MONITOR vom 02.06.2016

AfD-Programm: neoliberal, national, unsozial

Bericht: Achim Pollmeier, Andreas Maus

AfD-Programm: neoliberal, national, unsozial Monitor 02.06.2016 06:17 Min. Verfügbar bis 02.06.2099 Das Erste

Georg Restle: „Wer wissen will, wie die Alternative für Deutschland Politik macht, bekam dafür in den letzten Tagen gar reichlich Anschauungsunterricht. Ob da ein Nationalspieler wegen seiner Hautfarbe diffamiert wird oder eine Fronleichnamspredigt als Götzendienst, das Schema ist immer das Gleiche. Erstmal provozieren, dann war alles nicht so gemeint, und am Schluss ist natürlich die Lügenpresse Schuld. Hauptsache Aufmerksamkeit, Hauptsache Beifall von Rechtsaußen. Genau deshalb sollte man solche Manöver vielleicht besser ignorieren. Nicht ignorieren sollte man dagegen, was die Partei wirklich vorhat, zum Beispiel in der Sozialpolitik, wo die AfD auf viele neue Wähler hofft, und vor allem bei Arbeitslosen und Geringverdienern. Andreas Maus und Achim Pollmeier über die neue, sehr deutsche Sozialpolitik der AfD.“

Letzen Freitag in Gera. Die AfD demonstriert wieder einmal gegen das „Altparteienkartell“, wie sie es nennt. Rund 200 Menschen sind gekommen, viele von ihnen Geringverdiener, Rentner, die mit wenig auskommen müssen. Sie setzen heute auf die AfD, weil sie das Vertrauen in die anderen Parteien verloren haben.

Demonstrantin: „Die SPD ist eigentlich das, was mal das Volk verkörpert hat, die Arbeiter vertreten hat. Wo sind denn unsere Gewerkschaften? Wer soll denn die Arbeiter vertreten? Wo sind sie denn? Die hauen immer drauf. Also ich habe hier keine … keine einzige andere Partei. Und deshalb bin ich hier.“

Reporter: „Ist die AfD die Partei, die sich besonders um Geringverdiener und Arbeitslose kümmert, also quasi um  den „kleinen“ Mann wie man so sagt?“

Junger Mann: „Na klar, macht der Björn Höcke, macht die Frauke Petry, machen alle.“

Menschen wie ihnen verdankt die AfD ihre Wahlerfolge. Auch deswegen entdeckte die Partei einen Tag nach den Landtagswahlen im März ihr Herz für die sozial Schwachen und erklärt sich zur Kümmerer-Partei.

Alexander Gauland (AfD), Bundesvorstand: „Das bedeutet auch, dass wir verstärkt die Partei der kleinen Leute sind. Das heißt, wir müssen uns auch um die sozialen Probleme kümmern.“

Frauke Petry (AfD), Bundesvorstand: „Und diese Partei, die Partei des sozialen Friedens wollen wir sein.“

Umfrageergebnis: "Die AfD setzt sich stärker als andere Parteien für Arbeitslose und Geringverdiener ein." | Bildquelle: wdr

Sozialer Frieden? Mehr soziale Gerechtigkeit? Was denken die Wähler? Vor allem die der AfD? In einer von Monitor in Auftrag gegebenen Umfrage von InfratestDimap haben wir Sie gefragt: „Setzt sich die AfD stärker als andere Parteien dafür ein, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Deutschland nicht noch größer werden?“ 25 Prozent, also immerhin jeder Vierte aller Wahlberechtigten, glaubt dies. Und eine deutliche Mehrheit der AfD-Wähler ist davon überzeugt, dass die Partei die Kluft zwischen Arm und Reich nicht noch größer werden lässt. Aber was sagt das Grundsatzprogramm der AfD? Seit einer knappen Woche liegt es nun vor, beschlossen auf einem Parteitag Anfang Mai. Den Begriff „Soziale Gerechtigkeit“ sucht man im Programm jedenfalls vergeblich. Dafür jede Menge Unkonkretes. Zwar verspricht die AfD, „Mittel- und Geringverdiener zu entlasten“, aber kein Wort davon, wie das finanziert werden soll. Auch die „finanzielle Benachteiligung von Familien will man beseitigen“. Gleichzeitig aber ausgerechnet in der Sozialversicherung die „hohen Abgaben begrenzen“.

Albrecht von Lucke, Politologe, Blätter f. deutsche und internationale Politik: „Die AfD hat das Kunststück vollbracht, sich als die Partei der kleinen Leute, die Kümmerer-Partei, zu verkaufen. Dabei vertritt sie nach wie vor ein radikal neoliberales Programm, was man eigentlich unter dem Satz, wir wollen vor allem Menschen mi Vermögen und denen, die sich der Steuerpflicht im Inland entziehen wollen. An anderer Stelle will die AfD die „Erbschaftssteuer abschaffen“.

Stefan Bach, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Von der Abschaffung der Erbschaftssteuer profitieren Leute mit höherem Vermögen, die über die persönlichen Freibeträge hinausgehen, die kleinen Leute zahlen keine Erbschaftssteuer, das heißt, die haben nix davon, profitieren tun die Wohlhabenden.“

Umfrageergebnis: "Die AfD setzt sich stärker als andere Parteien dafür ein, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Deutschland nicht noch größer werden." | Bildquelle: wdr

Zurück zu den so genannten “kleinen Leuten“, von Gera in den Mannheimer Norden, typisches Arbeiterviertel. Jahrzehntelang war dies eine SPD-Hochburg. Bei der Landtagswahl im März triumphierte hier dann die AfD. Die Männer in der Eckkneipe haben fast alle die Partei gewählt. Weil sie sauer sind und das Gefühl haben, zu kurz zu kommen.

Matthias Lehmann: „Ich bin Deutscher und bekomme nix vom Staat und da kommen irgendwelche Leute, die haben nix gemacht, auch wenn sie unschuldig sind an der ganzen Sache, und die kriegen alles auf einmal. Ich glaube, das ist sehr entscheidend bei der ganzen Sache.“

Und was die Menschen hier im Mannheimer Norden beunruhigt, ist Wasser auf die Mühlen der AfD. Aber geht es der Partei überhaupt um soziale Gerechtigkeit? Geht es ihr um eine Umverteilung von oben nach unten, von reich zu arm? Oder geht es ihr um etwas ganz anderes? Allen voran den Parteirechten wie Björn Höcke.

Björn Höcke (AfD), Landesvorsitzender Thüringen: „Die neue deutsche soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist also die Frage über die Verteilung unseres Volksvermögens nicht von Oben nach Unten, nicht von Jung nach Alt, sondern über die Frage der Verteilung unseres Volksvermögens von innen nach außen.

Albrecht von Lucke, Politologe, Blätter f. deutsche und internationale Politik: „Björn Höcke hat eine ganz bemerkenswerte Äußerung getan, als er sagte, die neue soziale Frage wird nicht zwischen Arm und Reich beantwortet, sondern zwischen innen und außen, das heißt zwischen den völkisch deutschen und denen, die nicht dazu gehören. Das heißt, den Flüchtlingen, aber natürlich, groß genommen, auch dem Kapital aus der EU, Brüssel etc.“

Die neue deutsche soziale Frage. Für die AfD ist das eine Frage des Volksvermögens, auf das nur Angehörige des deutschen Volkes Anspruch haben sollen. Für Historiker greift die Partei damit tief in die historische Asservatenkammer.

Prof. Wolfgang Benz, Historiker: „Die Darstellung des Bürgers als Opfer, der von fremden Mächten im Zeichen der Globalisierung, im Zeichen Europas ausgebeutet wird und das ihm Zustehende nicht erhält. Das ist das uralte Erfolgsrezept des Radikalismus von anno 1920, das offenbar 2016 immer noch - wie die Wahlergebnisse zeigen - funktioniert.“

Deutsche gegen Nicht-Deutsche, die Gesellschaft spalten. Das AfD-Rezept. Aber ob das hilft gegen ihren Frust?“

Interview mit dem Historiker Wolfgang Benz Monitor 02.06.2016 05:28 Min. Verfügbar bis 02.06.2099 Das Erste

Kommentare zum Thema

  • Wähler 04.07.2016, 00:37 Uhr

    ARD-Programm: tendenziös, undifferenziert, undemokratisch Hier soll eine Partei in Verruf gebracht werden. National kann man mögen oder nicht, muss jeder selbst entscheiden. Wobei die AfD für einen Teil ihrer Positionen auch Zustimmung ihrer Nichtwähler erhält. Umgekehrt wird nicht jeder Anhänger mit allem einverstanden sein, was in diesem Verein so alles passiert. Zur ganzen Wahrheit gehört dann auch, dass der Neoliberalismus eine Altlast des Lucke-Flügels ist. Wobei es da sicher Anknüpfungspunkte zu Südwest-Grün-Schwarz geben dürfte. Bei der AfD ist vor allem unklar, wohin sie driftet. Teilweise ist sie tatsächlich als neue Partei eine Alternative und Korrektur zum klassischen Establishment. Das möchte ich bei aller berechtigten Kritik nicht missen.

  • Andy 23.06.2016, 18:58 Uhr

    Agitation gegen parteipolitische Angebote hat nichts mit Journalismus zu tun. Ich verstehe nicht, warum das zugelassen wird beim WDR. Ja, die AfD ist mein politischer Gegner, aber Journalisten haben nicht an der "Meinungsbildung des Volkes" in dieser Art und Weise teilzunehmen. Das geht nicht. Alle Teile des Volkes zahlen Rundfunkgebühr.

  • Erik 07.06.2016, 15:35 Uhr

    Sehr unsachlicher Beitrag über die AfD. Die Forderung der Abschaffung der Erbschaftssteuer hat nichts mit Umverteilung von Arm nach Reich zu tun. Die Bilanz der Erbschaftssteuer mit Ihren verhältnismäßig geringen Einnahmen und dem gegenüber hohen Aufwand für die Eintreibung ist eh schon sehr schlecht. Wenn man die Kosten der Kapitalflucht noch mit einbezieht ist sie mit hoher Sicherheit Zuschussgeschäft für den Staat. Die Forderung nach deren Abschaffung ist somit nur zu unterstützen. Der böse Nationalist Höcke darf natürlich nicht fehlen. Man muss den Mann nicht mögen. Aber ich will auch nicht, dass mit unserem Geld ständig völkerrechtswidrige Kriege finanziert werden (Stichwort und Zitat Höcke: Scheckbuchdiplomatie), zig Milliarden in EU-Subventionen fließen, die zum größten Teil nur großen Unternehmen zu Gute kommen, Banker ständig gerettet werden usw. Ja, das ist auch alles Volksvermögen, was wir in die Welt verschleudern. Fazit: Der ganze Beitrag ist mehr Polemik. Irgendwie ...