MONITOR vom 27.09.2018

Billig entsorgt: Wie sich BP krebserzeugender Raffinerierückstände entledigt

Bericht: Jochen Taßler, Lutz Polanz, Jürgen Döschner

Billig entsorgt: Wie sich BP krebserzeugender Raffinerierückstände entledigt Monitor 27.09.2018 07:03 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

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Georg Restle: „In unserer nächsten Geschichte geht es um jede Menge Unverfrorenheit. Dass in einem deutschen Kohlekraftwerk seit Jahren giftiger, krebserregender Abfall verbrannt wird, der eigentlich in eine Sondermüll-Verbrennungsanlage gehört, wäre ja an sich schon ein Skandal. Was uns allerdings sprachlos gemacht hat: Mit welcher Raffinesse ein Großkonzern dabei vorgegangen ist, und das auch noch mit Unterstützung der zuständigen Behörde. Jochen Taßler, Jürgen Döschner und Lutz Polanz zeigen Ihnen jetzt, wie aus gefährlichem Müll in ganz normales Produkt wurde, ohne irgendetwas daran zu verändern. Und nein, dabei geht es nicht um Zauberei.“

Gelsenkirchen. Die Ruhr Oel Raffinerie. Heute in Besitz des Energiegiganten BP. Seit den 30er Jahren wird hier Rohöl verarbeitet. Zu Heizöl zum Beispiel, oder zu Sprit für Autos. Ein wichtiges Geschäft - und ein schmutziges. Denn in der Produktion fallen auch giftige Stoffe an. Stoffe wie diese. So genannte Öl-Pellets. Vollgepumpt mit Schadstoffen und Schwermetallen wie Vanadium und Nickel. Hochgradig krebserzeugend. Mehrere Gutachten bezeichnen die Pellets als „gefährlichen Abfall“. Die sauberste Lösung wäre, sie in eine Sondermüllverbrennungsanlage zu bringen. Aber die Pellets werden gleich nebenan verbrannt. In einem ganz normalen Kohle-Kraftwerk, das heute Uniper gehört. Tonnenweise. Beigemischt zur Kohle, die hier verfeuert wird.  Alles rechtens, sagt die zuständige Kontrollbehörde, solange das Kraftwerk die Grenzwerte einhalte. Experten halten das für unverantwortlich.

Hermann Kruse, Toxikologe: „Nach meiner Auffassung müssten die mit Schadstoffen hoch belasteten Pellets in einer Sondermüllverbrennungsanlage entsorgt werden und nicht einer Kohle beigemischt werden, weil das zu einer zusätzlichen Belastung der Außenluft führt und damit eben das Krebsrisiko in der Bevölkerung erhöht.“

Wie aber wurde aus einem giftigen und krebserzeugenden Rückstand, den Experten als Sonderabfall betrachten, ein Produkt, das in einem normalen Kraftwerk verbrannt werden kann?

MONITOR liegen umfangreiche, interne Dokumente von BP vor. Sie zeigen, wie der Konzern das gemacht hat. Ganz diskret. Und in enger Absprache mit der Kontrollbehörde. Aber der Reihe nach. Anfang 2009 trifft sich bei BP in Gelsenkirchen eine Taskforce. Eigens gegründet, denn es gibt ein Problem. Das Kraftwerk will plötzlich nur noch einen Bruchteil der bisherigen Pellets verbrennen. Der Rest muss jetzt anderweitig entsorgt werden. Und das kostet. Im schlimmsten Fall, heißt es in einer internen Präsentation, würde die 

Zitat: „Entsorgung ausschließlich in Sondermüllverbrennungsanlagen ((…) ca. 18 - 20 Mio. €/Jahr)“ kosten.

Für BP zu teuer. Und so kommt die Taskforce auf eine Idee. Der Abfall soll ein Produkt werden. Die Pellets könnten dann leichter vermarktet werden. Ein lukrativer Gedanke. Aber bei BP weiß man, das geht nicht ohne Genehmigung der Kontrollbehörde. Die Taskforce formuliert es so:

Zitat: „Ziel: Behörde muss das Gemisch „Pellets“/Flugasche“ als ein „Regelbrennstoff“ für Kraftwerke akzeptieren.“

Hinter den Kulissen nimmt BP Kontakt zur zuständigen Kontrollbehörde auf, der Bezirksregierung Münster. Was genau besprochen wird, ist unklar. Aber siehe da, nur ein paar Monate später vermeldet BP intern einen überraschenden Erfolg in Sachen Pellets:

Zitat: „Es wurde vereinbart, dass (…) diese als Produkt anzusehen sind (dies wollte Bezirksregierung allerdings nicht schriftlich bestätigen).“

Kurz darauf tut sie es. Und die Pellets werden offiziell ein Produkt. Mit einem Haken: Krebserzeugend sind sie immer noch. Für mögliche Abnehmer, Kraftwerksbetreiber etwa, ein No-Go. Die Dokumente zeigen, dass RWE sich deshalb weigerte, die Pellets abzunehmen. Und wieder kam die Taskforce ins Spiel. Aus dem krebserzeugenden Produkt sollte nun ein weitgehend harmloses werden. Man deklarierte die Pellets also um. Nur für den Effekt, glauben Experten.

Prof. Martin Führ, Umweltrechtler: „Auf einmal war es nicht mehr Abfall, sondern ein Produkt und man hat es als Petrolkoks umdeklariert. Man kennt es auch der Werbung, Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix. Und so war es hier auch. Der, der Gegenstand ist exakt der gleiche.“

Die Pellets bekamen offiziell neue Papiere. Nun hießen sie Petrolkoks. Ein völlig anderes Produkt, allgemein anerkannt als weitgehend harmlos. Die Pellets gehörten nun auch in diese Kategorie.“

Der renommierte Umweltrechtler Martin Führ ist überzeugt, das hätte so niemals stattfinden dürfen. Er hält das Vorgehen für illegal. Es sei ein Verstoß gegen die Vorgaben der europäischen Chemikalienverordnung REACH.

Prof. Martin Führ, Umweltrechtler: „Nach den Unterlagen ist klar, BP wusste, dass es sich nicht um Petrolkoks handelt und hat es trotzdem als solchen deklariert, und das ist eine vorsätzliche Falschdeklaration und damit ein Inverkehrbringen entgegen der Pflichten aus REACH.“

Reporter: „Und das heißt?“

Prof. Martin Führ, Umweltrechtler: „Das heißt, hier droht eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren.“

BP möchte MONITOR zu all dem kein Interview geben. Auf Anfrage weist man alle Vorwürfe zurück und betont, alle gesetzlichen Vorgaben würden eingehalten. Die Pellets seien „zielgerichtet“ als Nebenprodukt hergestellt worden. Und die Eigenschaften der Pellets kämen „denen von Petrolkoks sehr nahe“. Eine Argumentation, die offenbar selbst der damalige Abfallbeauftragte von BP nicht teilt. Er gab später zu Protokoll:

Zitat: „Der (…) Begriff Petrolkoks ist m. E. unzutreffend. (…) Aus meiner Sicht hing diese Umbenennung damit zusammen (…) dass man seinerzeit bestrebt war, die Ölpellets von der Entsorgungsschiene zu nehmen und zu einem Produkt zu machen.“

Von der Entsorgungsschiene nehmen. Dass die Behörden das einfach so akzeptiert haben, hält Martin Führ für nicht nachvollziehbar.

Prof. Martin Führ, Umweltrechtler: „Das hätte auch der Bezirksregierung klar sein müssen und dann hätte sie auch entsprechend handeln müssen und den Betrieb des Kraftwerks mit diesen illegal in Verkehr gebrachten Stoffen untersagen müssen.“

So die Einschätzung des Experten. Auf Nachfrage betont die Bezirksregierung, alles sei rechtens.

Immissionsschutzrechtlich sei es auch …

Zitat: „nicht relevant, ob die eingesetzten Ölpellets als Abfall oder als Nebenprodukt eingestuft sind.“

Uniper verweist auf die gültige Genehmigung. Und so werden hier in Gelsenkirchen weiter giftige Öl-Pellets verbrannt. Unter harmlosem Namen und auf dem Papier ungefährlich. Die Menschen in der Umgebung dürfte das kaum beruhigen.

Kommentare zum Thema

  • Anonym 12.01.2020, 20:02 Uhr

    Ich bin fassungslos, wie wir mit Billigung von Behörden, die uns eigentlich schützen sollen, täglich vergiftet werden. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen an Krebs erkranken. Und diese Verbrecher haben mit keinen wirklichen Strafen zu rechnen. Das ist doch eine Ermunterung so weiter zu machen. Ich möchte gerne wissen an welchen Orten diese Abfälle verbrannt wurden. Die Menschen haben ein Recht auf Information, damit sie wenigstens versu hen können sich zu wehren.

  • Neumann Erich 05.10.2018, 11:39 Uhr

    ... mit Fragen wie dieser und einem konkreten Komplex dazu beschäftigt sich [Link entfernt. Bitte beachten Sie die Regeln fürs Kommentieren (https://www1.wdr.de/daserste/kommentarknigge102.html). Anm. der Redaktion] Die reine non-profit Initiative zur Selbsthilfe mit den, für Betroffene, Geschädigte und Opfer dort Eintretenden wendet sich gegen die Gesundheits- und Umweltgefahren nach Verkauf militärischer Liegenschaften, welche aufgrund deren unzureichender Sanierung trotz geflossener und versickerter EU-Konversionsmittel in Milliardenhöhe bei zudem erheblichen Defiziten bzgl. der NATO Freigaben bestehen. 2008, als eine Million noch sehr viel Geld und wir noch nicht über die Finanzkrise auf Milliarden konditioniert waren, erschien dieser Artikel [Link entfernt] in der Junge Freiheit, welche den Finger in eine ansonsten unbeachtet bleibende Wunden legte. Wann also machen wir uns daran, diese Missstände zu beenden?

  • Neumann Erich 05.10.2018, 11:35 Uhr

    Das hat Parallelen dazu, dass auch diese Arroganz der ADAC war und ist: [Link entfernt. Bitte beachten Sie die Regeln fürs Kommentieren (https://www1.wdr.de/daserste/kommentarknigge102.html). Anm. der Redaktion]! Weshalb beginnt das allgemeine (Mainstream)Medienerwachen eigentlich immer erst, wenn das Kind längst in den Brunnen gefallen und ertrunken ist? Ehrlich engagiertes Selbstverständnis der 4. Gewalt sieht anders aus bsw. auch die Aufklärung, zur Vorbildreaktion von Ausnahmeunternehmer Ernst Prost [Link entfernt] und Alternativen wie aktuell am Markt: [Link entfernt], wie ...