Kandidaten im Wahlkampf entstehen, aufkommen.“

Monitor hat in den Parteizentralen angefragt, warum von Kandidaten eine so hohe Eigenfinanzierung ihres Wahlkampfes erwartet wird. Die Unionsparteien wollten dazu kein Statement abgeben. Von der SPD heißt es, zu Studien, die man nicht kenne, äußere man sich nicht. Generell aber sei für die Finanzierung von Wahlkämpfen die Partei zuständig. Klingt gut, doch die Realität, die sieht bei den Parteien anders aus. Die Investition von Björn Franken jedenfalls hat sich vermutlich gelohnt: Seinen Wahlkreis in NRW hat er gewonnen. Für Olaf Mangold, der seinen Wahlkreis vor vier Jahren verloren hat, kam eine Kandidatur bei der diesjährigen Bundestagswahl nicht in Frage. Zu groß der Zeitaufwand, zu teuer der Wahlkampf. Und Barbara Roth begnügt sich mit Lokalpolitik. Sie glaubt, dass eine Kandidatur für ein Landtagsmandat für sie auch in Zukunft nicht möglich sein wird - und das allein des Geldes wegen.

Kommentare zum Thema

  • Ulrich Seibert 08.02.2021, 15:02 Uhr

    Ich bin gerade etwas irritiert. Hier wird behauptet: "Ergebnis: Für die Parteien ist eine finanzielle Eigenbeteiligung oft eine „Grundvoraussetzung“ dafür ...", Betonung auf "die Parteien". Damit sind expressis verbis ALLE Parteien gemeint. Bei so einer steilen These muss MONITOR jetzt schon Belege liefern, zumindest für die im Bundestag vertretenen Parteien, inwieweit diese Aussage WIRKLICH auf alle Parteien, auch auf die GRÜNEN oder die LINKEN oder die PARTEI zutrifft. Ansonsten wäre eine solche Aussage unseriös.

  • Jens Adolf FRESE 08.08.2017, 08:58 Uhr

    Falls das stimmt hat das nichts aber wirklich gar nichts mit Demokratie zu tun. Dann sind wir genau da wo wir um 1700 herum aufgehört haben. Man kauft sich seinen Posten denn das heißt im Grunde genommen wenn ich Millionär wäre, könnte ich mir damit mein Sitz im Parlament kaufen. Da geht es also nicht um die besseren Ideen sondern lediglich um das größere Portemonnaie. Das ist ekelerregend und schlimm damit ist geklärt, wie es eben zu solchen Verfehlungen wie Hartz IV Agenda 20 10 und all den Kürzungen im Sozialbereich kommt. Damit ist geklärt was es mit diesem Land auf sich hat. Es hat sich faktisch nichts geändert. Dies ist das Land in den Händen von den Grafen Baronen und Fürsten nur den Namen heißen anders.

  • EGartner 09.06.2017, 16:29 Uhr

    So ist es also ein Geschäftsmodell mit privatem Risikokapital ! Wie auf dem "freien Markt" ! Und wer kreditwürdig ist, über ausreichend Vermögen verfügt, darf einsteigen. Wer Erfolg hat, wechselt nach erfolgreicher Lobbytaetigkeit, als Gewählter, und als aufgestellter Spitzenkandidat ihrer Partei - in die Privat-Industrie, wie Pofalla, Steinbrück,.... Lebendige Demokratie, gelebte freie Marktwirtschaft, oder? Demokratie und Gerechtikeit in Gefahr !