Pressemeldung vom 11.01.2018

Ersatzfreiheitsstrafen kosten deutschlandweit rund 200 Millionen Euro; deutlicher Anstieg der belegten Haftplätze

Monatelange Haft wegen Schwarzfahrens: Die Zahl der durch sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen belegten Haftplätze ist in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um fast 25 Prozent gestiegen und verursacht pro Jahr Kosten von mehr als 200 Millionen Euro. Das berichtet das ARD-Magazin MONITOR (Donnerstag, 21:45 Uhr, Das Erste) unter Berufung auf offizielle Statistiken und eine Umfrage unter den Bundesländern.

Ersatzfreiheitsstrafen verursachen jährlich Kosten von mehr als 200 Millionen Euro. | Bildquelle: WDR/picture alliance/dpa

Ersatzfreiheitsstrafen sind Haftstrafen, die Menschen antreten müssen, wenn sie eine verhängte Geldstrafe nicht bezahlen. Sie sind in Deutschland umstritten, weil sie überwiegend Nicht- oder Geringverdiener treffen, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen können. Bei den Straftaten handelt es sich häufig um Delikte wie Schwarzfahren, kleinere Diebstähle oder Fahren ohne Führerschein. Im Bundesdurchschnitt belegen Menschen mit Ersatzfreiheitsstrafe inzwischen rund 10 Prozent der regulären Haftplätze. Allein in Bayern stieg die Zahl um 65 Prozent. Genaue Daten dazu gibt es nicht, da die Zahlen nur an drei Stichtagen im Jahr erhoben werden.

Experten kritisieren den Anstieg und die hohen Kosten bei den Ersatzfreiheitsstrafen: „Es ist skandalös, so viel Geld zu verwenden, um Menschen aufgrund von Armut und einem Mangel an sozialen Kompetenzen wegen kleinerer Delikte wegzusperren“, so Heinz Cornel, Professor für Jugendrecht, Strafrecht und Kriminologie an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Statt Strafe bräuchten die Betroffenen Hilfsangebote, sagt auch Nicole Bögelein vom Institut für Kriminologie der Universität Köln: „Die Betroffenen haben oft multiple Probleme wie hohe Verschuldung, Suchtbelastung und sehr ungeregelte Lebenssituationen bis hin zur Obdachlosigkeit.“ Grundsätzlich kann eine Haft abgewendet werden, etwa indem man sich um gemeinnützige Arbeit bemüht. Damit seien solche Personen aber regelmäßig überfordert. Durch die Haft werde die Situation der Betroffenen häufig sogar noch verschlechtert, zum Beispiel durch soziale Isolierung, den Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung.

Experten wie Bögelein und Cornel fordern daher, auf Ersatzfreiheitsstrafen als Sanktionsinstrument zu verzichten. Die Ursachen des Problems seien vor allem sozialpolitischer Natur. Die Bundesregierung lehnt eine Abschaffung hingegen ab: „Die Ersatzfreiheitsstrafe stellt auch bei Delikten der leichteren und mittleren Intensität ein unerlässliches Mittel zur Durchsetzung der Geldstrafe dar“ argumentiert das Justizministerium. Aktuell befasst sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit dem Thema.

Kommentare zum Thema

  • Squareman 29.01.2018, 20:43 Uhr

    Wenn der Staat wert darau legt die kleinen Fische hart zu bestrafen damit sich die großen Fische weiterhin ungestört tummeln können dann soll er auch dafür zahlen. Manchmal muß man sich einfach nur wehren. Ich wurde mal geblitzt weil ich einen Radfahrer überholt hatte und das bei einer Tempo 30 Zone. Durch einen Widerspruch sollte ich statt 15€ dann 45€ zahlen. Da habe ich es dann darauf ankommen lassen und nach zwei geplatzten Gerichtsterminen wurde das Verfahren eingestellt.

  • Niedersachsen1956 14.01.2018, 09:53 Uhr

    Haftstrafen aussetzen, um jährliche Kosten einzusparen? Nein. Bevor es überhaupt zu Haftstrafen kommt, hat Frau Ursula Kühner 12.01.2018 in einem u. g. Kommentar beschrieben... Kann man Haftstrafen mit HartzIV in Verbindung bringen? Wir (Geringverdiener durch 2Rückwandinfarkte meines Lebensgefährten) leben ohne HartzIV, zahlen in alle Sozialkassen ein, zahlen GEZ, finanzieren auf Grund ländlicher Lage beruflich ein Kfz.; während z.B. meine Nachbarin (alleinerziehend, 2Kinder -4/5 Jahre-, 27 Jahre alt, beide Kinder gehen bis 16.00Uhr in die Kita, Auto: Papa bezahlt, ohne jegliche Ausbildung, gesundheitlich in der Blüte ihres Lebens) beruflich/Ausbildung/Arbeit null in Angriff nimmt? Wer voran kommen will, muss auch mal was anpacken. Wer es zu einer Haftstrafe kommen lässt (selbst bei Drogen-und Alkoholdelikten, gibt es reiche Auswahlhilfe an Beratungsstellen/Psychologen/ Institutionen/Seelsorge etc. Dann müssen sich halt Straftäter auch nach kleinen Delikten in Haft begeben.

  • M. Illoinen 12.01.2018, 16:18 Uhr

    Für viel gravierender halte ich die Folgen, wenn Menschen wegen Bagatellen in Haft müssen. Neben Verlust von Wohnung und Arbeitsplatz, gehören auch regelmäßig die Kontakte von Menschen, die eine Geldstrafe nicht bezahlen können. Wenn dann noch Arbeitspflicht besteht, werden so billige Sklaven für die Firmen in Deutschland rekrutiert. So wie einst in der DDR, wo Ikea Produkte und andere für den Westdeutschen Markt, von Insassen von Haftanstalten produziert wurden.