Pressemeldung vom 04.04.2019

Verbrennungstod in der JVA Kleve - Massive Zweifel an der offiziellen Darstellung zur Verhaftung des Syrers Amad A.

Bisher klang es nach einer tragischen Verwechslung: Die Inhaftierung des jungen Syrers Amad A., der in der JVA Kleve im Herbst 2018 unter ungeklärten Umständen verbrannte. Doch an dieser offiziellen Version gibt es jetzt erhebliche Zweifel, wie gemeinsame Recherchen der WDR-Magazine MONITOR und „Westpol“ zeigen.

Spuren des Brandes sind am Fenster der Zelle 143 in der Klever Justizvollzugsanstalt zu sehen. | Bildquelle: dpa/Markus van Offern

Demnach ist auch eine gezielte Manipulation von Datensätzen nicht mehr auszuschließen, die schließlich zur monatelangen Inhaftierung von Amad A. führte. Auch für die Opposition im Landtag von Nordrhein-Westfalen stellt sich mittlerweile die Frage, ob hier „in irgendeiner Weise Absicht“ im Spiel gewesen sei.

Die offizielle Variante des nordrhein-westfälischen Innenministeriums ging bisher so: Weil die Polizei Kleve nach einer Datenabfrage angeblich einen Treffer erzielte, hielt man den jungen Syrer fälschlicherweise für einen von der Staatsanwaltschaft Hamburg per Haftbefehl gesuchten Malier. Demnach wären beide Personen unter dem gleichen Namen „Amed Amed“ auffindbar gewesen.

Eines Schreibens des LKA Hamburg zufolge, das den Redaktionen vorliegt, hätte es am Tag der Verhaftung bei der Datenabfrage allerdings „keinen Treffer auf den Datensatz“ des per Haftbefehl gesuchten Maliers „geben dürfen“, weil es eine solche Datenverbindung zu diesem Zeitpunkt nicht gab. Auch Abfrageprotokolle aus der wichtigsten Datenbank der Polizei, INPOL, die MONITOR und „Westpol“ vorliegen, widersprechen der offiziellen Darstellung. Das Bundeskriminalamt hat die Abfrageergebnisse zum Zeitpunkt der Verhaftung rekonstruiert. Auch hier findet sich keine Verbindung zwischen dem Syrer Amad A. und dem Malier.

Tatsächlich, auch das geht aus den Ermittlungsakten hervor, wurde der Aliasname „Amed Amed“ in den Datenbanken erst nachträglich, drei Tage nach der Verhaftung von Amad A. dem Malier zugeordnet. MONITOR ließ die Dokumente von der IT-Expertin Annette Brückner analysieren, die IT- Programme für verschiedene Polizeibehörden entwickelt hat. Dabei zeigte sich eine weitere Ungereimtheit: Der Aliasname „Amed Amed“ wurde für den Malier nicht als neue Aliaspersonalie angelegt. Stattdessen wurde ein schon bestehender Aliasname gelöscht und durch „Amed Amed“ ersetzt. Einen Fehler im System oder ein Versehen als Ursache ist für die IT-Expertin ausgeschlossen: „Hier sind ganz gezielt mehrere Einzeleinträge verändert worden. Von daher gehe ich davon aus, dass es eine vorsätzliche Veränderung, also vorsätzliche Manipulation dieses Datensatzes war, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen.“

Für Sven Wolf (SPD), Mitglied des NRW-Untersuchungsausschuss zum Fall Amad A., steht nun ein neuer Verdacht im Raum: Die bisher vorliegenden Ermittlungsergebnisse hätten demnach „sehr deutlich gezeigt, dass das bisherige Erklärungsmuster des Innenministers in Nordrhein-Westfalen nicht mehr passt.  Jetzt stellt sich tatsächlich die Frage: war das ein ganz dummer Fehler, der gemacht worden ist, oder gab es da in irgendeiner Weise Absicht, ja, war der Wunsch Vater des Gedankens? Wollte man irgendetwas finden?“

Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Kleve äußerte sich auf Anfrage nicht und verwies auf die laufenden Ermittlungen gegen Angehörige des Polizeidienstes wegen des Vorwurfs der vorsätzlichen Freiheitsberaubung.

Kommentare zum Thema

  • Bruno Schillinger-Safob 08.04.2019, 19:52 Uhr

    Monitor, der einsame Rufer in der deutschen Pressewüste? Es ist jetzt Montag kurz vor 20.00 und nirgendwo anders hat man von dieser Weiterentwicklung gehört/gelesen. Wurde das Thema "verboten" oder ist das Thema pressemäßig "ausgelutscht" oder gibt es zu viele solcher "Fälle" oder sind alle schon so abgestumpft, dass dieser Tod/Mord niemanden mehr interessiert? Ich kann mich noch erinnern, dass bei geringeren "Versagen" schon Köpfe gerollt sind (Einkaufswagenchips, usw.). Heute nutzen die Politiker/Bürokrauts alle Superkleber unter dem Hintern oder haben die Taschen mit unserem Geld so gut gefüllt, dass sie unbeweglich sind? Lieber Monitor, Bleibt bitte dran! (PS das ehemalige Sturmgeschütz der Demokratie hat ja auch dem Schicksal der Gorch Fock vorausgegangen und ist abgewrackt.)

  • Initiative Oury Jalloh 04.04.2019, 23:03 Uhr

    Dieser Kommentar wurde mehrfach abgegeben und daher an dieser Stelle gesperrt. (die Redaktion)

  • Bruno Schillinger-Safob 04.04.2019, 22:17 Uhr

    Doppelt schockierend, dass diese Methoden offensichtlich wieder üblich sind. Wer traut heute noch den sogenannten "Staatsdienern"? Hinweis: Wenn die Einträge geändert werden, wird normalerweise auch die IT Station und damit die Zugangsperson erfasst. War bei uns schon 1996 - allerdings in freier Wirtschaft! Wieso Sache der Staatsanwaltschaft? Die Staatsanwälte sind politische Beamte und bekommen ihre Weisungen doch aus der Politik. Das deutet massiv darauf hin, dass noch mehr am kochen ist und sich die Politik bereits in die Bunker zurückzieht. PS Ist das vielleicht auch mangelnde Qualifikation der Polizei? Dazu gab es heute einen Artikel im Spiegel zum Kindesmissbrauch in Lüdge: Missbrauchsfall in Lügde Polizisten wussten nicht, wie man die Opfer befragt http://www.spiegel.de/panorama/justiz/polizeiversagen-in-luegde-ermittler-waren-nicht-ausreichend-ausgebildet-a-1261259.html Anm. Für uns ist die durch dieses Versagen notwendige zweite Vernehmung auch ein Missbrauch.