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Kanzler im Abschiebemodus: Hilft das den Kommunen wirklich?

Der Faktencheck zur Sendung vom 06.11.2023

Der Bundeskanzler verspricht eine Wende beim Thema Migration: Wird jetzt wirklich bald im großen Stil abgeschoben? Reicht das, um die hohen Flüchtlingszahlen zu drücken? Müssen Flüchtlinge schneller in Arbeit, Sozialleistungen gekürzt, Europas Grenzen wehrhafter werden?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Thorsten Frei über Geldtransfers in Herkunftsländer

Die Frage, ob er denn eine Datengrundlage zu den Summen habe, die in die Herkunftsländer transferiert werden, beantwortete Torsten Frei mit “Ja“. Konkret wurde er allerdings nicht. Wir haben solche Zahlen gefunden:

O-Ton Frei

00:27 Min. Verfügbar bis 06.11.2024

Die Deutsche Bundesbank veröffentlicht in ihren jährlichen Zahlungsbilanzen auch Daten zu den Überweisungen, die in Deutschland lebende Ausländer in ihre Heimatländer tätigen. Insgesamt waren dies im vergangenen Jahr rund 7,1 Milliarden Euro. Das sind gut eine Milliarde Euro mehr als noch im Jahr zuvor. Die Gelder dienen laut Bundesbank entweder dem Aufbau einer Zweitexistenz oder der Unterstützung von Familienangehörigen. Mit knapp 5,2 Milliarden Euro machen die Überweisungen innerhalb Europas den weitaus größten Anteil der Heimatüberweisungen aus. Besonders hier lebende und arbeitende Türken (848 Mio. Euro), Bulgaren (659 Mio. Euro) und Polen (557 Mio. Euro) schicken viel Geld in ihre Heimatländer. In die Hauptherkunftsländer von Asylbewerbern Syrien und Afghanistan wurden im vergangenen Jahr 407 Mio. bzw. 162 Mio. Euro überwiesen. Da die meisten Überweisungen unter der Meldepflicht von 12.500 Euro liegen, sind diese Zahlen laut Bundesbank geschätzt.

Diese Zahlen unterscheiden nicht zwischen den Transfers von Ausländern, die schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten hier leben, arbeiten und deren Asylverfahren längst abgeschlossen sind, und denen, die noch ein Asylverfahren durchlaufen oder Schutzsuchenden mit oder ohne Duldung.

Großbritanniens Asyl-Deal mit Ruanda

So ganz einig waren sich Hadija Haruna-Oelker und Torsten Frei nicht, wie es um den aktuellen Stand der britischen Pläne steht, Asylverfahren von Flüchtlingen in Ruanda durchzuführen.

Hadija Haruna-Oelker mit Jens-Marco Scherf und Thorsten Frei

00:35 Min. Verfügbar bis 06.11.2024

Die Pläne der britischen Regierung sorgten im vergangenen Jahr für ebenso viel Aufmerksamkeit wie Kritik. Illegal nach Großbritannien eingereiste Flüchtlinge sollen nach Ruanda gebracht werden und dort ihr Asylverfahren durchlaufen. Als Gegenleistung erhält das ostafrikanische Land finanzielle Unterstützung in Höhe von 120 Millionen Pfund. Nicht nur das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR stellte sich vehement gegen die Pläne und forderte Großbritannien auf, das Abkommen zu überdenken. Schon der erste geplante Abschiebeflug nach Ruanda im Sommer letzten Jahres rief die Justiz auf den Plan, weil acht Flüchtlinge gegen die Abschiebung geklagt hatten. Per einstweiliger Verfügung untersagte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Abschiebeflug.

Der Fall landete im Dezember 22 vor dem “High Court“. Der befand, grundsätzlich sei das Abkommen mit Ruanda legal und verstoße nicht gegen die Flüchtlingskonvention. Allerdings mahnten die Richter an, dass jeder Einzelfall genau zu prüfen sei. Dies sei bei den Flüchtlingen, die einige Monate zuvor gegen ihre Abschiebung geklagt hatten, nicht geschehen. Im Juni dieses Jahres ging der Fall dann vor den “Court of Appeal“, dem obersten Berufungsgericht. Mit zwei zu eins Richterstimmen wurde entschieden, Asylbewerber nach Ruanda abzuschieben, sei rechtswidrig. Nach Ansicht der Richter könne Ruanda nicht als sicherer Drittstaat angesehen werden.

Mit diesem Urteil gab sich die Regierung um Premier Sunak nicht zufrieden und rief Großbritanniens höchstes Gericht an. Anfang Oktober startete das Berufungsverfahren am Supreme Court. Sollten die höchsten Richter das Urteil des “Court of Appeal“ bestätigen, bedeutet dies wohl das Ende des Abkommens mit Ruanda in seiner jetzigen Form. Bis zu einer Entscheidung dürften Wochen oder Monate vergehen.

Ausreisepflichtige Personen

Torsten Frei sagt, in Deutschland lebten 250.000 Menschen, die ausreisepflichtig seien.

"hart aber fair" - Gästerunde

01:56 Min. Verfügbar bis 06.11.2024

Streng genommen ist die Größenordnung, die Torsten Frei nennt, richtig. Allerdings werden in Deutschland Ausreisepflichtige OHNE Duldung unterschieden von den Ausreisepflichtigen MIT Duldung. Auf Anfrage hat uns das Bundesinnenministerium die aktuellsten Zahlen zu ausreisepflichtigen Personen mitgeteilt. Ende September zählte das Ausländerzentralregister (AZR) demnach rund 255.000 Personen, die ausreisepflichtig sind. Hiervon aber haben 205.000 Personen eine Duldung. Der Rest – rund 50.000 – besitzen diese Duldung nicht und sind somit sofort ausreisepflichtig. Zwar sind auch die Personen mit Duldung „vollziehbar ausreisepflichtig“, allerdings wird deren Abschiebung ausgesetzt und die Strafbarkeit des illegalen Aufenthalts entfällt – und das aus guten Gründen: So wird beispielsweise Personen eine Duldung erteilt, die eine Berufsausbildung begonnen haben. Ebenso erhalten Menschen eine Duldung, für deren Herkunftsländer ein Abschiebestopp erlassen wurde, weil ihnen dort Gefahr für Leib und Leben droht – wie etwa Afghanistan. Eine Duldung erhalten auch Eltern, deren Kinder eine Aufenthaltsgenehmigung besitzen und Personen, die aufgrund von Krankheit nicht abgeschoben werden können. Eine Duldung bekommen allerdings auch Personen, die keine Ausweispapiere oder Reisedokumente vorweisen können oder deren Heimatland ihnen die Einreise verweigert. In diesem Jahr wurden zwischen Januar und September laut Bundesinnenministerium etwas mehr als 12.000 Personen abgeschoben. Das waren etwa 2.500 mehr als im Vorjahreszeitraum.

Stand: 07.11.2023, 11:22 Uhr