MONITOR vom 15.06.2017

Klage mit Ansage: Noch mehr Milliardengeschenke an die Atomindustrie

Bericht: Jan Schmitt

Klage mit Ansage: Noch mehr Milliardengeschenke an die Atomindustrie Monitor 15.06.2017 06:42 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Was waren das für Festtage für die deutschen Atomkonzerne. Vor ein paar Monaten erst der sogenannte Atom-Deal mit der Bundesregierung, der sorgte dafür, dass der Großteil des Kostenrisikos für den Atommüll auf den Steuerzahler abgewälzt werden konnte. Und letzte Woche gab’s dann nochmal sieben Milliarden Euro oben drauf, weil Angela Merkels sogenannte Brennelemente-Steuer für verfassungswidrig erklärt wurde. Freut die Aktionäre und eigentlich müsste die Kanzlerin vor Scham im Boden versinken. Tut sie aber nicht. Der Grund dafür könnte sein, dass man das im Kanzleramt alles genau so einkalkuliert hat. Ein weiterer Milliardendeal zulasten der Steuerzahler? Recherchen von Jan Schmitt.“

Karlsruhe letzte Woche. Das Bundesverfassungsgericht meldet eine Entscheidung, die den Staat teuer zu stehen kommt: ca. 7 Mrd. Euro muss er an die Atomkonzerne zurück überweisen. Denn die Richter sagen. die Kernbrennstoffsteuer sei mit dem Grundgesetz „unvereinbar“ und damit „nichtig“. Schlecht für den Staat, gut für die Konzerne.

Börsennachrichten: „Die Anleger freuen sich natürlich mit dem Energieversorgern.“ „Ihre Aktionäre jubelten heute umso mehr, da das Bundesfinanzministerium umgehend bestätigte, das Geld in voller Höhe und zeitnah zurück zu zahlen.“

Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Dieses Urteil ist eigentlich ein Schlag ins Gesicht der Energiepolitik der Bundesregierung. In der Vergangenheit hat man offensichtlich Schlupflöcher so gelassen, dass man heute Milliardenklagen ermöglicht hat. Die Energiepolitik der Bundesregierung ist ehrlich gesagt desaströs.“

Der Steuerzahler muss Milliarden zahlen. Vom Bundesfinanzministerium heißt es, das sei eine „Überraschungsentscheidung“. Aber stimmt das auch? Wir erhalten interne Dokumente, hunderte Seiten. Und die erzählen eine etwas andere Geschichte. Sie stammen aus dem Jahr 2010. Angela Merkel führte damals die Schwarz-Gelbe Bundesregierung. Sie verstand sich blendend mit den Chefs der Atomkonzerne und machte ihnen ein Milliarden-Geschenk. Die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke wurden verlängert. Von den Gewinnen der Konzerne wollte der Staat aber auch etwas haben, und deswegen erfand man die Kernbrennstoffsteuer. Die Dokumente belegen, wie sich Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums mit Konzernvertretern noch vor der Verabschiedung des Gesetzes trafen. Und dass die Konzerne schon bei diesen Treffen ankündigten, gegen das neue Gesetz klagen zu wollen. Und sie erzählen noch mehr: Das Ministerium bekam frei Haus eine rechtliche Bewertung der Konzerne zur neuen Steuer geliefert. Danach seien

Zitat: „Brennelemente (…) kein tauglicher Gegenstand einer Verbrauchsteuer im Sinne des Artikels 106 Grundgesetz“.

Jahre später wird genau diese Begründung vom Verfassungsgericht bestätigt.

Prof. Joachim Wieland, Universität Speyer: „Das Bundesverfassungsgericht hat genau so entschieden, wie die Unternehmen es damals gesagt haben. Und die Bundesregierung muss jetzt die Kosten für ihr verfehltes Verhalten tragen. Sie hätte ein sicheres Gesetz schaffen können. Das hat sie nicht getan, jetzt muss der Staat und der Steuerzahler die Folgen tragen.“

Die Regierung wusste genau, dass die neue Steuer verfassungsrechtlich auf tönernen Füßen steht. Aber mit der Frage verfassungsgemäß oder nicht setzte sie sich offenbar kaum auseinander. Auf hunderten Seiten nur ein Satz dazu: Es bestehe

Zitat: „kein Anlass, weitere verfassungsrechtliche Fragen (…) zu thematisieren“.

Sylvia Kötting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen), Atompolitische Sprecherin: „Das ist mir überhaupt nicht nachvollziehbar, wie man das so ignorieren kann, wie man sehenden Auges eigentlich in diese Klagen laufen kann, die ja dann auch gekommen sind und die jetzt auch gewonnen wurden.“

März 2011. Vor den Augen der Welt explodierte ein Kernkraftwerk. Der Gau in Fukushima. Die Bundesregierung beschloss den Atomausstieg. Und RWE, E.ON und EnBW machten ihre alte Drohung wahr: Sie klagten gegen die Kernbrennstoffsteuer. Und hielten sogar dann noch daran fest, als ihnen die Bundesregierung an anderer Stelle weit entgegenkam. Bei den Kosten für den Atommüll, die laut Gesetz allein die Konzerne tragen müssten. Trotzdem verhandelte die so genannte Atomkommission 2016 mit den Energieriesen über genau diese Kosten. Heraus kam ein für die Konzerne äußerst günstiger Deal. Vattenfall, RWE, EnBW und EON sollen ca. 24 Mrd. Euro in einen Fonds übertragen. Eine Summe, die laut Experten für die Entsorgung des Atommülls niemals reichen wird. Alles darüber hinaus zahlt der Steuerzahler. Im April 2016 ließen sich die Vorsitzenden der Atomkommission für den Deal feiern. Aber eins fehlte dabei, denn niemand bestand darauf, dass die Klage fallen gelassen wird.

Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Man hätte eine solche Klausel einbringen müssen, dass im Falle einer Klage und dann entsprechender Gerichtsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts Anpassungen stattfinden müssen, das hat man ja offensichtlich versäumt, wohlwissend, dass es eben diese Klagen noch gibt und dass auch die Gefahr ist, dass die Konzerne Recht bekommen.“

Nicht nur Recht, sondern auch 7 Milliarden Euro. Warum also forderte die Kommission nicht, die Klage fallen zu lassen? Kommissionsleiter Jürgen Trittin schreibt uns Erstaunliches: Das sei von der Regierung genau so gewollt gewesen. Die Klage sollte nicht Teil der Verhandlungen sein, sondern sogar „explizit ausgeschlossen“ werden. Die Order sei schon „bei einer der ersten Sitzungen“ direkt aus dem Kanzleramt gekommen.

Sylvia Kötting-Uhl, Atompolitische Sprecherin (Bündnis 90/Die Grünen): „Von vorneherein festzulegen, dass die nicht Teil der Verhandlung sind, diese Klagen, das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Also, so geht man mit dem Geld der SteuerzahlerInnen auch nicht um.“

Ein Deal mit den Konzernen schon vor den Verhandlungen? Im Zentrum das Kanzleramt? Warum wurden keine zusätzlichen Zahlungen bei einem Erfolg der Klage vereinbart? Die Regierung lässt uns mitteilen:

Zitat: „… eine derartige Klausel (…) wäre (…) von den Unternehmen“ nicht „akzeptiert worden.“

Auf Deutsch, die 7 Milliarden Euro waren Teil der Verhandlungsmasse. 7 Mrd. Euro, die die Konzerne nun quasi weniger zahlen für die Entsorgung des Atommülls. Ein schönes Geschenk der Bundesregierung an die Atomkonzerne. Geld, das eigentlich dem Steuerzahler gehört.

Georg Restle: „Oder den Stromkunden. Ob sie wenigstens einen Teil der Milliarden an ihre Kunden zurückzahlen wollen, das haben wir die Atomkonzerne gefragt. Die Antworten waren einmütig: Nichts da. Das Sieben-Milliarden-Geschenk soll also vor allem den Aktionären zugutekommen.“

Kommentare zum Thema

  • Schulz 11.03.2018, 14:23 Uhr

    Mir wird immer wieder elend wenn ich die verrosteten Metallfässer mit radioaktiven Müll sehe. Warum setzt sich niemand dafür ein dass radioaktiver Müll in Bleiglas eingegossen wird? Abermillionen Fässer werden einfach unsortiert und ungeregelt in Salzstöcke gekippt. Wie will man irgendwann die Fässer wieder herausholen wenn sie durchgerostet sind und eine radioaktive Brühe in den Salzstock sickert? Das bisherige Verfahren, der Umgang mit radioaktiven Abfall umzugehen muss sofort umweltgerechter geändert werden.

  • Ludwig 10.07.2017, 15:26 Uhr

    Warum wird niemand zur Verantwortung gezogen?Warum wird nicht mehr Druck von der Presse gemacht und mehr berichtet? Haben diese Weltfremden Politiker,ganz vorne Kanzlerin Merkel einen Freifahrtsschein und können machen was Sie wollen auch wenn es nicht zum Wohle der Deutschen ist.

  • Hr. Hansi 03.07.2017, 11:33 Uhr

    Wofür man die Grünen wirklich braucht.