haf

Der große Streiktag: Gerecht oder Gefahr für die Wirtschaft?

Der Faktencheck zur Sendung vom 27.03.2023

Ein Warnstreik, um das ganze Land lahmzulegen: Haben die Gewerkschaften überzogen? Was planen sie als nächstes? Oder braucht es diesen Kampf für deutlich mehr Geld, weil die hohe Inflation bleibt und besonders diejenigen mit kleinem Einkommen trifft?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Janine Wissler über Rente in Frankreich

Janine Wissler sagt, auch in Frankreich beziehen die Menschen erst mit 67 Jahren ihre vollen Rentenbezüge.

Diese Aussage ist zu pauschal. Bei unseren Nachbarn ist das Rentensystem deutlich komplexer als hierzulande. In Frankreich zahlen Arbeitnehmer in zwei gesetzliche Rentenkassen ein. Zum einen leisten Franzosen Beiträge für die Grundrente, zum anderen führen sie Beiträge in eine Zusatzvorsorge ab, die in Frankreich eingeführt worden war, um den Lebensstandard zu sichern. Alleine für die Auszahlung der Grundrente sind in Frankreich 42 verschiedene Kassen zuständig. Freiwillig können sich die Franzosen darüber hinaus über eine private Vorsorge zusätzlich absichern.

In Frankreich gilt das gesetzliche Renteneintrittsalter von 62 Jahren für alle Arbeitnehmer, die ab 1955 geboren wurden. Wer mit 62 Jahren allerdings eine abschlagsfreie Grundrente erhalten will, muss – abhängig vom Jahrgang – eine Mindestzahl an Versicherungsjahren erreicht haben. Erreicht er sie nicht, muss er entweder Abschläge bei der Rentenhöhe hinnehmen oder er arbeitet so lange weiter, bis er die nötigen Versicherungsjahre vorweisen kann. Für die Jahrgänge ab 1955 gilt aber: Wer mit 67 in Rente geht, erhält auf jeden Fall die volle Grundrente – unabhängig davon, wie lange er in die Rentenkasse eingezahlt hat.

Je nach Jahrgang muss ein Franzose zwischen 40 und 41,5 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt haben, um den vollen Anspruch seiner Grundrente zu erhalten. Es ist also durchaus möglich, bereits mit 62 Jahren die volle Rente ausgezahlt zu bekommen. Allerdings gibt es auch Franzosen, die über ihr 62. Lebensjahr hinaus arbeiten müssen, wenn sie nicht bereit sind, Einbußen hinzunehmen und die volle Grundrente erhalten wollen.

Anja Kohl über Lohneinbußen

Anja Kohl sagt, bereits im dritten Jahr in Folge hätten die Arbeitnehmer durch die Inflation Reallohnverluste hinnehmen müssen.

Das ist richtig. Laut statistischem Bundesamt hat die hohe Inflation die Lohnsteigerungen im vergangenen Jahr mehr als aufgefressen. Unter dem Strich sanken die Reallöhne demnach um 3,1 Prozent gegenüber 2021. Damit mussten Arbeitnehmer bereits das dritte Jahr in Folge Einbußen hinnehmen. Zwar ist nach Angaben der Wiesbadener Statistiker der Nominallohnindex im vergangenen Jahr gegenüber 2021 um 3,5 Prozent gestiegen - so stark wie seit 2008 nicht mehr - allerdings lässt der Nominallohnindex, der die Entwicklung der Bruttogehälter abbildet, keine Aussagen über die Kaufkraft zu, da er die Preisentwicklung nicht berücksichtigt. Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Inflation von 6,9 Prozent im vergangenen Jahr, berechnete das statistische Bundesamt einen Reallohnverlust von 3,1 Prozent. Anders als im Jahr 2020, als vor allem vermehrte Kurzarbeit zu einem Reallohnverlust geführt hatte, sei es in den vergangenen beiden Jahren die hohe Inflation gewesen, die maßgeblich zum Lohnverlust beigetragen habe, so die Statistiker.

Stand: 28.03.2023, 10:32 Uhr