MONITOR vom 21.02.2019

Bürgerliche Fassade, rechte Gesinnung: Die neue Strategie der Rechtsextremen

Bericht: Andreas Spinrath, Andreas Maus

Bürgerliche Fassade, rechte Gesinnung: Die neue Strategie der Rechtsextremen Monitor 21.02.2019 08:22 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Andreas Spinrath, Andreas Maus

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Strukturwandel im Osten. Es gibt eine Stadt in Mecklenburg-Vorpommern, die scheint den ganz gut hinbekommen zu haben. Anklam heißt sie, und wer sich dort umschaut, staunt über die Verwandlung von einer ehemals schmuddeligen Hochburg der NPD zu einer ziemlich schmucken Kleinstadt tief im Nordosten. Stellt sich nur die Frage, ob schöne Fassaden und ein bisschen mehr Wohlstand auch dazu beitragen können, den Rechtsextremisten das Wasser abzugraben. Andreas Spinrath und Andreas Maus haben mit Kollegen der „Zeit“ mehrere Wochen in der Stadt verbracht - und sind dabei auf ein Netzwerk von Handwerkern gestoßen, die vor allem eines vereint: Ihre stramm rechte Gesinnung.“

Das ist Michael Galander. Wenn der Anklamer Bürgermeister von seinem Rathausbalkon schaut, sieht er einen Marktplatz, auf den das Leben zurückgekehrt ist.

Michael Galander (Initiativen für Anklam), Bürgermeister Anklam: „Ja, mittlerweile ist der Marktplatz natürlich auch wieder zum Herz der Stadt geworden. Es gibt hier unten, also angefangen über Apotheke, die Landbäckerei, daneben ist glaube ich ein Nagelstudio, daneben ist Reisebüro, daneben ist Eiscafe, dann kommt Modegeschäft, sechs, ja … Bekleidungsgeschäfte - ordentliche Bekleidungsgeschäfte, inhabergeführt, bis auf Gina Laura. Jetzt könnte man die Augen zumachen und sagen: Zehn Jahre zurück gab es davon nichts.“

Wir sind in Anklam, 12.500 Einwohner, eine Stadt, in der es nach Jahren der Perspektivlosigkeit aufwärts geht, das wirkt wie ein kleines Wunder. Lange Zeit regierte hier im Osten Mecklenburg-Vorpommerns der Frust. Fast jeder Dritte war ohne Arbeit. Wer konnte, ging weg. Anklam hieß in den Medien „die braune Hochburg“. Die NPD feierte Wahlerfolge, Rechtsextreme marschierten regelmäßig durch die Stadt. Heute wirkt das Stadtzentrum wie ein Postkartenmotiv. Und die Rechten? Haben die sich genau wie die grauen Fassaden einfach wegsanieren lassen? Wir fahren durch Anklam und Umgebung. Hier und da ein paar rechte Schmierereien, Aufkleber - Überbleibsel wie es scheint. Doch dann stoßen wir auf eindeutige Zeichen rechtsextremer Ideologie. Wir sind nicht willkommen. Hinter dieser „Reichsgrenze” ein Auto-Anhänger, der für eine Internetseite wirbt. Auf der Homepage werben mehrere Handwerksbetriebe. „Handwerker-Anklam“, das klingt bürgerlich. Sie versprechen Problemlösung aus einer Hand. Bauunternehmer, Maurer, Dachdecker. Aber geht es hier wirklich nur ums Handwerk? Oder auch um rechtextreme Ideologie? Und was hat das eine mit dem anderen zu tun? Bürgermeister Galander hat erst vor kurzem davon erfahren.

Michael Galander (Initiativen für Anklam), Bürgermeister Anklam: „Neue Erkenntnisse sind zum Beispiel, dass sich natürlich auch kleinere Betriebe, die teilweise geführt werden von bekennenden Rechtsextremisten, kleinere Unternehmen, jetzt auch gemeinschaftlich vernetzen. Und das war für uns schon noch neu.“

Es ist aber längst mehr als das Netzwerk der Handwerker. Wenn man sich die rechte Struktur wie ein Netz vorstellt, legt es sich so über Anklam: Der Bauunternehmer, der das Portal Handwerker Anklam betreibt ist gleichzeitig Miteigentümer des Gebäudes, in dem die NPD-Landeszentrale und die mit NS-Literatur bestückte Volksbücherei sitzen. Er ist als Teil des rechtsextremen Kameradschaftsbunds Anklam in Erscheinung getreten Zu diesem Umfeld gehören auch der Besitzer eines Anklamer Restaurants und der Betreiber eines rechten Szeneladens. Und das ist nur die sichtbare Struktur. Mit Kollegen der „Zeit“ recherchieren wir insgesamt mehr als 20 Betriebe mit rechten Inhabern, allein im Landkreis. Wird in Anklam strategisch umgesetzt, was seit Jahren in der rechten Szene propagiert wird? Zum Beispiel in den sogenannten „Leitlinien für Deutsche“? Darin heißt es:

Zitat: „Wer die Möglichkeit hat, soll sich selbstständig machen und Kameraden in seinem Betrieb einstellen“, es sollen

„Treffpunkte für freie Deutsche geschaffen werden, zum Beispiel Gaststätten“

man soll

Zitat: „pünktlich, zuverlässig und diszipliniert sein,”

denn

Zitat: „Nur so können wir andere Deutsche von der Richtigkeit unserer Sache überzeugen!”

Ulrike Maschner beobachtet seit Jahren die rechte Szene in Anklam und beschreibt, wie sich die alten Kameradschaftsstrukturen in der Region verändern.

Ulrike Maschner, Opferberatung Lobbi e. V.: „Das Neue dabei ist, diese Strukturen wirken natürlich in ein regionales Wirtschaftssystem herein. Das ist gerade die Situation, mit der wir es zu tun haben. Da geht es genau darum, sozusagen die Nähe zur Nachbarschaft zu haben, zum unmittelbaren Umfeld, und sich dort unentbehrlich zu machen.“

Alte Strukturen in neuem Gewand. Der rechtsextreme Kameradschaftsbund Anklam, Bindeglied des Netzwerks. Hier posieren Mitglieder auf dem Marktplatz. Anlass, ein Junggesellenabschied. Eine Schlüsselfigur: Alexander Wendt, NPD-Funktionär und Bauunternehmer. Er ist der Kopf hinter Handwerker-Anklam. Immer wieder nahm er an rechten Aufmärschen teil. Auf seinem Betriebsgelände finden Naziveranstaltungen statt, so 2017 das größte Neonazikonzert Mecklenburg-Vorpommerns. Links im Bild: Markus Thielke, seit 21 Jahren betreibt er den Szeneladen „New Dawn” mitten in der Stadt. Sein Musiklabel produziert bis heute rechte Bands wie Nahkampf  und Blutlinie. Zwei erfolgreiche Geschäftsmänner und ihr rechtes Netzwerk. Zwei, die ihre Gesinnung offenbar nicht abgelegt haben. Der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern sieht die Entwicklung mit Sorge. Die Vernetzung diene zur Finanzierung der rechtsextremen Szene. Im letzten Verfassungsschutzbericht heißt es, es gebe 

Zitat: „Wirtschaftliche Netzwerke von Rechtsextremisten”

darunter

Zitat: „mehrere Handwerksfirmen, sie werden allesamt von Rechtsextremisten aus Mecklenburg-Vorpommern geführt. Bevorzugte Branche der selbstständig tätigen Rechtsextremisten ist der gesamte Baubereich.”

Von den Betrieben will keiner mit uns reden. Schriftliche Anfragen bleiben unbeantwortet. Hier im Haus Jugendstil, treffen sich NPD-Mitglieder, rechte Kampfsportler und Wehrmachtsoldaten. Hier ist auch das Büro von Michael Andrejewski, ehemaliger NPD-Landtagsabgeordneter und Szeneanwalt. Wir fragen ihn, was aus den rechten Strukturen geworden ist.

Michael Andrejewski, (NPD), Stadtrat Anklam: „Ja, die Leute sind ja noch da, die Strukturen sind da, die … die Betriebe sind da. Es ist ja alles noch da, es wird eben nur nicht drüber berichtet. Das Bauhandwerk floriert und viele von uns sind da, und sind jetzt eben wenige jetzt aktive Leute, sondern mehr, ja, die haben halt mehr Geld und können auch mehr spenden, das ist richtig.“

Reporter: „Geld, was man da verdient, kann man in politische Arbeit und in Strukturen stecken?

Michael Andrejewski, (NPD), Stadtrat Anklam: „Ja, klar, wenn einer sehr gut verdient, spendet der auch mehr. Das ist richtig.“

Rechtsextreme als Biedermänner. Genau das sei die neue Gefahr, warnt Rechtsextremismusforscher Dierk Borstel.

Dierk Borstel, Rechtsextremismusforscher, FH Dortmund: „Das ist ein sehr systematischer Aufbau rechtsextremer Strukturen unterhalb der staatlichen Ebene. Das heißt, wir haben einen Aufbau von einer ökonomischen Verankerung, auch einer Verankerung durch Immobilien gezielt an einem Ort. Das Ganze dient dazu, sich zu normalisieren und über diese Normalisierung Stück für Stück den Rechtsextremismus weiter in der Gesellschaft zu verankern, um dann perspektivisch auch ihn in politische Mehrheiten umsetzen zu können. Und das ist dann der Moment, wo die Demokratie fällt.“

Normalisierung von Rechtsextremismus? In der Mitte der Gesellschaft? Bürgermeister Galander ist mit einem Investor zum Essen verabredet. Auch hier Thema: Die neue Strategie der Rechten und was man dagegen tun kann.

Michael Galander (Initiativen für Anklam), Bürgermeister Anklam: „Aber wir versuchen schon, als Stadt unser Möglichstes dagegen zu tun, dass das nicht diejenigen sind, die für die Zukunft dieser Stadt und dieser Region und dieses Landes die Lösungen haben. Und viel mehr, glaube ich, kann man als Kommunalpolitiker auch nicht tun. Ich finde es allerdings auch - das sage ich auch deutlich, auch meinen eigenen Leuten immer wieder, dass man es nicht negieren sollte. Es gibt auch welche, die sagen, ach nun lass mich … lass mich mit dem Thema in Ruhe. Es gibt hier keine rechtsextremistischen Strukturen. Das halte ich für sehr gefährlich.“

Der Bürgermeister und seine Stadt. Und die Erkenntnis, dass es für den Kampf gegen Rechtsextremismus wohl mehr braucht als schöne Fassaden.

Georg Restle: „Genau das.“

Kommentare zum Thema

  • Gabriel_HH 19.04.2019, 19:47 Uhr

    "Aber wir versuchen schon, als Stadt unser Möglichstes dagegen zu tun..." (Michael Galander) Warum, was soll das? Nur weil die besagten Personen und Betriebe nicht zur BRD'schen Einheitsgesellschaft gehören und nationaldenkend sind? Warum gibt es nicht solche Anstrengungen gegenüber Firmenvernetzungen von Linken und Deutschfeindlichen...??! Es wird immer schlimmer..., wer von der BRD-Ideologie nur einen Hauch abweicht, muss ausgegrenzt und klein gehalten werden...

    • Anton Huber 01.05.2019, 09:44 Uhr

      Wenn sie mit BRD Ideologie, das deutsche Grundgesetzt meinen, dann gehört jeder, der auch nur einen Hauch abweicht, ausgeschlossen. Handwerker, die Teile ihrer Gewinne in rechtsextreme Verbindungen stecken, können sich ja gerne selbst Jobs hin und her schieben. Die öffentliche Hand finanziert so einen Dreck zum Glück nicht.

  • Squareman 12.03.2019, 10:33 Uhr

    Wie weit diese Normalisierung der Nazis geht sieht man gerade in Chemnitz. Eine Trauerveranstaltung für einen Nazi im Stadion mit Fahne und deutscher Schrift, fehlt nur noch der Hitlergruß . Obwohl den hat es sicherlich auch gegeben. Auch im Rest der Republik marschieten die Rechten wie zum Beispiel in Nürnberg auf dem Reichsparteitagsgelände . Und in München, der Hauptstadt der Bewegung, vereinigen sich rechte Gruppen um die verhasste Demokratie zu bekämpfen.

    • Vorpommer aus Greifswald 19.04.2019, 08:46 Uhr

      "... marschieten die Rechten ..." Schöner könnte man es nicht ausdrücken, steht doch "schieten" up plattdüütsch für "schei..en" - paßt doch zu Braun! ;)

  • Mensch 03.03.2019, 20:29 Uhr

    In den zwanziger, dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde massiv und menschenverachtend gegen andere Menschen gehetzt. Heute beschreiten grün-links-68er Ideologen zunehmend stärker den gleichen Weg. Politiker der AfD, der CSU werden öffentlich diskreditiert und beleidigt. Politiker der AfD wurden teils schon körperliche angegriffen, teils deren Häuser beschädigt und es wurden pauschal Politikern der AfD Räumlichkeiten für Versammlungen verweigert. Teils wurde gegen Geschäfstleute, welche als Wähler der AfD vermutet wurden, aufgerufen bei diesen nicht zu kaufen. Es ist auch noch nicht lange her dass Diskussionen im Umlauf waren dass Schüler Lehrer denunzieren sollten welche der AfD nahestanden (es wurde sogar in Medien öffentlich sichtbar darüber berichtet). Eine politische Ausrichtung der jungen - oft noch politisch formbaren - Menschen in den Schulen ist meiner Meinung total verwerflich. Solche geistigen Manipulationen erinnern an vergangene Diktaturen und Kaiserreiche.