MONITOR vom 02.11.2017

Air Berlin-Deal: Abgekartetes Spiel zulasten der Mitarbeiter?

Bericht: Achim Pollmeier, Ralph Hötte

Air Berlin-Deal: Abgekartetes Spiel zulasten der Mitarbeiter? Monitor 02.11.2017 08:14 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Air Berlin-Mitarbeiterin: „Das war von langer Hand vorbereitet und es war ne ganz linke Geschichte. Und zulasten der Mitarbeiter.“

Air Berlin-Mitarbeiterin: „Dieser perfide Plan, der da letztendlich auch, ja, in die Wege geleitet wurde, der wird auch knallhart bis zum bitteren Ende wird das auch durchgezogen.“

Georg Restle: „Wütende Mitarbeiter von Air Berlin. Verständlich, sie sind die großen Verliererinnen eines Mega-Deals, bei dem es sich lohnt, nochmal ganz genau hinzuschauen.

Guten Abend und Willkommen bei Monitor. Klar, wenn ein Unternehmen Pleite geht, verlieren Angestellte ihren Job. Aber darum ging es bei Air Berlin ganz offensichtlich nicht. Eher darum, dass man zugunsten der Lufthansa ein möglichst lukratives Paket schnüren wollte, bei dem die Angestellten eiskalt aufs Abstellgleis geschoben wurden. Ein Deal der hässlicheren Art, bei dem die Bundesregierung kräftig mitgeholfen hat. Achim Pollmeier erzählt Ihnen die ganze Geschichte.“

Freitag war Schluss. Die Landung des allerletzten Air-Berlin-Fluges in Tegel. Für Annett und Stephan auch eine Gelegenheit, noch einmal die alten Kollegen zu treffen.

Reporter: „Wie war das denn jetzt?“

Stephan: „Sehr emotional - mehr kann ich dazu nicht sagen; ein Stück Familie ist gerade gestorben".

Annett: „Jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht weine – weil, hier bricht letztendlich für uns eine Welt zusammen.“

Das bittere Ende einer Ära. Air Berlin wird zerschlagen - schon bald soll die Billigfluglinie easyJet 25 Flugzeuge übernehmen - die große Lufthansa bekommt mehr als 80 Maschinen - und damit vor allem begehrte Start- und Landerechte. Immer wieder heißt es, 80 Prozent der Arbeitsplätze würden so erhalten. Die Wahrheit ist: Die meisten werden erstmal ihren Job verlieren - viele für immer.

Annett: „Es ist Fakt, dass hier einfach das alte und teure Personal aussortiert wird und das wirklich auf eine ganz ganz, ja man würde schon sagen, skrupellose und rücksichtslose, menschenunwürdige Art und Weise.“

Tatsächlich? Die Insolvenz der Air Berlin: Ein abgekartetes Spiel - mit Hilfe der Politik?  

Rückblick: Im Februar 2017 bekommt Air Berlin einen neuen Chef: Thomas Winkelmann. Winkelmann kommt ausgerechnet vom ärgsten Rivalen: Viele Jahre hat er für Lufthansa gearbeitet, ist ein enger Vertrauter von Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Der lässt bereits jetzt in der Lufthansa-Zentrale Szenarien ausarbeiten, um die hoch verschuldete Air Berlin bei einer Insolvenz zu übernehmen. Winkelmann spricht zum Amtsantritt trotzdem davon, Air Berlin zu sanieren. Nicoley Baublies sitzt im Aufsichtsrat der Lufthansa, kennt die Beteiligten gut. Doch er beurteilt Winkelmanns Arbeit völlig anders.

Nicoley Baublies, Industriegewerkschaft Luftverkehr (IGL):  „In der Zeit seit Winkelmann bei der Air Berlin war bis zur Insolvenz ist für mich nichts erkennbar, dass er irgendwas unternommen hat, um den Laden an sich zu sanieren, also als Air Berlin zu erhalten. Aber es ist ganz viel erkennbar, was er gemacht hat, um die Air Berlin in die Arme der Lufthansa zu treiben, sie gut sozusagen dorthin zu übergeben. Das ist für die Lufthansa ne super Sache - für die Mitarbeiter allerdings ne absolute Katastrophe.“

Ein schwerer Vorwurf, den Air Berlin vehement zurück weist. Doch über die Zukunft des Unternehmens macht sich  Winkelmann damals offenbar wenig Illusionen. Er lässt sich ein Gehalt von bis zu 4,5 Millionen Euro absichern - auch für den Fall der Insolvenz.

Und obwohl hoch verschuldet, kauft Air Berlin unter ihm noch ein neues Tochterunternehmen, das heute dabei hilft, Air Berlin leichter zu zerlegen - auf Kosten der Mitarbeiter. Die Luftfahrtgesellschaft Walter, LGW.

Die LGW sitzt am Regionalflughafen Dortmund - bisher ein kleines Unternehmen, das mit Propellermaschinen Zubringerflüge für Air Berlin durchführte. Doch durch den Kauf der LGW vor der Insolvenz wird aus der kleinen Firma ein wichtiger Player im Insolvenz-Monopoly.

Passiert ist Folgendes: Nach der Insolvenz werden 13 Airbus-Flugzeuge mal eben von der Air Berlin - Mutter in ihr neues Tochterunternehmen verschoben - zur LGW. Crewmitglieder, die die Flugzeuge fliegen, bleiben aber bei Air Berlin. Der Grund scheint einfach, denn die Luftfahrtgesellschaft Walter bekommt bald einen neuen Eigentümer: Die Lufthansa. Künftig hat Lufthansa also die Flugzeuge - inklusive der lukrativen Start- und Landerechte - aber ohne die Mitarbeiter, denen soll gekündigt werden.

Und an diesem Montag wurde den erstaunten Mitarbeitern von Air Berlin in einem internen Schreiben mitgeteilt, „die LGW suche zum nächstmöglichen Zeitpunkt Piloten und Flugbegleiter“. Für Maschinen der Airbus „A-320-Familie". Also Maschinen, die das Unternehmen gerade von Air Berlin übernommen hat.

Nicoley Baublies, Industriegewerkschaft Luftverkehr (IGL): „Man wendet sich ganz explizit an die Air Berlin-Mitarbeiter, die genau diese Jobs bis gestern noch hatten, das heißt, die sollen hingehen und sagen, okay: Man hat uns unsere Firma weggenommen. Das Blech wird verschoben und ich soll mich jetzt neu darauf bewerben, zu vermeintlich schlechteren Konditionen. Das ist natürlich an Perfidität nicht zu überbieten.“

Wohlgemerkt: Noch gehört die LGW zu Air Berlin. Während also tausende Mitarbeiter des Mutterkonzerns ihren Job verlieren, sucht das Tochterunternehmen händeringend neue Mitarbeiter. Für Annett und Stephan hieße das: erstmal Probezeit ohne Kündigungsschutz, keine Auswahl nach sozialen Kriterien. Und gerade erfahrene Mitarbeiter wie die beiden müssen deutliche Einbußen fürchten.

Annett: „Da ist für mich letztendlich der Weg zum Arbeitsamt und Arbeitslosengeld zu beziehen noch vorteilhafter, weil ich dann mehr Arbeitslosengeld beziehen würde, als wie ich bei der LG Walter unterm Strich raus hätte.“

Drohender Gehaltsverlust ist das Eine - andere bleiben ganz auf der Strecke. 34 Jahre hat Petra Nickel am Flughafen gearbeitet - die letzten 10 Jahre hat sie für Air Berlin Fluggäste betreut. In  Teilzeit, weil sie noch ihren kranken Mann pflegen muss. 60 Jahre alt und Teilzeit - auf eine Beschäftigung bei den Nachfolgeunternehmen haben Menschen wie sie praktisch keine Chance.

Petra Nickel: „Ich hoffe, dass ich vielleicht noch irgendwo ne Anstellung finde, wo ich sagen kann, okay, das kann ich noch die letzten Jahre machen. Oder ich muss gucken und hoffe ja nicht, dass ich da also aus der Arbeitslosigkeit in Hartz IV falle. Also das wäre das Schlimmste für mich. Also das könnte ich nicht vertragen. Also, da hab‘ ich jetzt auch keine Worte für.“

Natürlich gehen bei einer Insolvenz auch Arbeitsplätze verloren. Doch wie das bei Air Berlin abgelaufen ist, wundert selbst renommierte Insolvenzverwalter. 

Christoph Niering, Verband Insolvenzverwalter Deutschlands:  „Wir haben auch eine soziale Verantwortung, Unternehmen und damit Arbeitsplätze zu erhalten, da stehen Existenzen dahinter. Diese Existenzen sind scheinbar von der Politik nicht gesehen worden, denn es ging für die Politik, erkennbar nach außen jedenfalls für mich erkennbar, nur um die Stärkung eines Mitbewerbers und nicht um eine Stärkung der Rechte der Arbeitnehmer.“

Dabei sah es im August noch anders aus. Als Air Berlin wegen des Rückzugs von Anteilseigner Etihad die Pleite droht, bürgt die Bundesregierung für 150 Millionen Euro - um „einen geordneten Übergang“ zu gewährleisten. Schnell wird klar, was damit zumindest auch gemeint ist: Die Wirtschaftsministerin will Lufthansa die Möglichkeit geben, große Teile der Air Berlin zu übernehmen, Verkehrsminister Dobrindt will sie gar zum "deutschen Champion" machen.

Katharina Dröge (B‘90/Grüne) Bundestagsabgeordnete: „Am Ende hat dieser Überbrückungskredit vor allen Dingen der Lufthansa geholfen, tatsächlich auch den Anteil von Air Berlin zu kriegen, den sie haben wollten. Und fast gar nicht geholfen hat dieser Kredit den Beschäftigten von Air Berlin, das sind jetzt mehrere tausend Mitarbeiter, die arbeitslos werden oder um ihre Jobs bangen – und das ist ein Desaster.“

Annett und Stephan sind jetzt von Air Berlin aufgefordert worden, sich bei der Arbeitsagentur zu melden. Für eine Transfergesellschaft wollten weder die Bundesregierung noch Lufthansa Geld geben. Lufthansa hat übrigens gerade ein Rekordergebnis vermeldet.

Kommentare zum Thema

  • Robin Hood 03.11.2017, 10:30 Uhr

    An diesem Beispiel sieht man wieder sehr deutlich, wie Politiker und Manager agieren! Skrupel- und gewissenlos! Die Politik hilft sogar bei solch schmutzigen Deals mit, dabei werden diese Personen auch von unseren Steuergeldern bezahlt. Sie kommen ihrem Auftrag, zum Wohl des Landes und deren Bürgern zu handeln nicht nach. Sie handeln meist nur noch zum Wohle der Wirtschaft. Konsequenzen muss niemand der Beteiligten fürchten, dazu sind die Seilschaften viel zu gut. Eigentlich gehören die beteiligten Politiker abgesetzt! Was können die Bürger tun? Die Wahl ist gelaufen also erst mal nichts, oder? Warum nicht auf Dienste der beteiligten Firmen Lufthansa und EasyJet konsequent verzichten?! Firmen die so am Markt agieren müssen die Konsequenzen ihres Handelns spüren! Jeder von Euch hat es ein kleines Stück selbst in der Hand! Informiert Euch! Wählt Firmen bewusst aus! Lasst Konsequenzen folgen!

  • Kunde 03.11.2017, 10:24 Uhr

    Liebe Lufthansa Gruppe! Warum übernehmen sie nicht die soziale Verantwortung in dem Umfang, wie sie auch die Flotte übernehmen. Mehr möchte keiner! Geben sie ihrer Eurowings mit Ex-AirBerlinern ein professionelles sympathisches Gesicht und geben den Mitarbeitern zu (ehrlichen) fairen Konditionen eine Zukunft. Schauen sie nicht nur kurzfristig auf die Geschäftszahlen sondern positionieren ihre Billig-Airline anders als die gesichtlosen Billigfluglinien am Deutschen Markt als einen Sympathieträger! Der Kunde wird es ihnen langfristig danken.

  • Patrick M 03.11.2017, 05:28 Uhr

    Vieles richtig, einiges leider lückenhaft. Der Kredit der KfW hat den Beschäftigten durchaus geholfen, sehr sogar! Hätte es den Kredit nicht gegeben, wären sie nämlich nicht seit letzter Woche Arbeitslos, sondern schon seit Anfang August. Immerhin 3 Monate Reaktionzeit mehr. Es ist auch polemisch auf Grund einiger möglicherweise erkennbaren Zusammenhänge einen Vorsatz seitens Hr Winkelmann zu unterstellen. Es ist ebenfalls sehr Ironisch jetzt auf die Akteure zu schießen, wo doch andere Jahre lang den Karren in den Dreck gezogen haben. Hunold und Mehdorn sind ja wohl zumindest gleich beteiligt.....