MONITOR vom 14.03.2019

Angriff auf Attac: Was heißt hier eigentlich gemeinnützig?

Bericht: Herbert Kordes, Palina Milling

Angriff auf Attac: Was heißt hier eigentlich gemeinnützig? Monitor 14.03.2019 06:23 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Herbert Kordes, Palina Milling

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Nicht einschüchtern lassen! Das haben sich jetzt auch die Mitglieder der Organisation „Attac“ auf die Fahne geschrieben, die sich seit vielen Jahren kritisch mit den Folgen der Globalisierung auseinandersetzen, gegen Ausbeutung kämpfen oder für gerechte Steuern. „Nicht gemeinnützig!“ urteilte jetzt der Bundesfinanzhof, weil dieses Engagement offenbar nichts mit dem selbstlosen Einsatz fürs Allgemeinwohl zu tun habe. Stellt sich die Frage, wer oder was gilt in diesem Land überhaupt als gemeinnützig und warum gilt es für eine Lobbyplattform der Rüstungsindustrie, nicht aber für eine NGO wie „Attac“? Palina Milling und Herbert Kordes.“

Sie sind an diesem Tag nicht viele - aber sie sind laut: Aktivistinnen von „Attac“ letzten Freitag in Frankfurt. Sie sind unterwegs im Bankenviertel, demonstrieren am internationalen Frauentag gegen Ausbeutung durch globalisierte Märkte - und sind noch immer entsetzt über das Urteil des Bundesfinanzhofs, der „Attac“ die Gemeinnützigkeit abgesprochen hat.

Stephanie Handtmann, Attac: „Mein erster Gedanke, als ich das Urteil gelesen hab, war, das ist ja völlig absurd. Eine Organisation, die sich gegen Steuerflucht einsetzt, für Steuergerechtigkeit, für einen gerechten Welthandel. Dass so einer Organisation die Gemeinnützigkeit abgesprochen wird, wo wir tatsächlich selbstlos uns für eine gerechte Gesellschaft einsetzen, das ist verrückt.“

„Attac“ ist in Deutschland seit 19 Jahren aktiv. Der Verein protestierte gegen die Atomkraft, plädierte für eine Finanztransaktionssteuer, kämpfte gegen das Freihandelsabkommen CETA oder für mehr Steuergerechtigkeit. Aus Sicht des Bundesfinanzhofes hat „Attac“ damit den Bogen überspannt, denn: zur Gemeinnützigkeit gehöre eines nicht:

Rudolf Mellinghoff, Präsident Bundesfinanzhof 26.02.2019: „Dazu gehört nicht die allgemeine politische Betätigung auf allen möglichen Feldern, sondern nur im Rahmen der präzise benannten Zwecke des § 52 der Abgabenordnung. Und „Attac“ hat diesen Rahmen überschritten.“

Nach dem Urteil gilt die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von „Attac“ als sicher. Das hat für den Verein schwere Folgen, keine Steuervorteile mehr, keine Quittungen mehr für die Spender, und:

Stephanie Handtmann, Attac: „Wir haben ja 160 Gruppen im ganzen Land, die bekommen zum Beispiel keine Räumlichkeiten mehr zu günstigen Konditionen aus öffentlichen Stellen, oder sie unterliegen anderen Bedingungen bei der Anmeldung eines Infostandes. Also die Benachteiligungen finden auf ganz vielen verschiedenen Ebenen statt.“

Vereine sind darauf angewiesen: auf Steuervorteile, Spenden, auf das Siegel „gemeinnützig“. Nach dem Urteil fürchten viele um ihre Gemeinnützigkeit, sagt Stefan Diefenbach-Trommer. Er vertritt mehr als 80 meist gemeinnützige Organisationen, kämpft für mehr zivilgesellschaftliches Engagement. Das Urteil, sagt er, bremse dieses Engagement.

Stefan Diefenbach-Trommer, Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung: „Haltet euch raus! - ist das Signal. Und das zweite Signal ist, was ankommt, die Wirkung des Signals ist Angst. Es ist Angst, dass das, was bisher gemacht wurde in vielen, vielen Vereinen, in Stiftungen, so nicht mehr möglich ist.“

Im Grundsatz ist Gemeinnützigkeit eigentlich ganz einfach. Wer sich selbstlos für die Allgemeinheit einsetzt, handelt gemeinnützig. Aber nur das, was in einer Liste des § 52 Abgabenordnung als gemeinnütziger Zweck steht, wird auch steuerlich begünstigt. Die Förderung der Religion etwa oder von Kunst und Kultur, des Tierschutzes, der Gleichberechtigung von Frauen und Männern oder die Förderung des Sports mit der Klarstellung: Schach gilt als Sport! Interessant ist aber, welche Zwecke und Kriterien nicht als förderungswürdig in der Abgabenordnung stehen: Menschenrechte etwa - oder soziale Gerechtigkeit. Der Einsatz für Kinderrechte oder für die Rechte von Schwulen und Lesben. Alles nicht in der Liste, deshalb muss sie dringend überarbeitet werden, fordert der Jurist Ulf Buermeyer.

Ulf Buermeyer, Jurist, Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V.: „Wenn ich auf diese Liste schaue, dann fühle ich mich zurückversetzt in die 70er, 80er Jahre und denke einfach nur, diese Liste atmet den Geist vergangener Zeiten und sie braucht ganz dringend ein Update.“

Erstaunlich ist, wer - im Gegensatz zu „Attac“ - als gemeinnützig gilt. Etwa die „Stiftung Familienunternehmen“. Im Kuratorium: Vertreter von Großkonzernen - Henkel, Kärcher, Merck. Die Stiftung pflegt enge Beziehungen zur Politik - und kämpfte zum Beispiel erfolgreich gegen die Reform der Erbschaftssteuer. Ein Erfolg für die Geschäftsleute. Aber nützt das der Allgemeinheit? Oder die „Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik“, anerkannt als gemeinnütziger Verein. Unter den Mitgliedern: viele Rüstungsfirmen. Der Verein bringt sie zum Beispiel regelmäßig mit Militärattachés verschiedener Länder zusammen. Auf dem Jahresprogramm 2019: Eine Veranstaltung zur Frage, wie man mit der NATO Geschäfte macht. Und das gilt als selbstlos?

Ulf Buermeyer, Jurist, Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V.: „Es gibt ja viele Interessen, die im Bundestag auch ohne Gemeinnützigkeit problemlos vertreten werden können. Denken wir an die Interessen zum Beispiel aus der Wirtschaft oder andere finanzstarke Interessen. Die Nichtregierungsorganisationen vertreten sehr häufig Minderheitenpositionen, weniger finanzstarke Positionen und über das Gemeinnützigkeitsrecht versuchen manche Leute offenbar den Hebel anzusetzen, um solche missliebigen Positionen aus dem politischen Diskurs auszuschalten.“

Organisationen wie Attac scheinen vielen Politikern grundsätzlich suspekt zu sein. Auch die „Deutsche Umwelthilfe“ oder die Bewegung „Campact“, die mehr Transparenz in der Politik fordert, sind schon ins Visier geraten. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, schreibt auf seiner Webseite:

Zitat: „Organisationen, die wie Campact, Attac oder die Deutsche Umwelthilfe behaupten, die Moral auf ihrer Seite zu haben, obwohl sie ohne jede demokratische Legitimation und ohne Transparenz agieren, sollte die Gemeinnützigkeit aberkannt werden.“

Keine Gemeinnützigkeit für NGOs? Nur weil einem die politische Richtung nicht passt?

Ulf Buermeyer, Jurist, Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V.: „Ich sehe das als ein Alarmsignal, dass wir möglicherweise zurückkehren zu einem autoritären Regierungsstil, wo einfach die Tätigkeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen immer weniger wertgeschätzt wird, und wo auf der anderen Seite so ein Geist mitschwingt, lasst uns mal machen, wir wissen im Bundestag am besten, was passiert.“

Nichtregierungsorganisationen als politischer Störfaktor? Für „Attac“ wird es künftig schwerer. Und das könnte erst der Anfang sein.

Kommentare zum Thema

  • Herbert Köhler 27.03.2019, 22:25 Uhr

    Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! Wie können sich Bürger nur erdreisten Forderungen an unsere Abgeordneten zu stellen? Hat nicht Christian Schmidt gezeigt, dass ihn die Meinung von Tausenden voenn Bürgern nicht interessierte und die Glyphosatproduktion für 5 Jahre verlängert.

  • Scilla 20.03.2019, 03:57 Uhr

    Die Frage ist, WAS kann man dagegen tun? Wäre bereit. Gibt es keine Juristen, die gegen dieses Urteil vorgehen können? Und: "diese" Liste MUSS dringend überarbeitet werden! Soziale Gerechtigkeit gehört ja wohl zwingend dazu. WER KANN DAS MACHEN? Zeigt uns einen Weg und ich würde ihn mitgehen. Ich unterstütze u.a. Campact und food watch, weil ich denke nur gemeinsam können wir was bewegen. Bin sehr erschüttert über dieses Urteil. Dagegen muss doch was zu machen sein? Wer wollte nochmal, das die Gemeinnützigkeit von attac aberkannt wird? "Bogen überspannt": diese Formulierung sagt doch schon alles

  • Dina F. 19.03.2019, 14:46 Uhr

    SUPER ungerecht, was da passiert ist, aber nur ein weiterer Beweis dafür, dass Deutschland schon lange auf dem Wege ist, zur Bananenrepublik zu werden. Ach, was sag ich!? Zu werden? nein, wir sind es schon längst! Politik ist zum Kasperletheater verkommen!

    • Gerhard Höger-Hansen 21.03.2019, 13:22 Uhr

      Das ist leider so. Spätfolgen der "geistig-moralischen Wende" wahrscheinlich. Es ist ein Jammer. Ich werde trotzdem weiter bzw. wieder an Attac spenden, was will man anderes tun? Ich will mir jedenfalls von meinen Kindern keine Vorwürfe machen lassen...