Grüner Filz bei Habeck: Ist die Energiewende in Gefahr?
Der Faktencheck zur Sendung vom 22.05.2023
Sein Staatsekretär stürzt über Filzvorwürfe, ist deshalb auch beim Minister angezählt? Gefährdet grüne Regulierungswut die Zustimmung zur Energiewende? Oder machen das eher die Parteien, die den Bürgern zurufen: Wählt uns, wir nehmen doch alle den Klimaschutz nicht so ernst?
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Julia Klöckner über die "Trauzeugen-Affäre"
Julia Klöckner sagt, die Affäre um den Staatsekretär Patrick Graichen sei erst herausgekommen, weil die Union einen Sonderausschuss zur Aufklärung der Causa Graichen beantragt hatte.
Das ist falsch. Als die Unionsfraktion Anfang Mai die Sondersitzung im Wirtschaftsausschuss beantragt hatte, ging die “Trauzeugen-Affäre“ längst durch alle Gazetten. Bereits im April widmete sich der Spiegel in einer Kolumne den verwandtschaftlichen Verhältnissen zwischen Staatsekretär Patrick Graichen und dem damals vorgesehenen neuen Leiter der Deutschen Energie-Agentur (Dena) Michael Schäfer. Als bekannt wurde, dass Schäfer nicht nur ein alter Freund von Graichen ist, sondern auch dessen Trauzeuge, nahm die Affäre Fahrt auf. Es stellte sich heraus, dass Graichen selbst in der Findungskommission für die Besetzung der Dena-Leitung gesessen hatte. Graichen selbst räumte noch im April ein, dass dies ein Fehler gewesen sei und er sich aus dem Verfahren hätte zurückziehen müssen. CDU und CSU reagierten also auf diese Affäre, deckten sie aber nicht auf, wie Julia Klöckner sagt. Über die anderen familiären Verflechtungen innerhalb des Wirtschaftsministeriums berichtete übrigens schon die TAZ Ende 2021: So war bereits damals klar, dass etwa der parlamentarische Staatsekretär Michael Kellner der Schwager seines Amtskollegen Graichen ist, weil er mit Graichens Schwester verheiratet ist. Die wiederum war seinerzeit Vorsitzende des BUND in Berlin und forscht am Öko-Institut zu Klimapolitik.
Markus Feldenkirchen über Wasserstoff und Heizungen
Markus Feldenkirchen zweifelt daran, dass Wasserstoff für die Wärmegewinnung in Zukunft ein relevanter Faktor sein wird. Studien hätten gezeigt, dass der Anteil an Wasserstoff für Heizungen verschwindend gering sein wird.
Es kommen tatsächlich viele Studien zu dem Schluss, dass Wasserstoff als Energieträger für Heizungen nur eine untergeordnete Rolle spielen wird. Insbesondere für dezentrale Heizungen, also Heizungen, die die Wärme zum Beispiel direkt im Heizungskeller vor Ort erzeugen, sei die Ressource Wasserstoff zu knapp und zu teuer. So kommt etwa eine Untersuchung der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) zu dem Schluss, dass der Einsatz von Wasserstoff für eine dezentrale Heizung um ein Vielfaches ineffizienter wäre, als eine Wärmepumpe. Um die gleiche Wärmeleistung zu erzielen, müsste für Wasserstoff fünf bis sechsmal mehr erneuerbarer Strom erzeugt werden als bei einer Wärmepumpe, so der Autor der Studie. Auch das Fraunhofer-Institut hat sich mehrere Studien angeschaut, die sich unter anderem mit der Nachfrage nach Wasserstoff für den Gebäudesektor befasst haben. Demnach kommen die meisten Studien zu dem Schluss, dass Wasserstoff als Brennstoff für die Wärmeerzeugung in Gebäuden eine untergeordnete Rolle spielen wird – sowohl kurzfristig ab 2030 als auch mittel- und langfristig ab 2040 bzw. 2050. Die Bedeutung von Wasserstoff für die Wärmegewinnung hat auch das so genannte Ariadne-Projekt, an dem zahlreiche Universitäten und Forschungseinrichtungen beteiligt sind, untersucht. Zwar sei eine Umstellung der Heizungen auf Wasserstoffbetrieb technisch möglich, so die Autoren. Sie bezweifeln jedoch, dass es zu einer “signifikanten Umwidmung von Erdgasverteilnetzen“ zu Gunsten von Wasserstoff kommen wird.
Christian Dürr über Energie-Importe
Christian Dürr sagt, nur 30 Prozent der Energie, die in Deutschland benötigt wird, werde auch hierzulande produziert.
Christian Dürr bezieht sich hier offenbar auf den Gesamtenergiebedarf, den Industrie, Verkehr und Haushalte in Form von Strom, Öl, Kohle, Gas und anderen Energieträgern benötigen. Auf diesen Anteil kommen auch Berechnungen der “Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen“. Demnach konnte Deutschland im vergangenen Jahr lediglich 31 Prozent der benötigten Energie selbst gewinnen. Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) mussten importiert werden. Während sich Deutschland bei den Energieträgern Erneuerbare und Braunkohle zu 100 Prozent selbst versorgt, ist es vor allem bei Mineralöl, Erdgas und Steinkohle auf den Import angewiesen. Dass Erdöl und Erdgas hierbei den weitaus größten Anteil der Importe ausmachen, ist allerdings kaum verwunderlich, da Deutschland selbst nur sehr geringe Erdöl- und Gasvorkommen besitzt. Laut der AG Energiebilanzen wurden im vergangenen Jahr 98 Prozent des Erdöls und 95 Prozent des Erdgases eingeführt. Da in Deutschland keine Steinkohle mehr gefördert wird, waren es bei diesem Energieträger sogar 100 Prozent. Laut AG-Energiebilanzen lag der Energieverbrauch in Deutschland im Jahr 2022 bei 3.270 Terrawattstunden. Zum Vergleich: Die privaten Haushalte in Deutschland verbrauchten 2021 nach Angaben des Umweltbundesamtes 670 Terrawattstunden. Mehr als zwei Drittel (68,2 Prozent) hiervon wurden alleine für das Heizen benötigt. Dabei nutzten die privaten Haushalte hauptsächlich Erdgas und Öl, gefolgt von erneuerbaren Energien und Fernwärme.
Stand: 23.05.2023, 11:41 Uhr