MONITOR vom 12.05.2016

Der große Atom-Deal: Am Ende zahlt der Steuerzahler

Bericht: Nikolaus Steiner, Jan Schmitt

Der große Atom-Deal: Am Ende zahlt der Steuerzahler Monitor 12.05.2016 06:31 Min. Verfügbar bis 12.05.2099 Das Erste

Georg Restle: „Und noch etwas haben Sie mit Ihrer Stromrechnung in den letzten Jahren bezahlt, die Kosten für die Lagerung des Atommülls. Das Problem: Für diese Kosten müssen Sie jetzt wohl noch einmal bezahlen; diesmal nicht als Stromkunde, sondern als Steuerzahler. Was da vor kurzem von ehemaligen Spitzenpolitikern und Atomkonzernen ausgehandelt wurde, ist nichts anderes als ein milliardenschwerer Vertrag zulasten Dritter - zulasten dieser und nachkommender Generationen. Erstaunlich, dass daran auch ein Politiker beteiligt war, für dessen Partei der Kampf gegen die Atomkonzerne einmal oberster Glaubenssatz war. Nikolaus Steiner und Jan Schmitt über den strahlenden Deal einer ganz großen Koalition.“

Ein seltenes Bild. Drei Männer aus drei Parteien und alle sind sich einig.

Matthias Platzeck, Jürgen Trittin, Peter Altmaier: „Ich glaube, es ist ein faires Ergebnis. Mit dem Ergebnis kann die deutsche Gesellschaft auch leben. Unterm Strich ein gutes, ein faires Ergebnis. Das Ergebnis rechtfertigt alle Mühen. Mir hat das richtig am Ende Freude gemacht. Und ich freue mich über die Wachtel in der Hand.“

Freude über Parteigrenzen hinweg über einen Kompromiss. Es herrscht Einigkeit in der Atom-Kommission. Einigkeit darüber, wer in Zukunft die Kosten für den Rückbau der Kraftwerke und die Lagerung des Atommülls tragen soll. Dabei ist die Rechtslage eigentlich eindeutig.

Prof. Joachim Wieland, Rechtswissenschaftler Universität Speyer: „Das Atomgesetz ist im Hinblick auf den Atommüll ganz klar: Die Betreiber haben den Müll verursacht und sie müssen die Beseitigung bezahlen. Das Verursacherprinzip lässt da keinen Zweifel offen.“

Aber das ist jetzt offenbar gar nicht mehr so eindeutig. Denn der Vorschlag der Kommission sieht im Kern vor, dass die Atomkonzerne 23,3 Milliarden Euro in einen staatlichen Fonds einzahlen. Darin enthalten ein Risikozuschlag, falls es teurer wird. Eigentlich eine gute Sache. Aber im Gegenzug haftet künftig der Staat für alle Mehrkosten, die bei der Zwischen- und Endlagerung des Atommülls anfallen. Wörtlich heißt es im Kommissionbericht:

Zitat: „Gegen eine vollständige Einzahlung von 23,3 Milliarden Euro würden die Risiken für die Zwischen- und Endlagerung auf den Staat übergehen.“

Prof. Joachim Wieland, Rechtswissenschaftler Universität Speyer: „Wenn der Vorschlag der Kommission Gesetz wird, wird das Verursacherprinzip ausgehebelt. Die Betreiber müssen nicht mehr für alle Kosten aufkommen, die sie verursacht haben. Das ist eine klare Abweichung vom geltenden Atomrecht, wo das Verursacherprinzip uneingeschränkt gilt.“

Der Atom-Kompromiss, offensichtlich ein guter Deal für die Atomkonzerne, jedenfalls beim Blick auf die Börse. Kurz nachdem der Vorschlag öffentlich wurde, schießen die Aktienkurse von Eon und RWE in die Höhe.

Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW):„Das ist eindeutig ein guter Kompromiss für die Energieunternehmen und ein schlechter für die Gesellschaft, weil die Gesellschaft letztendlich die hohen Risiken weiterhin trägt. Die Konzerne können sich hier freikaufen, sie zahlen einen bestimmten Betrag. Das heißt die Gesellschaft wird über die nächsten Jahrzehnte, Jahrhunderte muss man ja fast sagen, für diese Kosten aufkommen müssen.“

Bis zu eine Million Jahre strahlt hochradioaktiver Atommüll. Etwa 10.500 Tonnen müssen künftig endgelagert werden. Und schon jetzt gibt es viele Hinweise, dass der Abriss der Kraftwerke und die Lagerung des Atommülls deutlich teurer werden könnten, als bislang geschätzt. Nur mal zwei Beispiele: Der Rückbau des Atomkraftwerks Greifswald. Mit Mehrkosten in Höhe von 900 Millionen Euro rechnete die Bundesregierung schon 2010. Heute will das dafür zuständige Bundesfinanzministerium gar keine Kostenschätzung mehr abgeben. Anderes Beispiel Asse. Jahrelang wurde das Bergwerk als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle genutzt. Dann drang Wasser ein. Jetzt müssen Tausende radioaktive Fässer zurückgeholt werden. Geschätzte Mehrkosten für den Staat wegen des „unvorhersehbaren Ereignisses“: 5 Milliarden Euro.

Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Bisherige Erfahrungswerte zeigen fast alle, dass es immer teurer wird, als man eigentlich kalkuliert hat, sowohl beim Rückbau der Anlagen, die häufig deutlich teurer sind, als auch gerade bei der Endlagerung.“

Wie teuer es am Ende wirklich wird, weiß keiner. Auch nicht die Atom-Kommission. Trotzdem nennt sie in ihrem Bericht konkrete Zahlen, auf die Kommastelle genau. Die Berechnungen, auf die sie sich beruft, gehen bis ins Jahr 2099. Demnach werden bis dahin 169,8 Milliarden Euro nötig, um die Gesamtkosten und Kostensteigerungen zu bezahlen. Kaum vorstellbar, dass das jetzt zurückgelegte Geld später einmal so viel wert ist. Es sei denn, man geht von einem kräftigen Zinssatz aus. Die Betreiber rechnen mit 4,58 %.

Prof. Joachim Wieland, Rechtswissenschaftler Universität Speyer: „Jeder Sparer weiß, dass es im Moment praktisch keine Zinsen gibt und dann von 4,58 % auszugehen, ist utopisch und ohne jegliche Grundlage in den realen Gegebenheiten.“

Unrealistischer Zinssatz? Unkalkulierbare Risiken beim Steuerzahler? Für den grünen Kommissionsvorsitzenden Jürgen Trittin trotzdem ein gutes Ergebnis. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Konzerne sei nicht mehr rauszuholen gewesen.

Jürgen Trittin (B‘90/Grüne), ehem. Bundesumweltminister: „Wir haben uns nämlich sehr eingehend mit der ökonomischen Situation der Unternehmen beschäftigt und sind zu der Schlussfolgerung gekommen, dass wir das Schicksal dieser Kosten der Entsorgung entkoppeln müssen vom Schicksal der Unternehmen, weil eine Vorstellung, dass es die im Jahre 2099 noch gibt, die würde ich nicht unterschreiben.“

Das Schicksal der Unternehmen ist tatsächlich ungewiss, und wirtschaftlich stehen sie zurzeit nicht gerade glänzend da. Was aber, wenn es ihnen in Zukunft wieder besser geht? Für diesen Fall sieht der Vorschlag der Atom-Kommission nichts vor. Keinerlei Regelung, genau das kritisieren Experten.

Prof. Joachim Wieland, Rechtswissenschaftler Universität Speyer: „Aus meiner Sicht ist eine

Nachschussregelung deshalb so wichtig, damit das Verursacherprinzip durchgesetzt wird. Damit diejenigen, die mit der Energieerzeugung aus Atomkraft über lange Zeit Riesengewinne gemacht haben, tatsächlich, wie es sich in einer Marktwirtschaft gehört, auch die Kosten tragen müssen.“

Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Man hat sehr viel Subventionen bezahlt, man hat sehr viele steuerliche Vergünstigungen bezahlt. Die Stromkunden

haben über Jahrzehnte sehr hohe Strompreise bezahlt und damit die Atomindustrie auch mit finanziert. Und jetzt kommt man ihnen auch noch entgehen, wenn es darum geht die Kosten für die Endlagerung zu begleichen. Das ist einfach ein unfairer Deal für die Gesellschaft.“

Ein unfairer Deal? Wie unfair tatsächlich und wie teuer insgesamt, das dürften erst spätere Generationen so richtig zu spüren bekommen.

Georg Restle: „Heute haben sich die Atomkonzerne zu Wort gemeldet. Während eon auf noch weitere Zugeständnisse hofft, hält RWE den Deal für nicht akzeptabel. Am liebsten wäre es den Unternehmen wahrscheinlich, wenn die Steuerzahler gleich die Gesamtkosten für den ganzen Müll bezahlen, den sie angerichtet haben.“

Kommentare zum Thema

  • DerAndere 08.06.2017, 06:22 Uhr

    Hier zeigt sich die Kurzsichtigkeit unserer Gesellschaft. Halbwertszeiten von mehreren 100 Tsd Jahren und ein verseuchtes Erbe für die nachkommenden Generationen dieser Welt. Aus meiner Sicht wird genau dass das unser Ende sein woran sich unsere Zivilisation klammert und wir es alle "Geld" nennen. Solange wir uns daran klammern, solange wird es auch keinen Ausweg geben.

  • Erich Becker 07.06.2017, 14:13 Uhr

    Manchmal frage ich mich, ob es nicht angenehmer wäre, mich für Politik und öffentliche Belange nicht mehr zu interessieren; denn es gibt so viel, über das man sich tierisch aufregen muss. Jeder/jede , der/die meine Zeilen liest, vermutet natürlich, dass ich es nicht schaffe - mich aus diesem Schlamassel herauszuhalten. Jahrzehntelang habe ich für diesen Ausstieg gekämpft, auch als Schul-Medienproduzent, seinerzeit für das FWU (Anfang der 80er Jahre). Und mir war klar, je schneller der Ausstieg, desto besser (GAU-Gefahr, Strahlungsabgabe auch ohne GAU, Endlagerungsproblematik). Meine Erfahrung dabei: Erst wird als Träumer abgestempelt und dann einige Jahrzehnte später wird`s doch (zumindest teilweise) umgesetzt, was man/viele Vorschlugen: Aufbau von Alternativen (regenerative Energieen, effiziente Speichertechniken, Kraft-Wärmekopplung, Energieeinsparung, Solar-Wasserstofftechnik, regionale, konzernunabhängige Energieerzeugung und Bereitstellun)und Atomausstieg. Vieles wurde in di ...

  • Norbert Berentz 07.06.2017, 11:32 Uhr

    ... nicht nur am Ende, auch am Anfang musste der Steuerzahler ran (die ganze Forschung und Entwicklung und Versuchsreaktoren ...), bis es dann endlich profitabel wurde. Aber das Dicke Ende kommt noch viele Generationen teuer zu stehen ! Merke: Gewinne werden privatisiert (demnaechst auch die Autobahnen), Verluste sozialisiert - ganz wie im Lehrbuch ueber den Stamokap (Staatsmonopolistischer Kapitalismus) ...