MONITOR vom 27.04.2017

BKA-Gesetz & Co.: Unschuldige im Visier?

Bericht: Jochen Taßler, Christian Bergmann

BKA-Gesetz & Co.: Unschuldige im Visier? Monitor 27.04.2017 08:03 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Was ist eine kriminelle Scheinkarriere? Ganz einfach: Das was jedem völlig unbescholtenen Bürger drohen kann, wenn polizeilich gesammelte Daten sich plötzlich selbständig machen. Wenn Zufallskontakte der Polizei plötzlich verdächtig erscheinen oder man sich schlicht zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort befunden hat. Dann könnte aus jedem von uns ein Scheinkrimineller werden, und das könnte ziemlich unangenehme Folgen haben. Das Risiko, dass Ihnen das passieren könnte, ist seit heute jedenfalls deutlich größer geworden. Denn heute hat der Bundestag eine ganze Reihe von Sicherheitsgesetzen verabschiedet, die nicht nur für Datenschützer zum reinsten Alptraum werden könnten. Jochen Tassler und Christian Bergmann.“

Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. Zwölf Menschen sterben. Es ist der erste große islamistische Anschlag auf deutschem Boden. Nein, das Land hat er nicht verändert. Aber seitdem geht es in der Politik vor allem um ein Thema - Sicherheit. Lea hat mit all dem nichts zu tun. Mit dem Anschlag nicht. Mit der Politik nicht. Und doch bekommt sie die Folgen zu spüren. Sie wird von einer Unschuldigen zu einer Verdächtigen. Sie wird überwacht. Bleibt über Jahre im Visier von Ermittlungsbehörden. Lea ist ein fiktives Beispiel. Aber eins, das schon bald Realität werden könnte - tausendfach. Und das hat vor allem mit einem Gesetz zu tun, das heute im Bundestag verabschiedet wurde. Für den Innenminister ein Meilenstein.

Thomas de Maizière (CDU), Bundesinnenminister: „Es geht um weit mehr als um die Umstrukturierung eines Gesetzes. Es geht um nichts weniger als um die Zukunft deutscher Polizeiarbeit.“

Das neue BKA-Gesetz. Darin geht es vor allem um den Aufbau einer völlig neuen IT-Infrastruktur für die Polizei. Bislang arbeiten Bund und Länder mit verschiedenen Systemen und Datenbanken. Anlassbezogen und zweckgebunden. Das mache es Ermittlern oft schwer, Informationen über Verdächtige zusammenzuführen, heißt es. Deshalb soll alles nun zu einem einheitlichen System verschmolzen werden, angesiedelt beim BKA.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), ehem. Bundesjustizministerin: „Wir bekommen einen Datenpool, der unermesslich ist, der Daten in weitester Form speichern wird und zur Verwendung bereitstellen wird.“

Nikolaos Gazeas, Rechtsanwalt und Strafrechtsexperte Dt. Anwaltsverein: „Schon, wenn jemand bloß als Zeuge in Betracht kommt oder in irgendeiner Art und Weise Kontakte zu einer beschuldigten Person hat, kann er in diese Datenbank aufgenommen werden.“

Was das heißen kann, zeigt das Beispiel Lea. Für sie kann es schon reichen, regelmäßig mit dem Falschen zu telefonieren. Mit einem Freund zum Beispiel, der in der Datenbank gespeichert ist. Dann kann auch Lea mit ihren persönlichen Daten in der Datenbank landen, ohne es überhaupt zu wissen. Die Bundesregierung wiegelt ab. Das Gesetz sehe schließlich keine neuen Speicherbefugnisse vor. Es gehe lediglich darum,

Zitat: „… personen- und ereignisbezogene Daten zusammenzuführen und phänomenübergreifende Zusammenhänge besser zu erkennen.“

Heißt etwa: Wenn jemand dealt, um Geld zur Terrorfinanzierung zu verdienen, sollen Ermittler das leichter erkennen können. Ein sinnvolles Ziel. Aber was, wenn man unschuldig ins System gerät? Einmal gespeichert, können Leas Daten im Datenpool mit denen anderen Personen verknüpft werden. Und zwar weitreichender als zuvor. Eine digitale Rasterfahndung. Hat der Freund über Freunde von Freunden etwa Kontakt zu einem Terrorverdächtigen, kann auch Lea verdächtig werden. Anlässe, Personen, Orts- und Verbindungsdaten. Alles kann erfasst werden, teilweise ohne konkreten Verdacht, sogar präventiv - mit Big Data und Analyse-Software. Die Opposition im Bundestag sieht rechtsstaatliche Grundprinzipien in Gefahr.

Konstantin von Notz (B‘90/Grüne): „Daten darf man nicht erheben von jemandem, der dafür keinen konkreten Anlass gibt. Daten, die ich erhebe, die müssen gelöscht werden. Das Ganze muss geeignet und verhältnismäßig sein. Und all diese Grundsätze, die so wichtig sind, die werden eben peu à peu aufgebohrt.“

Das Ausmaß der möglichen Überwachung und Verknüpfung haben auch namhafte Gutachter im Bundestag massiv kritisiert. Der Gesetzgeber gebe den „Interessen der Sicherheitsbehörden umfassend den Vorrang“, schreibt einer. Die Bundesdatenschutzbeauftragte kommt zu dem Schluss, die vollständige Abkehr vom bisherigen Dateiensystem sei „nicht notwendig, zu undifferenziert und daher abzulehnen“. Leas Daten werden mit immer neuen Personen verknüpft, können auch in Ermittlungen zu völlig unterschiedlichen Delikten genutzt werden. Obwohl sie nichts getan hat, wird Lea immer „polizeibekannter“. Einmal verdächtig, dürfen Fahnder in ihrer Akte auch „ermittlungsunterstützende Hinweise“ vermerken. Keine Fakten, persönliche Einschätzungen. Ordnet ein Beamter Lea etwa einer radikalen Szene zu, darf er das notieren. Auch ohne Beleg.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), ehem. Bundesjustizministerin: „Die große Gefahr ist, dass Menschen erfasst werden, die gar nichts mit Kriminalität und Terrorismus zu tun haben. Und dass losgelöst von allen Fakten daraus sogenannte kriminelle Feindkarrieren entstehen.“

Die Bundesregierung sagt auf Anfrage, sie sehe den Datenschutz gewahrt und verspricht ein modernes Zugriffsmanagement, das allzu weitreichende Zugriffe verhindere. Wie genau, ist aber noch offen. Technisch stehe man noch am Anfang der Vorbereitungen, heißt es.

Constanze Kurz, Chaos Computer Club: „Man holt also sehr verschiedene Domänen zusammen, also wie jemand heißt, wie er sich möglicherweise im normalen Raum bewegt, wie er sein Telefon benutzt und Metadaten dazu, sein Surfverhalten. Möglicherweise noch andere Kommunikationsprofile. Dahinter steckt natürlich die Hoffnung - die kommt so ein bisschen aus der Science Fiction - man gibt ganz viele Daten da rein und ein magischer Algorithmus schmeißt die gefährlichen Menschen raus. Aber das ist natürlich Unsinn.“

Für Unschuldige wie Lea hat das womöglich sehr konkrete Auswirkungen. Leas Handy und ihr Computer könnten überwacht werden, ihre Online-Kontakte. Vielleicht bekommt sie keine Arbeitserlaubnis in sicherheitsrelevanten Bereichen mehr. Oder es gibt Probleme bei Einreise, Visa und Flügen.

Constanze Kurz, Chaos Computer Club: „Die Kollateralschäden, da hat man zum Beispiel die einzelnen Bürger, die in diesen Daten landen. Und im Übrigen lässt sich ganz gut ablesen, an den Hunderttausenden Menschen, die mittlerweile ind verschiedenen No-Fly-Lists sind und plötzlich an irgendwelchen Flughäfen abgewiesen werden und nicht mehr wissen, warum.“

Und mit den technischen Möglichkeiten wächst auch die staatliche Sammelgier. Überall entstehen neue Datentöpfe. Am Bahnhof Südkreuz in Berlin etwa testet die Bundesregierung ab Herbst intelligente Videoüberwachung. Bewegungsprofile sollen angelegt, auch automatisierte Gesichtserkennung soll getestet werden. Die Bundesregierung will so Terror verhindern. Wie mit so vielen Gesetzen, die allein in dieser Legislatur auf den Weg gebracht wurden: Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Telefondaten etwa, das Abhören weiter Teile des Internetverkehrs durch das BND-Gesetz, automatisierte Kennzeichenerfassung an Grenzen, erleichterte Videoüberwachung, biometrische Passdaten für Polizei und Geheimdienste, das Auslesen von Handys von Flüchtlingen, der Einsatz von Staatstrojanern zum Ausspionieren von Rechnern, auch bei Alltagskriminalität.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), ehem. Bundesjustizministerin: „Ich habe noch nie eine Gesetzgebung erlebt, die so gehäuft Freiheitsrechte einschränkt und alles einer Sicherheit unterordnet. Die aber durch diese Eingriffe den besten Umfang gewährleistet wurden.“

Alles für das große Versprechen von mehr Sicherheit. Aber bringen alle diese Maßnahmen wirklich mehr Sicherheit? Diese Frage wird kaum noch gestellt. Beim Anschlag am Breitscheidplatz zumindest gab es kein Erkenntnisproblem. Der Attentäter war bekannt und auf dem Schirm. Man hat nur nicht rechtzeitig eingegriffen.

Georg Restle: „Ob das neue Gesetz Bestand hat, ist übrigens alles andere als sicher. Einige Juristen haben bereits angekündigt, dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht Klage einzulegen.“

Kommentare zum Thema

  • Irene Latz 27.07.2017, 22:53 Uhr

    Ich möchte in diesem Zusammenhang informiert werden, wie die Klagen der Journalisten ausgehen werden, die beim G20 Gipfel in Hamburg an ihrer Arbeit gehindert wurden, weil sie durch für mich nicht nachvollziehbare - und ich gehe davon aus, unzutreffende - Einschätzungen als "Gefährder" galten, für die man nicht genug Sicherheitskräfte zur "Aufsicht" bereit hatte, und die deshalb zu bestimmten "Pool"-Presseterminen nicht zugelassen wurden. --- Für mich wäre bedeutend, dass dieses Muster, welches wir in der Türkei, in Polen, in Ungarn, in Großbritannien sehen: Journalisten und Opposition zu "Gefährdern" zu erklären, um sie auszuschalten, in Deutschland unmöglich gemacht wird, denn sonst verlieren wir die Werte des Grundgesetzes. --- Fake-news des "B.f.V": "Landesverrat" gegen netzpolitik.org, und "russischer Agent" (+Verbannung) gegen Edward Snowden einerseits, das BKA-Aussperren von Pressephotographen andererseits: - ... haben wir nun aus unserer Geschichte gelernt, oder nicht ?

  • KI-Kritiker 12.06.2017, 11:34 Uhr

    Die Verknüpfung von Daten ermöglicht es uns und unserer Privatsphäre auszuspähen. Die statistischen Methoden und das Parallel-Computing stehen heute dafür bereit uns mehr denn je zu einem digital abgespeicherten "Schubladen-Menschen" zu machen. Google und Facebook machen mit Massen von Menschen und diesen KI-Algorythmen Versuche und Auswertungen. Wenn der Staat dies nicht unterbindet, dann ist er ein Mittäter an der geheimen Manipulation von uns allen. Die moderne "Rasterfahndung" nach kriminellen ist im Vergleich zu den Kooperationen der NSA und Google noch durch unsere Verfassung eingeschränkt. Wir fordern endlich eine Gesetzgebung, die Google und Facebook das Handwerk legt und einen eigenen Sozial-Server in Europa der die europäischen Datenschutz-Bestimmungen strikt einhält. Dann ist der este Schritt getan um unsere Privatsphäre wieder schützen zu können. Also: Weg mit Facebook und sucht Eure Sachen nicht mit Google! Stell Dir vor es gibt Google und keiner sucht bei den ...

  • "Keine Freiheit ohne Sicherheit" W. von Humboldt 04.05.2017, 09:00 Uhr

    Das "Böse" lauert auf Seiten des Staates im Köstüm der Sicherheitsbehörden, die Gefahren minimieren und Schaden vom Volke abwenden sollen! Mit diesem Beitrag wird einmal mehr ganz gezielt das Angst-Gespenst vom allmächtigen/-wissenden Polizeistaat geschürt! Dazu werden auch gerne deplatzierte Begrifflichkeiten verwendet. Mit Angst und Schrecken Einfluss auf die Meinungsbildung der Bürger zu nehmen, ist purer Populismus!