MONITOR vom 21.04.2022

Tierfutter statt Klimaschutz: Brasiliens Wälder verschwinden

Bericht: Elke Brandstätter, Andreas Maus, Martin Suckow

Tierfutter statt Klimaschutz: Brasiliens Wälder verschwinden Monitor 21.04.2022 08:12 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Elke Brandstätter, Andreas Maus, Martin Suckow

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: "Der Krieg in der Ukraine hat viele Themen aus unserer Wahrnehmung verdrängt, auch eines, das sich eigentlich nicht verdrängen lässt. Der globale Klimawandel schreitet weiter voran – und manchen scheint es fast gelegen zu kommen, dass die Welt hier gerade nicht so genau hinschaut. Das gilt insbesondere für diejenigen, die weiterhin riesige Waldflächen abbrennen und abholzen lassen, damit auch wir unseren Fleischhunger stillen können. In Brasilien brennt der Cerrado, einer der wichtigsten globalen Sauerstoffspeicher der Welt. Damit riesige Anbauflächen für Soja frei werden; Futtermittel für Schweine, Rinder und Geflügel, deren Fleisch dann auch bei uns in den Supermarktregalen liegt. Ändern wir, sagen die Handelskonzerne und werben mit dem Klimaschutz. Doch wie ernst sind solche Versprechen gemeint? Elke Brandstätter, Martin Suckow und Andreas Maus."

Es ist die artenreichste Waldsavanne der Welt, das zweitgrößte Ökosystem Brasiliens, wichtig für den internationalen Klimaschutz – der Cerrado. Doch er ist extrem bedroht, mehr als die Hälfte ist schon abgeholzt. Und trotz aller Versprechen zum Schutz geht der Raubbau immer weiter.

Tina Lutz, Deutsche Umwelthilfe: "Die Situation im Cerrado ist nach wie vor dramatisch. Nach wie vor wird jedes Jahr ungefähr die Fläche der Stadt New York entwaldet für den Sojaanbau in dieser Region."

Es geht um brasilianisches Soja als Futtermittel, auch für die deutsche Agrarindustrie. Für Schweine, Rinder und Geflügel. Um das, was am Ende in den Kühltheken unser Supermärkte landet – als Frischfleisch, tiefgefroren oder verarbeitet, auch zu Fast Food. Die deutschen Lebensmittelhändler wissen von der Abholzung und versprechen zu handeln. Aldi Süd möchte Wälder sowie das Klima schützen. Lidl schreibt, der Erhalt der Biodiversität sei ein zentrales Handlungsfeld. Und bei Edeka und Rewe heißt es, man setze sich für einen Stopp der Entwaldung des Cerrado ein. Aber was bedeutet das konkret? Wir sind unterwegs in Brasilien, im Cerrado. Dort, wo bereits die Hälfte der Savannenlandschaft zerstört wurde, für gigantische Sojafelder. Irimar Araujo Barbosa ist Lehrer und Umweltschützer und kämpft seit Jahren für den Erhalt des Cerrado.

Irimar Araujo Barbosa, Umweltschützer (Übersetzung Monitor): "Die Abholzung ist der größte Schaden, der durch den Sojaanbau verursacht wurde. Damit hier Soja angepflanzt werden konnte, musste man alles vernichten, was es hier gab. In der Savanne existierte eine große Artenvielfalt, und heute gibt es nur noch Soja. Alle anderen Pflanzen und Tiere sind weg."

Die Abholzung hat nicht nur vor Ort dramatische Folgen. Das erklärt die brasilianische Biologin Mercedes Bustamante.

Prof. Mercedes Bustamante, Biologin, Universität Brasilia (Übersetzung Monitor): "Im Boden und in den Wurzeln ist eine Menge Kohlenstoff gespeichert. Wenn wir die Vegetation im Cerrado zerstören, zersetzt sich all dieser Kohlenstoff unter der Erde, gelangt als CO2 in die Atmosphäre und verstärkt den Klimawandel."

Brasilien ist der größte Sojaexporteur weltweit, Soja, das fast ausschließlich als Tierfutter verarbeitet wird. 70 Prozent des brasilianischen Sojas wird im Cerrado angebaut. Satellitendaten zeigen, wie die Waldsavanne Jahr für Jahr immer kleiner wird. Unterwegs in der Region Matopiba – ein Hotspot der Entwaldung Fast alle großen Sojafirmen haben hier riesige Silos und Verarbeitungsstätten. Und gerade hier wollen sie zeigen, was sie gegen den Raubbau tun. Sie haben 25 Gemeinden ausgewählt, die besonders von Abholzung bedroht sind – und Gegenmaßnahmen versprochen. Doch was von diesen Versprechungen zu halten ist, zeigt eine aktuelle Studie der Deutschen Umwelthilfe (mit der Rainforest Foundation und Harvest).

Tina Lutz, Deutsche Umwelthilfe: "Die Sojahändler haben ihre Versprechungen nicht eingehalten. Das Hauptergebnis ist, dass – obwohl es viele Selbstverpflichtungen gibt der Sojahändler – nach wie vor in den von uns untersuchten Regionen im Cerrado in Brasilien die Entwaldungszahlen zugenommen haben in den letzten Jahren."

Eine Zunahme um 35 Prozent von 2018 bis 2020, so das Ergebnis der Studie. Mehr Waldzerstörung für immer mehr Soja – auch für Tierfutter in Deutschland. Das ist auch deshalb möglich, weil die Lieferketten der Sojabohnen bisher kaum nachvollziehbar sind. Denn schon in den Anbauregionen wird Soja – das nachweislich ohne Abholzung angebaut wurde – vermischt mit anderem Soja, dessen Anbauflächen unklar sind. Das also auch von entwaldeten Flächen stammen kann. Und auf dem Weg nach Europa kann dann noch mehr Soja aus unterschiedlichen Quellen zusammengemischt werden. Dieses System nennt sich "Massenbilanz”. Der Händler kann damit den Anteil von entwaldungsfreiem Soja auf sein gesamtes Angebot anrechnen. Ein intransparentes System, das eine Rückverfolgbarkeit der Lieferketten verhindert.

Glenn Hurowitz, Mighty Earth (Übersetzung Monitor): "Für uns ist die Massenbilanz nur eine weitere Form von Greenwashing. Es gibt keinen Grund, warum ein Supermarkt Fleisch von Tieren verkaufen sollte, für deren Futter auch nur teilweise abgeholzt wurde. Die Abholzung ist eine der ungeheuerlichsten, umweltfeindlichsten Praktiken der Welt."

Etwa 3.5 Millionen Tonnen Sojaschrot wurden in Deutschland 2020 verbraucht. Nur 25 Prozent davon gilt als gesichert entwaldungsfrei. Beim großen Rest ist die Herkunft unsicher. Als Futtermittel wird das vermischte Soja dann auch in Deutschland eingesetzt – etwa in der Schweine- oder Rindermast. Das Fleisch wiederum landet etwa in Kantinen oder auch in Fast-Food-Restaurants. McDonald's etwa schreibt dazu:

Zitat: "Unser Rind- und Schweinefleisch beziehen wir über eine freie Lieferkette, sodass wir keine dezidierte Aussage zu den Futtermitteln tätigen können".

Und in den Supermärkten? Discounter wie Lidl, Aldi und Netto teilen uns mit, dass sie bisher europaweit keine entwaldungsfreien Lieferketten sicherstellen können. Europaweit soll das erst in den nächsten Jahren nachgeholt werden, in Deutschland geht es teilweise schneller. Und: Sie akzeptieren auch immer noch das umstrittene Massenbilanz-System. Wenig Transparenz – das will die EU künftig ändern. Mit einer Verordnung im nächsten Jahr, nach der es kein Soja mehr aus entwaldeten Anbauflächen in der EU geben soll. Jede einzelne Lieferung soll rückverfolgbar sein. Das wäre das Ende der "Massenbilanz". Doch die Soja-Lobby will das verhindern. Das zeigt ein Schreiben der Sojaimporteure und anderer Verbände an die EU-Kommission, das MONITOR vorliegt. Gewarnt wird vor Sojaknappheit und Preisanstieg.

Zitat: "Künftig müssten erhebliche Investitionen in die getrennte Logistik (Silos, Schiffe, Lastwagen usw.) getätigt werden, was zu einem Anstieg der Kosten (...) führen würde."

Anna Cavazzini, B'90/Grüne, Europaabgeordnete: "Der Lobbydruck ist immens und ich glaube, das liegt auch daran, dass halt viele große Firmen auch dahinter stehen und sehr, sehr starke Interessen haben, die dann eben … ja, durch den Gesetzesvorschlag beeinträchtigt würden, weil sie sich mehr anstrengen müssen, weil sie vielleicht ein bisschen mehr investieren müssen, um saubere Lieferketten hinzubekommen."

Doch strikte Regeln wie eine solche EU-Verordnung sind Irimars letzte Hoffnung. Der Umweltschützer glaubt nicht mehr daran, dass Versprechen der Sojafirmen und des Handels eine Besserung bringen.

Irimar Araujo Barbosa, Umweltschützer (Übersetzung Monitor): "Ich glaube, dass wenn es so weitergeht, wie es bisher läuft, dass es hier bald keine Pflanzen, keine Bäume und keinen Cerrado mehr geben wird, sondern nur noch Soja."

Ein Desaster für die Umwelt vor Ort – und für das Weltklima. Die Wälder im Cerrado brennen weiter. Die Folgen werden auch wir zu spüren bekommen.

Georg Restle: "Und spüren sie heute schon."

Kommentare zum Thema

  • mono 22.04.2022, 00:47 Uhr

    Danke, wichtig, mal wieder den Regenwald und Sojaanbau zum Thema zu machen. Er geht unter, in vielerlei Hinsicht. Fast 60 % des Getreides hier wird eh schon an Tiere verfüttert ! Regenwald abholzen ist ein Unding - und ja, auch wenn ich für Windenergie bin, aber Wald hat auch hier Vorrang für mich. Es gibt schon genug Freiflächen. Fleisch wird leider immer noch gepampert, sogar trotz x Skandale.

    • ZwischenDenWelten 04.05.2022, 01:42 Uhr

      Was denn für ein Wald? Waren Sie schon mal in einem Wald? - Ich nicht, einfach weils in Europa nur noch 2 Wälder gibt -> der Rest sind Monokulturplantagen, was zur Folge hat, das der Borkenkäfer, etc zuschlägt, und weil alle entsprechenden Bäume rausgenommen werden, gibt es Artenarmut in diesen Plantagen. Ansonsten ist das Problem wieder der Markt (das sich ein Windrad nur bis Zeitpunkt X rechnet, und dann abgebaut wird, und nicht entsorgt werden kann - ein Unding! Die Teile müssten Modular gebaut werden, ganz ohne Verbundstoffe, und mindestens 200 Jahre halten!

  • Aga Bellwald 21.04.2022, 22:43 Uhr

    Wie wäre es, wenn jede*r künftig seinen/ihren Fleischkonsum radikal reduzierte? Ist es wirklich nötig, jede Woche einen Brocken Fleisch auf dem Teller zu haben? Sicher nicht; mit weniger lebt's sich erst noch gesünder. Die Vernichtung des Regenwalds in Brasilien wird aber leider solange weitergehen, wie Jair Bolsonaro an der Macht ist und er weiterhin die Abholzung des Waldes und somit auch die Zerstörung des Lebensraums der indigenen Bevölkerung voran treibt. Zeit, dass er endlich geht! Fora Bolsonaro!

  • Claus Gose, Bremen 21.04.2022, 22:40 Uhr

    Machen wir doch auch, wir roden unsere CO2 absorbierenden Wälder im Namen des Klimaschutzes. Niedersachsen beabsichtigt über 50 Prozent der Waldfläche als vVorrang- Flächen für die Windenergie ausweisen. Im Osterpaket möchte Haebeck alle gesetzlichen Schutzmechanismen, zu Gunsten der Windenergie außer Kraft setzen. In den Medien schweigt man einfach dazu. Diskussionenen dazu werden einfach übersehen. Es wäre sicherlich richtig, dass Niederbrennen der tropischen Regenwälder zu stoppen, mit nahezu alle Mitteln. Die äquatoriale Tiefdruckrinne ist verantwortlich für die globale Zirkulation auf der Erde. Verschwinden die Wälder, steigt in den Tropen weniger Luft auf, da sich aride Vegetationen bilden. Die Luft aus den Tropen füttert auch unsere Polarfront mit dem permanenten steuernden Islandtief. Die Bericherstattung zu diesem Thema findet nicht statt, obwohl es sich hier um einen entscheidenden Faktor der sogenannten Klimakatastrophe handelt