Menschen suchen ein Zuhause: Wer ist schuld an der Wohnungsnot?
Der Faktencheck zur Sendung vom 08.05.2023
Das Eigenheim unbezahlbar, günstige Mietwohnung nicht zu haben. Warum haben alte Menschen oft zu große Wohnungen, während junge Familien nichts finden? Warum wird so wenig und so teuer gebaut? Und machen die vielen Vorschriften und Ökoauflagen das Bauen bald ganz unmöglich?
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Klara Geywitz über gebaute Wohnungen im Jahr 2022
Zwar räumt Klara Geywitz ein, dass das Ziel der Bundesregierung, 400.000 neue Wohnungen zu bauen, im vergangenen Jahr verfehlt wurde. Sie zweifelt aber an der Schätzung, dass unter dem Strich nur 280.000 Wohnungen fertig gestellt worden sind.
Es ist richtig, dass noch keine offiziellen Daten darüber vorliegen, wie viele Wohnungen im vergangenen Jahr tatsächlich fertig gestellt worden sind. Blickt man aber auf die Zahlen der erteilten Baugenehmigungen und tatsächlich fertig gestellten Wohnungen aus dem Jahr 2021, so deutet viel darauf hin, dass das Ziel der Bundesregierung, jährlich 400.000 neue Wohnungen fertig zu stellen, im vergangenen Jahr deutlich verfehlt worden ist: 2021 wurden nach Angaben des statistischen Bundesamtes 380.736 Baugenehmigungen erteilt. Fertiggestellt wurden im gleichen Jahr etwa 293.400. Im vergangenen Jahr wurden offiziell 354.400 Baugenehmigungen erteilt.
Geht man also von einer ähnlichen Lücke zwischen Genehmigungen und tatsächlich fertig gestellten Wohnungen aus, wie im Jahr 2021, so sind die Prognosen zweier Spitzenverbände der Bauwirtschaft durchaus plausibel. Der Zentralverband des deutschen Baugewerbes (ZDB) schätzt, dass 2022 280.000 Wohnungen fertiggestellt wurden. Der Hauptverband der deutschen Bauindustrie (HDB) rechnet mit 275.000. Abzuwarten bleibt, ob die deutlich gestiegenen Zinsen und Baukosten am Ende nicht sogar dazu führen, dass unter dem Strich noch weniger Wohnungen fertig gestellt sein werden. Endgültige Daten hierzu veröffentlicht das statistische Bundesamt Ende Mai.
Caren Lay über Wohnungsbaukonzerne und Grunderwerbsteuer
Caren Lay findet es ungerecht, dass private Hausbauer Grunderwerbsteuer zahlen müssen, während große Wohnungskonzerne die Möglichkeit hätten, die Grunderwerbsteuer zu umgehen.
Wechselt eine Immobilie den Besitzer, fällt in Deutschland Grunderwerbsteuer an. Je nach Bundesland liegt sie zwischen 3,5 Prozent (Bayern und Sachsen) und 6,5 Prozent (z.B. NRW und Thüringen) des Kaufpreises. Caren Lay spielt auf die so genannten “Share Deals“ an, durch die Käufer von Immobilien unter bestimmten Umständen von der Zahlung der Grunderwerbsteuer befreit werden, bzw. sie erst gar nicht anfällt. Diese “Share Deals“ sind eine Form des Erwerbs von Immobilien, bei denen der Käufer nicht das Haus oder das Grundstück selbst kauft, sondern Anteile an der Gesellschaft, die im Besitz dieser Immobilien ist. Der Trick hierbei: Erwarb ein Käufer nicht mehr als einen Anteil von 94,9 Prozent – zum Beispiel an einer Kapitalgesellschaft mit Immobilienbesitz -, so galt dieser Kauf nicht mehr als Immobilienkauf und wurde daher von der Grunderwerbsteuer befreit. Übernimmt ein weiterer Käufer die restlichen 5,1 Prozent von der Kapitalgesellschaft, fiel auch hierfür keine Grunderwerbsteuer an.
Die Große Koalition hatte die Möglichkeiten der Steuerersparnis durch solche “Share Deals“ im Sommer 2021 zwar eingeschränkt, indem sie die steuerfrei zu erwerbenden Anteile auf 90 Prozent senkte. Dennoch kann bis heute über “Share Deals“ Grunderwerbsteuer umgangen werden. Zwischen 2018 und Mitte 2021 wurden solche “Share Deals“ beim Kauf von mindestens 149.000 Wohnungen genutzt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Fraktion hervor. Diese Zahl beinhaltet allerdings nur die Immobiliengeschäfte, bei denen mehr als 800 Wohneinheiten auf einmal gekauft wurden. Auf der Liste finden sich neben ausländischen Investoren auch bekannte deutsche Wohnungsbaugesellschaften wie Vonovia und Adler Real Estate. Wie viele dieser Geschäfte vor allem das Ziel der Vermeidung von Grunderwerbsteuer hatten, konnte die Bundesregierung nicht beantworten.
Gerhard Matzig über das Protenzial von Nachverdichtungen
Gerhard Matzig sagt, durch Nachverdichtung in Städten – also durch Nutzung von Dächern von Gewerbegebäuden oder die Umwandlung von Parkhäusern – könnten sofort 2,7 Millionen Wohnungen gebaut werden.
Gerhard Matzig bezieht sich hier wahrscheinlich auf eine Studie der TU Darmstadt und des Pestel-Instituts aus dem Jahr 2019. In ihrer “Deutschlandstudie 2019“ untersuchten die Autoren unter anderem die vorhandenen Potenziale, die sich durch eine Aufstockung und Umnutzung von Nichtwohngebäuden ergeben. Tatsächlich könnten demnach zwischen 2,3 und 2,7 Millionen neue Wohnungen entstehen, indem etwa die Dächer von eingeschossigen Discountern und Märkten genutzt würden, um hierauf Wohnraum zu schaffen. Alleine bei dieser Variante berechnen die Autoren ein Potenzial von 400.000 Wohneinheiten. Weitere rund 900.000 Wohnungen könnten entstehen, wenn Büro- und Verwaltungsgebäude aufgestockt oder die Leestände in solchen Gebäuden genutzt würden. Hinzu kommen bis zu 1,5 Millionen Wohnungen, die auf bereits bestehenden Wohngebäuden entstehen könnten. Der baurechtliche Rahmen für solche Aufstockungen stellt für die Autoren allerdings ein Problem dar. Viele der Bauvorschriften und Bebauungspläne gründeten aus einer Zeit, in der sich Städteplaner die “aufgelockerten Stadt“ zum Ziel setzten. Dies werde den Anforderungen unserer Zeit allerdinge nicht mehr gerecht, schreiben die Autoren und fordern, die Planungsgrundlagen zu öffnen und weiter zu entwickeln.
Stand: 09.05.2023, 18:41 Uhr