Aufrüsten statt Abrüsten: Muss Deutschland wirklich kriegstüchtig werden?
Die Epoche der Entspannung ist vorbei. Der Ukraine-Krieg geht ins dritte Jahr. Putin droht Europa mit Atombomben. Und Trump den Nato-Verbündeten mit einem Ende der Unterstützung. Muss die Bundeswehr deswegen aufgerüstet werden? Sollte die Wehrpflicht zurückkehren? Wie verändert sich unsere Gesellschaft in diesen Zeiten?
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt HART ABER FAIR nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Jan van Aken, Die Linke, sagt, die Bundeswehr sei nicht kaputtgespart worden, das sei ein Fakt. Die Zahlen zeigten, dass der Bundeswehretat sogar gestiegen sei und zwar um 60 Prozent.
Der Verteidigungshaushalt ist tatsächlich in den vergangenen zehn Jahren um 60 Prozent gestiegen. Im Jahr 2014 waren 32,4 Milliarden Euro im Bundeshaushalt für Verteidigungsausgaben vorgesehen. 2017 erhöhte sich der Betrag auf rund 37 Milliarden Euro. Im Jahr 2024 hat die Bundesregierung 51,95 Milliarden Euro für die Bundeswehr eingeplant, 1,83 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr.
Das entspricht für den Zeitraum der vergangenen zehn Jahre einer Steigerung um rund 60 Prozent. Zusätzlich sollen aus dem beschlossenen Sondervermögen 19,8 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Deutschland wird damit in diesem Jahr das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen – erstmals seit mehr als drei Jahrzehnten. Bereits 2006 hatten sich die Nato-Staaten auf die Zielvorgabe verständigt, zwei Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren. Doch erst mit der so genannten „Defense Investment Pledge“ auf dem Nato-Gipfel in Wales 2014 verpflichteten sich die Nato-Staaten innerhalb der folgenden zehn Jahre, dieses Ziel auch umzusetzen. Mitte Februar verkündete Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dass 18 der 31 Mitgliedsstaaten die Vorgabe 2024 erfüllen werden. 2014 waren es nur drei Staaten.
Jan van Aken, Die Linke, ist der Überzeugung, dass Bundeswehrsoldat kein Beruf wie jeder andere sei. Denn Soldaten seien der Gefahr ausgesetzt, bei einem Einsatz getötet zu werden. In diesem Zusammenhang erwähnt er, dass er selbst an der Beerdigung der drei Gefallenen vom Karfreitagsgefecht in Afghanistan teilgenommen habe.
Dazu folgender Hintergrund: Am 2. April 2010 geraten Soldaten des Fallschirmbataillons 373 aus dem niedersächsischen Seedorf in der afghanischen Provinz Kundus in einen Hinterhalt der Taliban: Drei Bundeswehrsoldaten verlieren bei dem so genannten Karfreitagsgefecht ihr Leben. Die Truppe hatte an diesem Tag den Auftrag, Sprengfallen entlang der Straße in den Ort Isa Kehl aufzuspüren und zu räumen. Bei der Suche nach einer abgetriebenen Aufklärungsdrohne geraten sie unter Beschuss der Taliban. Ein Soldat wird im Kugelhagel schwer verwundet. Später erliegt er seinen Verletzungen. Zwei weitere Soldaten sterben bei dem Versuch, dem Gefecht zu entkommen und zum deutschen Lager zurückzukehren. Sie fahren mit ihrem gepanzerten Fahrzeug in eine Sprengfalle der Taliban. Stundenlang kämpfen die übrigen eingeschlossenen Fallschirmjäger ums Überleben. Acht von ihnen werden schwer verletzt. Den US-Amerikanern gelingt es schließlich, die deutschen Soldaten mit einem Rettungshubschrauber herauszuholen. Dabei feuert ein US-Begleithubschrauber in die Stellungen der Taliban. Das Karfreitagsgefecht bildet 2010 den Auftakt für ein verlustreiches Jahr bei der Bundeswehr. Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) spricht nach den tödlichen Gefechten an Karfreitag von „kriegsähnlichen Zuständen“ in Teilen Afghanistans.
Daniel Untch, Referent für Friedensbildung beim “Zentrum Oekumene” der Landeskirche Hessen & Nassau und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, kritisiert, dass es in Deutschland möglich sei, mit 17 Jahren zur Bundeswehr zu gehen.
Wer bei der Bundeswehr freiwillig Wehrdienst leisten will oder als Zeitsoldat eine Ausbildung beginnen möchte, kann dies tatsächlich bereits mit Vollendung des 17. Lebensjahres. Die jungen Menschen sollen so gegenüber Gleichaltrigen, die eine zivile Berufsausbildung starten, nicht benachteiligt werden, so die Begründung der Bundeswehr. In Auswahlgesprächen werde geprüft, ob die Minderjährigen die nötige Reife mitbringen. Zudem müssen die Eltern ihr Einverständnis geben und die volle Schulpflicht erfüllt sein.
17-Jährige werden laut Bundeswehr nicht in den Einsatz geschickt. Schusswaffen dürfen sie nur unter Aufsicht bei Übungen und zur Ausbildung verwenden. Auch zu Wachdiensten werden sie nicht eingeteilt. Die Bundeswehr weist darauf hin, dass sie sich damit an völkerrechtliche Verpflichtungen wie die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 hält. Von insgesamt 18.802 Soldatinnen und Soldaten, die in 2023 ihren Dienst bei der Bundeswehr antraten, waren 1996 junge Frauen und Männer 17 Jahre alt. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Anteil der minderjährigen Rekruten von 9,4 auf 10,6 Prozent.