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Neue Härte: Kommt die Wende in der Asylpolitik?

Der Faktencheck zur Sendung vom 14.08.2023

Die Zahl der Flüchtlinge steigt, der Ton in der Politik wird rauer. Asylverfahren nur noch außerhalb der EU? Clanmitglieder abschieben, auch ohne Vorstrafe? Was bringen solche Vorschläge? Was wird aus einer Gesellschaft, die auf Abschottung setzt und Menschenrechte in Frage stellt?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Wiebke Judith über Schutzquoten

Wiebke Judith sagt, die Schutzquote bei “inhaltlichen Entscheidungen“ über Asylanträge liege bei 70 Prozent.

Wiebke Judith mit Ruud Koopmanns (li.) und Lars Castelucci

59:57 Min. UT Verfügbar bis 14.08.2024

Die Schutzquote gibt den Anteil der positiven Asylentscheidungen in Deutschland an. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ermittelt eine “Gesamtschutzquote“ auf Basis aller getroffenen Entscheidungen. Dabei berücksichtigt es auch die Entscheidungen, die nicht aus inhaltlichen, sondern aus “formellen“ Gründen abgelehnt wurden – etwa, weil im Rahmen des Dublin-Verfahrens ein Antrag an einen anderen EU-Staat übergeben wird oder ein Antrag freiwillig zurückgezogen wurde. Demgegenüber steht die “bereinigte Schutzquote“. Sie lässt die formellen Entscheidungen außen vor und berücksichtigt lediglich die Verfahren, bei denen tatsächlich eine “inhaltliche Prüfung“ des Asylgesuchs vorgenommen wurde. Die bereinigte Schutzquote fällt höher aus.

Wenn Wiebke Judith also von einer Schutzquote bei “inhaltlichen Entscheidungen“ spricht, hat sie Recht. 72,3 Prozent aller Anträge, die im vergangenen Jahr dahingehend geprüft wurden, ob ein Flüchtling Anspruch auf Schutz hat, wurden bewilligt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor. Besonders hoch lag die bereinigte Schutzquote bei Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan (99,9 Prozent und 99,3 Prozent). Die Gesamtschutzquote – also jene, die auch die formellen Entscheidungen mit einbezieht – lag im vergangenen Jahr bei 56,2 Prozent und damit deutlich höher als in den Jahren 2020 (43,1 Prozent) und 2021 (39,9 Prozent).

Thorsten Frei über Flüchtlinge und Nachbarstaaten

Thorsten Frei sagt, Deutschland sei weltweit das viertgrößte Aufnahmeland von Flüchtlingen. Während die ersten drei Länder in diesem Ranking überwiegend Flüchtlinge aus direkten Nachbarländern aufnehmen, gebe es weltweit kein anderes Land außer Deutschland, das so viele Flüchtlinge aus Nicht-Nachbarstaaten aufnimmt.

Thorsten Frei

59:57 Min. UT Verfügbar bis 14.08.2024

Zunächst einmal ist es richtig, dass es weltweit nur drei Länder gibt, die 2022 mehr Flüchtlinge aufgenommen haben als Deutschland. Laut Daten des UNHCR suchten im vergangenen Jahr 2,1 Millionen Menschen Schutz in Deutschland. Hierzu zählen auch die etwa eine Million Ukrainer, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flüchteten. Mehr Schutzsuchende haben nur die Türkei (3,6 Millionen), der Iran (3,4 Millionen) und Kolumbien (2,5 Millionen) aufgenommen.

Wie uns das UNHCR-Deutschland bestätigt hat, kommen in diesen Ländern die allermeisten Flüchtlinge aus den direkten Nachbarländern. So nehme die Türkei vor allem Menschen aus Syrien auf, der Iran ist Zuflucht für Afghanen und in Kolumbien suchen vor allem Menschen aus Venezuela Schutz. Insgesamt, so das UNHCR, finden weltweit 70 Prozent der 108 Millionen Menschen, die vor Krieg oder Verfolgung flüchten, Schutz in Nachbarstaaten.

Aufgrund der geografischen Lage inmitten Europas ist es nicht verwunderlich, dass kaum einer der 2,1 Millionen Flüchtlinge in einem direkten Nachbarstaat Deutschlands beheimatet ist. In absoluten Zahlen hat Thorsten Frei also Recht, bestätigt auch das UNHCR. Ohne konkrete Zahlen benennen zu können, gibt das UNHCR aber zu bedenken, dass Deutschland nicht mehr so weit vorne läge, würde man die aufgenommenen Flüchtlinge aus Nicht-Nachbarstaaten pro Kopf des Aufnahmelandes berechnen.

Ruud Koopmans über Asylbewerber-Zahlen seit 1995

Ruud Koopmans sagt, bereits zu diesem Zeitpunkt sei 2023 das Jahr mit den drittmeisten Asylbewerbern seit 1995.

Ruud Koopmans (re.) mit Lars Castelucci

00:37 Min. UT Verfügbar bis 14.08.2024

Lässt man die ca. 1 Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine außen vor und betrachtet nur die Asylbewerberzahlen, so ist die Aussage von Ruud Koopmans nicht ganz richtig, wenngleich man sie durchaus in die höchsten der vergangenen 28 Jahre einreihen kann. Zwischen Januar und Juli dieses Jahres sind nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bislang rund 175.000 Erstanträge auf Asyl gestellt worden. Seit 1995 lag diese Zahl nur in vier Jahren höher. Während die Zahl von 1995 (127.937 Erstanträge) bis 2007 kontinuierlich auf rund 19.000 gesunken war, stieg sie bis 2014 wieder auf etwa 173.000 an. In Folge des Krieges in Syrien nahm die Zahl dann ab 2015 sprunghaft zu: 2015 beantragten knapp 442.000 Menschen Asyl in Deutschland, im Jahr darauf sogar rund 772.000. Zwischen 2017 (198.317) und 2021 (148.233) verzeichnete das BAMF wieder deutlich sinkende Zahlen, ehe im vergangenen Jahr die Zahl der Erstanträge wieder auf 217.774 gestiegen ist.

Stand: 14.08.2023, 13:34 Uhr