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Melonis Italien: Wie gefährlich ist der Rechtsruck für Deutschland und Europa?

Der Faktencheck zur Sendung vom 18.09.2023

Italien wird rechtsnational regiert: Wie hat sich das Land dadurch verändert? Warum sind Rechtspopulisten in Italien auf dem Vormarsch - und auch in vielen anderen europäischen Ländern? Weil Brüssel keine Antwort auf die Flüchtlingsfrage findet? Was bedeutet diese Entwicklung für die EU ein Jahr vor der Europa-Wahl? Die Diskussion nach der Dokumentation zum Thema.

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Monika Hohlmeier über Seenotrettung und Migranten

Monika Hohlmeier sieht einen Zusammenhang zwischen Seenotrettung und der Zahl der Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa flüchten wollen. Ihr sei berichtet worden, dass die Zahl der Flüchtlinge während der europäischen Seenotrettungsmission “Sophia“ zugenommen habe.

Monika Hohlmeier

01:02 Min. Verfügbar bis 18.09.2024

Damit vermittelt Monika Hohlmeier den Eindruck, Seenotrettung sei ein so genannter “Pull-Faktor“, der Flüchtlingen Anreize biete, sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer in Richtung Europa aufzumachen, da die Überfahrt durch die Präsenz von Rettungsschiffen weniger gefährlich sei. Dieses Argument wird seit vielen Jahren von Kritikern breit angelegter Rettungsmissionen auf dem Mittelmeer angeführt. Wissenschaftliche Untersuchungen der vergangenen Jahre konnten diesen Zusammenhang bisher nicht belegen. Eine aktuelle Studie, die im Rahmen des Projekts “Seenotrettung im Mittelmeer“ am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung erstellt wurde, schließt diesen Zusammenhang sogar aus. Ein Autoren-Team um die Migrationsforscherin Dr. Alejandra Rodriguez Sánchez von der Uni Potsdam und Julian Wucherpfennig, Professor für internationale Beziehungen und Sicherheit an der Hertie School of Governance analysierten unter anderem Daten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex sowie der lybischen und tunesischen Küstenwache aus den Jahren 2011 bis 2020. “Es gibt keinen Zusammenhang zwischen lebensrettenden Aktionen im Mittelmeer und der Zahl der Migranten“, fasst Julian Wucherpfennig die Ergebnisse der Studie zusammen. Konflikte sowie wirtschaftliche und ökologische Bedingungen haben nach Ansicht der Autoren einen größeren Einfluss auf die Entscheidung der Menschen, sich auf den Weg nach Europa zu machen.

Bereits im Jahr 2019 veröffentlichte der Migrationsforscher Matteo Villa vom Institut für internationale politische Studien (ISPI) in Mailand gemeinsam mit Eugenio Cusumano (Migration Policy Center) eine Untersuchung, die ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Migranten und der Präsenz von Seenotrettern nachweisen konnte. Die Autoren belegten, dass eine Präsenz von Rettungsschiffen in der Nähe der lybischen Küste keinen Anstieg der Flüchtlinge nach sich zog, die den gefährlichen Weg übers Mittelmeer antraten. Das Wetter vor der libyschen Küste habe dagegen einen großen Einfluss auf die Entscheidung.

Zwar gibt es auch eine Untersuchung zweier italienischer Ökonomen von der Universität Palermo, die mit Hilfe von Daten aus 2018 festgestellt haben, dass in den Monaten, in denen Rettungsschiffe im Mittelmeer unterwegs waren, die Zahl der Migranten aus Libyen zugenommen habe. Allerdings, so Carlo Amenta, einer der Autoren, habe dies keinen Effekt auf das Entscheidungsverhalten der Flüchtlinge gehabt. Vielmehr gehen die Forscher davon aus, dass die Schleuserbanden ihre Strategie an die Präsenz von Rettungsmissionen angepasst haben. Das sieht auch die Migrationsexpertin Arezo Malakooti von “Global Initiative“ so. Schleuser seien auf kleinere und weniger seetüchtige Boote umgestiegen und hätten mehr Menschen darauf gezwängt, als sie verstanden hatten, dass sie in internationalen Gewässern aufgegriffen würden, so Malakooti 2019 gegenüber der Baseler Zeitung.

Katarina Barley über Italiens Wahlsystem und Melonis Sieg

Katarina Barley sagt, im Verhältnis zur Zustimmung in der Bevölkerung, sei der Wahlsieg Melonis unverhältnismäßig hoch ausgefallen. Das liege an der Besonderheit des italienischen Wahlrechts.

Katarina Barley

00:40 Min. Verfügbar bis 18.09.2024

Wenn man sich das italienische Wahlsystem genauer anschaut, ist die Aussage von Katarina Barley durchaus plausibel. Das derzeitige, “Rosatellum“ genannte, Wahlsystem sieht eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl vor. 37 Prozent der Sitze im Parlament (400 für die Abgeordnetenkammer und 200 für den Senat), werden durch das Mehrheitswahlrecht bestimmt, 61 Prozent der Sitze über das Verhältniswahlrecht. Über die übrigen zwei Prozent entscheiden die Auslands-Italiener. 37 Prozent des Parlaments werden also direkt in den Wahlkreisen gewählt, 61 Prozent über den landesweiten Stimmenanteil der einzelnen Parteien.

Anders als in deutschen Wahlkreisen, wo per Mehrheitswahlrecht mit der Erststimme ein Kandidat einer Partei gewählt werden kann, können Wahlkreis-Kandidaten in Italien von Koalitionen zur Wahl gestellt werden. Genau das hat die Mitte-Rechts-Koalition von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr getan. Dagegen konnte sich die Mitte-Links Koalition nicht auf eine gemeinsame Linie einigen und schickte ihrerseits „nur“ Wahlkreis-Kandidaten ihrer einzelnen Parteien ins Rennen. Das führte dazu, dass sich die Parteien der Mitte-Links-Koalition gegenseitig Stimmen abnahmen, während die Mitte-Rechts-Koalition ihre Wählerstimmen auf einen Kandidaten vereinen konnten.

Während in Deutschland das System der Überhang- und Ausgleichsmandate dafür sorgt, dass sich das Zweitstimmenergebnis am Ende auch in der Zusammensetzung des Bundestages widerspiegelt, gibt es einen solchen Ausgleich in Italien nicht. In Italien kann dies tatsächlich dazu führen, dass eine Partei mehr Sitze im Parlament erringt, als es dem Gesamtergebnis entsprechen würde. Genauso ist es bei den Wahlen im vergangenen Jahr dann auch gekommen. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat die Ergebnisse der Wahlen in Italien zusammengefasst. In beiden Kammern des Parlaments errang die Koalition aus Melonis Fratelli d´ Italia, Lega und Forza Italia die absolute Mehrheit. Allerdings vereinte sie nur 43 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich. Dem gegenüber stehen rund 52 Prozent, die ihre Stimme Parteien aus dem Mitte-Links-Spektrum gegeben haben.

Stand: 19.09.2023, 12:38 Uhr