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Heizen, Dämmen, Autofahren: Öko-Umbau mit der Brechstange?

Der Faktencheck zur Sendung vom 20.03.2023

Millionen Haushalten soll es in den nächsten Jahren an ihre Öl- und Gas-Heizung gehen. Wer kann sich Wärmepumpe, Dämmen und E-Autos überhaupt leisten? Überfordert die Ampel mit der Klimawende die Bürger? Oder muss das jetzt sein, weil das Klima keine Kompromisse macht?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Streit um Tempolimit-Studie

Seit Wochen steht eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA), in der unter anderem das CO2-Einsparpotenzial bei einem Tempolimit untersucht worden war, im Fokus. Während sich das UBA hinter die Studie und deren Autoren stellt, wird sie unter anderem von Seiten der FDP, von anderen Verkehrsforschern und vom Verband der Automobilindustrie (VDA) kritisiert. Wir können diesen Studien-Streit hier im Faktencheck nicht schlichten. An dieser Stelle können wir lediglich einen Überblick über die Ergebnisse der Studie anbieten und die Kritik an ihr zusammenfassen.

Im Januar dieses Jahres veröffentlichte das Umweltbundesamt eine bereits im Jahr 2019 in Auftrag gegebene Studie (“Flüssiger Verkehr für Klimaschutz und Luftreinhaltung“), die sich unter anderem mit den CO2-Einsparpotenzialen bei einem Tempolimit befasst. Die Autoren rund um den Stuttgarter Verkehrsforscher Prof. Markus Friedrich kommen in ihrer Arbeit zu dem Ergebnis, dass ein Tempolimit von 120 km/h auf deutschen Autobahnen eine sofortige CO2-Reduzierung von 6,7 Millionen Tonnen bringen könnte. Hinzu kommen weitere CO2-Einsparungen durch Nebeneffekte eines Tempolimits. Hierzu zählen zum einen so genannte Routenwahleffekte – also das Ausweichen von der Autobahn auf eine langsamere aber kürzere und damit spritsparendere Landstraße. Darüber hinaus geht die UBA-Studie davon aus, dass ein Teil der Autofahrer wegen der längeren Fahrzeiten bei einem Tempolimit auf Bus oder Bahn umsteigen werden. Führte man dazu noch ein Tempolimit von 80 km/h auf Landstraßen ein, könnten so insgesamt pro Jahr bis zu 8 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, so die UBA-Studie.

Kritik vom VDA

Kritik an der Studie äußerte in unserer letzten “hart aber fair“ – Sendung zum Thema Klima (30.01.23) bereits unser Gast Hildegard Müller – Chefin des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Die Zahlen der UBA-Studie hätten keinerlei wissenschaftliche Grundlage. Die Presseabteilung von Hildegard Müller schickte unserer Redaktion nur einen Tag später eine Mail, in der sie die Kritik an der UBA-Studie untermauerte. Besonders stießen dem VDA die Methodik und die genutzten Daten der UBA-Studie auf. So hätten sich die Autoren der UBA-Studie auf Daten des Navigationsanbieters TomTom gestützt. Diese aber bildeten lediglich 15 Prozent der Verkehrs ab und würden vor allem in höherpreisigen Autos verwendet, die ohnehin eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit aufweisen. Darüber hinaus seien die Daten aus dem Jahr 2018 zu alt und berücksichtigten weder die Effekte durch die Corona-Krise noch die gestiegenen Mineralölpreise, die zu einem veränderten Geschwindigkeitsverhalten geführt hätten, so der VDA. Dies werde durch eine Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) untermauert. Demnach führen nur 23 Prozent der PKW überhaupt schneller als 130 km/h. Weniger als zwei Prozent seien schneller als 160 km/h gefahren. Dies passe nicht zu den von der UBA-Studie zugrunde gelegten elf Prozent, die schneller als 160 km/h fahren. Ein weiterer Kritikpunkt des VDA ist der in den kommenden Jahren wachsende Anteil von E-Autos, der bis 2030 nach dem Willen der Bundesregierung auf 15 Millionen ansteigen wird. Der damit verbundene Rückgang an CO2-Emmissionen werde nicht ausreichend berücksichtigt.

FDP mit eigener Studie

Auch die FDP hat sich die UBA-Studie angeschaut und war mit den Ergebnissen offenbar unzufrieden. Die Bundestagsfraktion der Liberalen gab eine eigene Tempolimit-Studie bei Prof. Alexander Eisenkopf (Zeppelin Universität Friedrichhafen) und Prof. Andreas Knorr (Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer) in Auftrag. Die Kurzstudie aus dem Februar dieses Jahres kommt zu deutlich niedrigeren CO2-Reduzierungen als die UBA-Studie. Demnach führe ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen von 120 km/h pro Jahr lediglich zu einer CO2-Vermeidung von 1,1 Millionen Tonnen. Die Autoren gehen in ihrer Arbeit auch auf die UBA-Studie ein und kritisieren sowohl die genutzten Daten als auch die Methodik. Ähnlich wie der VDA hält auch das FDP-Gutachten die vom UBA genutzten TomTom-Daten für unzureichend, da sie nur 15 Prozent des Verkehrsgeschehens abdeckten. Auch stoßen sich die Gutachter am Alter der Daten und den nicht berücksichtigten Umbrüchen und Effekten durch Corona und die gestiegenen Spritpreise.

UBA-Studien-Autoren reagieren auf Kritik

Ein Streit über Studienergebnisse wäre aber nur halb ausgefochten, würde sich der kritisierte Wissenschaftler nicht zur Wehr setzen. Gemeinsam mit dem Co-Autor der UBA-Studie, Matthias Schmaus, reagierte Markus Friedrich auf die FDP-Studie und kritisiert seinerseits deren Berechnungen. So sei die Herleitung des CO2-Reduktionsziels in der FDP-Studie der Zeppelin-Universität “sowohl methodisch als auch inhaltlich fehlerbehaftet“, kontert Friedrich. Die Herleitung der Zahlen aus dem FDP-Gutachten basiere auf Zahlen aus unterschiedlichen Teilen des UBA-Berichts und seien auf unzulässige Weise miteinander verrechnet worden. Darüber hinaus nutze die FDP-Studie für die Berechnung der Pkw-Emissionen Werte, die auch Lkw enthalten. Da ein Tempolimit nicht auf Lkw wirke, seien die Einsparungen bei der FDP-Studie deutlich kleiner, so der Stuttgarter Verkehrswissenschaftler in einem Interview mit Spiegel-online, in dem er erst kürzlich zur Kritik an seiner Untersuchung Stellung bezogen hatte.

Kritik an FDP-Gutachter

Frank Schätzing wirft den Autoren der von der FDP beauftragten Studie zum Tempolimit Alexander Eisenkopf und Andreas Knorr in der Sendung vor, in einem „Aufsatz“, so Schätzing, den menschengemachten Klimawandel infrage zu stellen. Richtig ist, dass die beiden Verkehrswissenschaftler als Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des damaligen Bundesministers für Verkehr und digitale Infrastruktur 2016 ein so genanntes „Minderheitenvotum“ veröffentlicht haben. Es handelte sich hierbei um eine Stellungnahme zu einem Gutachten desselben wissenschaftlichen Beirats im Nachgang der Pariser Klimakonferenz 2015. Das Gutachten befasste sich damals mit der Frage, wie nach der Pariser Klimakonferenz eine Klimastrategie für die Verkehrspolitik aussehen könne. Im „Minderheitenvotum“ übten Eisenkopf und Knorr Kritik an den Empfehlungen des Gutachtens. Auf dieses „Minderheitenvotum“ bezieht sich Frank Schätzing in seiner Aussage mutmaßlich. Eisenkopf und Knorr kritisieren in dem „Minderheitenvotum“ zum großen Teil die theoretischen Voraussetzungen und die den Empfehlungen zugrunde liegenden Klimamodelle, und bemängeln, dass die Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirats aus ökonomischer Sicht nicht durchdacht seien. Zudem verweisen sie darauf, dass das Pariser 2-Grad-Ziel eine in erster Linie “politisch definierte Zielgröße“ sei, die “naturwissenschaftlich sowie ökonomisch nicht stringent zu begründen ist“.

Der menschengemachte Klimawandel wird im Minderheitenvotum an keiner Stelle explizit infrage gestellt. Einer der Autoren, Alexander Eisenkopf, wies den Vorwurf von Frank Schätzing in einem nachträglichen Schreiben an den WDR zurück. Es gibt in dem Minderheitenvotum jedoch einige Passagen, auf die sich Frank Schätzing mutmaßlich beziehen könnte, wenn er sagt, die Autoren hätten „ein dickes Fragezeichen hinter den menschengemachten Klimawandel gesetzt und gesagt, also das wäre ja gar nicht sicher, ob es das überhaupt gäbe und das bisschen CO2 würde eigentlich eh nicht wirklich dazu beitragen“. Eisenkopf und Knorr legen in ihrem Text von 2016 dar, das Gutachten konzentriere sich zu sehr auf die Reduktion von menschengemachtem CO2. Für eine Bestandsaufnahme brauche es eine “umfassende und klare Differenzierung zwischen natürlichen und anthropogenen Treibhausgasemissionen“. Diese fehle in dem Gutachten. Außerdem vermissen die beiden Wissenschaftler eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Effekte der verschiedenen Treibhausgase. Im Minderheitenvotum heißt es hierzu: “So fehlt dem Papier eine umfassende und klare Differenzierung zwischen natürlichen und anthropogenen Treibhausgasemissionen als Bestandsaufnahme, zum anderen wird die Relevanz und unterschiedliche Wirksamkeit der verschiedenen Treibhausgase nicht betrachtet. Im Endeffekt wird grob vereinfachend und verkürzend auf die Reduktion von anthropogenem CO2 abgestellt, was angesichts der insgesamt vergleichsweise geringen Relevanz dieses Gases für den Gesamttreibhausgaseffekt (anthropogen und natürlich verursacht) mit einem Fragezeichen zu versehen ist“.

Warum diese „Studie ein bisschen nah an der Klimaleugnerszene ist“, begründet Schätzing in der Sendung nicht weiter. In dem Minderheitenvotum ziehen Eisenkopf und Knorr zur Forderung eines Stopps des Ausbaus erneuerbarer Energien allerdings als Quelle ein Buch von Autor und AfD-Politiker Michael Limburg heran, der 2007 mit anderen das so genannte „Europäische Institut für Klima und Energie“ (EIKE) gründete, das sich auf seiner Webseite lange Zeit als Zusammenschluss von „Natur-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaftlern, Ingenieuren, Publizisten und Politikern [verstand], die die Behauptung eines ‚menschengemachten Klimawandels‘ als naturwissenschaftlich nicht begründbar und daher als Schwindel gegenüber der Bevölkerung ansehen.“

Anm. d. Redaktion: Wir haben den Faktencheck zur Kritik an den Autoren der von der FDP beauftragten Studie zum Tempolimit ergänzt. Wir machen nun noch deutlicher, dass es sich hier um die Darstellung von Passagen eines Textes handelt, der Frank Schätzing mutmaßlich zu seinem Vorwurf veranlasst hat. Darüber hinaus haben wir die Passagen des Minderheitenvotums in einen detaillierteren Zusammenhang mit dem Gutachten des wissenschaftlichen Beirats gebracht. Außerdem nennen wir neben Prof. Alexander Eisenkopf nun auch den Mit-Autor des Minderheitenvotums, Prof. Andreas Knorr. Wir bedanken uns bei Herrn Prof. Alexander Eisenkopf für die entsprechenden Hinweise per Mail.

Um sich selbst ein umfassendes Bild machen zu können, haben wir eine Linkliste mit allen relevanten Studien, Kritiken und Reaktionen zusammengestellt:

Weiterführende Links zum Thema Heizen, Umbau, Sanierung

Die Pläne der Bundesregierung, wie unsere Häuser und Wohnungen in Zukunft geheizt werden sollen, sorgen bei vielen Menschen für Verunsicherung. Wie lange darf ich meine Öl- oder Gasheizung noch nutzen? Wann muss ich eine neue Heizung einbauen? Wie viel Geld wird mich eine Sanierung kosten? Wie komme ich an Förderungen und welche Heizungsanlage ist für mich am sinnvollsten? Nur einige Fragen, über die sich Hausbesitzer derzeit den Kopf zerbrechen. Annabel Oelmann von der Verbraucherzentrale Bremen hatte in der Sendung bereits hilfreiche Tipps gegeben.

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Annabel Oelmann mit Louis Klamroth

Über folgende Links können Sie sich über Energieberatung, Sanierungs-Förderungen, Wärmepumpen und andere Fragen rund um das zukünftige Heizen informieren.

Stand: 06.04.2023, 12:42 Uhr