Aus Haushaltsloch wird Regierungs-Krise: Ampel vor der Zerreißprobe?
Der Faktencheck zur Sendung vom 27.11.2023
Seit zwei Wochen weiß die Bundesregierung: Der Haushalt hat ein riesiges Loch. Warum wirken alle immer noch so überrumpelt? Reichen neue Tricks fürs Schuldenmachen oder muss eisern gespart werden? Was hält die Ampel noch zusammen, außer der Angst vor Neuwahlen?
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Konstantin Kuhle über Zinszahlungen
Konstantin Kuhle sagt, alleine für dieses Jahr müssten 40 Milliarden Euro an Zinsen aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden.
Davon gehen jedenfalls Bundesfinanzminister Christian Lindner und auch der Bundesrechnungshof aus. Schon auf dem Bundesparteitag der FDP im April dieses Jahres rechnete Lindner vor, in diesem Jahr 40 Milliarden Euro alleine “an Zins für Schulden der Vergangenheit“ aufwenden zu müssen. Zu der gleichen Schätzung kam im März dieses Jahres der Bundesrechnungshof. Damit liegen die Zinsausgaben um das zehnfache höher als noch im Jahr 2021, als der Bund gerade einmal vier Milliarden Euro an Zinsen zahlen musste.
Grund für den deutlichen Anstieg ist nach Ansicht der meisten Experten die Zinswende der Europäischen Zentralbank, die seit Sommer 2022 den Leitzins in insgesamt zehn Schritten auf heute 4,5 Prozent erhöht hat. Zuvor lag er als Folge der Banken- und Finanzkrise über einen historisch langen Zeitraum von gut sechs Jahren bei null Prozent. Das IW Köln sieht aber einen weiteren Grund für den kräftigen Anstieg. Während der Krisenjahre habe die Verschuldung des Bundes deutlich zugenommen. Höhere Schulden bedeuten auch mehr Zinsschulden. Laut IW Köln ist der Schuldenstand des Bundes in den Jahren 2019 bis 2022 um 35 Prozent auf 1,78 Billionen Euro gestiegen. Im Vergleich zum Bund sei der Schuldenstand der Bundesländer dagegen nur um vier Prozent angewachsen. Die Experten des IW Köln erinnern aber daran, dass der Bund die Hauptlast der krisenbedingten Schuldenaufnahme im Zuge der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine getragen habe, diese im Kern auch gerechtfertigt sei.
Alleine die absolute Zahl der Schuldenhöhe zu betrachten, wäre aber zu kurz gegriffen. Ein geeigneterer Indikator, um den Schuldenstand mit dem vergangener Jahre vergleichen zu können, ist die so genannte Schuldenquote. Sie gibt den Schuldenstand im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt an und ist – trotz Schuldenanstieg – im vergangenen Jahr laut Deutscher Bundesbank um fast drei Prozent auf 66,6 Prozent gesunken. Das statistische Bundesamt gibt die Schuldenquote für 2022 mit 66,1 Prozent an. Laut CEIC – einem Portal für makroökonomische Daten - lag die Schuldenquote im Juni dieses Jahres mit 64,6 Prozent sogar noch darunter.
Wen meinte der Kanzler?
Unser Einspieler, in dem Bundeskanzler Olaf Scholz davon spricht, er habe sich über den 2. Nachtragshaushalt für 2021 bereits als Finanzminister in der Großen Koalition Gedanken gemacht und man habe “gemeinsam diese Entscheidung getroffen“, sorgte am Panel für ein wenig Verwirrung, wen Olaf Scholz denn nun mit “wir gemeinsam“ gemeint hat. Während sich Henrike Roßbach sicher ist, Olaf Scholz meinte die Ampel-Koalition, waren sich Ralf Stegner, Ralph Brinkhaus und Konstantin Kuhle nicht sicher, ob der Kanzler nicht doch die Große Koalition gemeint hat, in der er Finanzminister war.
Die Verwirrung entstand wohl, weil Bundeskanzler Scholz bei der Regierungsbefragung Mitte November in einer seiner Antworten sowohl sein Amt als Finanzminister der Großen Koalition als auch das des designierten Kanzlers aneinander reihte. Schaut man sich das Plenar-Protokoll zur Befragung der Bundesregierung im gesamten Zusammenhang an, wird deutlich, dass Olaf Scholz mit dem Satz “Deshalb haben wir gemeinsam diese Entscheidung getroffen, und wir stehen auch dazu, dass wir das gemeinsam getan haben“, auf die Ampel-Koalition anspielt. Der Satz ist Teil einer Antwort auf eine Nachfrage von Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg. Middelberg wollte in seiner ersten Frage an den Kanzler zunächst wissen, wer denn der Erfinder dieser “Konstruktion dieses Nachtragshaushalts“ sei und wer “diese verfassungswidrige Konstellation“ erfunden habe.
Schon die Antwort von Olaf Scholz auf diese erste Frage macht deutlich, dass er sich mit dem Satz aus unserem Einspieler “Deshalb haben wir gemeinsam diese Entscheidung getroffen“ auf die Ampel-Koalition bezog: “Wir haben uns um eine verfassungsgemäße Lösung bemüht und die auch miteinander diskutiert: schon während der Beratungen zur Regierungsbildung und dann natürlich auch im Zusammenhang mit der Aufstellung des entsprechenden Nachtragshaushaltes.“
Hintergrund des Frage und Antwort-Spiels ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das vor gut zwei Wochen den 2. Nachtragshauhalt für 2021 für verfassungswidrig erklärt hatte. Dieser 2. Nachtragshaushalt der Ampel-Koalition wurde zu Beginn ihrer Amtszeit im Januar 2022 vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Er sah unter anderem vor, 60 Milliarden Euro, die ursprünglich für Corona-Hilfen gedacht waren, hierfür aber nicht mehr benötigt wurden, in den Klima- und Transformationsfonds zu verschieben. Schon damals äußerte die Unions-Fraktion ihre verfassungsrechtlichen Bedenken zu diesem Nachtragshaushalt.
Konstantin Kuhle über geflüchtete Ukrainer in Beschäftigung
Konstantin Kuhle sagt, nur 20 Prozent der geflüchteten Ukrainer arbeiten
Nach den neuesten Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, sind 18 Prozent der vor dem russischen Angriffskrieg geflüchteten Ukrainer erwerbstätig. 22 Prozent der Männer und 17 Prozent der Frauen. Bei ukrainischen Flüchtlingen, die bereits länger als zwölf Monate hier sind, liegt die Erwerbsquote bei 28 Prozent. Mit Hilfe der Statistiken der Bundesagentur für Arbeit lassen sich die Zahlen zu Ukrainern auf dem deutschen Arbeitsmarkt weiter differenzieren: Nimmt man alle Ukrainer – also auch diejenigen, die schon vor dem Krieg hier gelebt haben – so lag die Beschäftigungsquote im April dieses Jahres bei 21,9 Prozent.
Vergleicht man die Erwerbsquote geflüchteter Ukrainer mit anderen EU-Staaten, so liegt Deutschland im unteren Bereich. In einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung hat der Politikwissenschaftler und Migrationsforscher Dietrich Thränhardt untersucht, wie die Aufnahme von Ukrainern in den Arbeitsmarkt der EU-Staaten gelungen ist. In den Niederlanden haben 70 Prozent der geflüchteten Ukrainer eine Beschäftigung gefunden. Auch in Polen (60 Prozent), Dänemark (53 Prozent) und Tschechien (50 Prozent) lag die Erwerbsquote im vergangenen Jahr deutlich höher als hierzulande.
Stand: 28.11.2023, 11:18 Uhr