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Die neue Macht der Arbeitnehmer: Mehr Geld für weniger Arbeit?

Der Faktencheck zur Sendung vom 13.03.2023

Drohen Streiks wie seit langem nicht? Bis zu 15 Prozent mehr: Zeigen die aktuellen Lohnforderungen, wie stark Arbeitnehmer mittlerweile sind? Und weiter gedacht: Braucht Deutschland die Vier-Tage-Woche oder einfach mehr Bock auf Arbeit?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Hubertus Heil über Erwerbstätige

Hubertus Heil sagt, mit 46 Millionen gebe es in Deutschland so viele Menschen in Erwerbstätigkeit, wie noch nie.

Das stimmt. Im Durchschnitt des vergangenen Jahres waren hierzulande 45,6 Millionen Menschen erwerbstätig. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes waren das so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990. Im Vergleich zum Jahr 2021 stieg die Zahl um 589.000 – ein Plus von 1,3 Prozent. Alleine der Dienstleistungsbereich mache einen Anteil von 93 Prozent am Zuwachs der Erwerbstätigkeit aus, so die Statistiker. Sowohl die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte als auch eine Zunahme an der Erwerbsbeteiligung inländischer Arbeitskräfte haben laut statistischem Bundesamt zu dem Anstieg beigetragen. Diese beiden Einflüsse waren im vergangenen Jahr stärker, als die Effekte des demografischen Wandels, die über mittlere Sicht eher zu einem Rückgang der Erwerbstätigkeit führen werden, so das statistische Bundesamt.

Steffen Kampeter über Löhne in Pflege- und Gesundheitsberufen

Steffen Kampeter sagt, im Bereich Pflege und Gesundheit habe es in den letzten zehn Jahren Lohnsteigerungen von über 30 Prozent gegeben. Dagegen sei der Lohn in der gewerblichen Wirtschaft nur um 21 Prozent gestiegen.

Für den Zeitraum zwischen den Jahren 2010 und 2020 ist das richtig. Das statistische Bundesamt hat errechnet, dass die Löhne von vollzeitbeschäftigten Fachkräften im Gesundheitssektor zwischen 2010 und 2020 um 32,9 Prozent gestiegen sind. Fachkräfte in Altenheimen verdienten 2020 demnach 32,8 Prozent mehr als 2010 und bei Fachkräften in Pflegeheimen war die Lohnsteigerung in diesem Zeitraum mit 38,6 Prozent sogar noch höher. Damit sind die Bruttogehälter in all diesen Bereichen in dieser Dekade deutlich stärker gestiegen, als dies bei Berufen im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor der Fall war. Hier lagen die durchschnittlichen Lohnsteigerungen bei 21,2 Prozent. Laut statistischem Bundesamt verdiente eine Fachkraft 2020 in einem Krankenhaus durchschnittlich 3.578 Euro brutto, in der Pflege kam sie auf 3.363 Euro und in einem Altenheim auf 3.291 Euro. Beschäftigte mit vergleichbarer Qualifikation im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich verdienten demnach durchschnittlich 3.286 Euro.

Sara Weber über Mütter in Teilzeit

Sara Weber sagt, zwei Drittel der erwerbstätigen Mütter arbeiten in Teilzeit. Allerdings nur sieben Prozent der Väter.

Das ist richtig. Im vergangenen Jahr veröffentlichte das statistische Bundesamt hierzu Zahlen aus dem Jahr 2020. Demnach waren 65,5 Prozent aller erwerbstätigen Mütter in Teilzeit beschäftigt. Dagegen arbeiteten nur 7,1 Prozent der erwerbstätigen Väter in Teilzeit. An dieser Diskrepanz hat sich nach Angaben der Statistiker seit dem Jahr 2010 nicht viel geändert. Damals lag die Teilzeitquote bei berufstätigen Müttern bei 64,2 Prozent, bei Vätern lag sie bei 5,4 Prozent. Besonders häufig arbeiteten Mütter mit jüngeren Kindern in Teilzeit: Fast 70 Prozent der Mütter mit mindestens einem Kind unter zwölf Jahren arbeiteten in einer Teilzeitbeschäftigung. Zum Vergleich: Im EU-Durchschnitt waren es lediglich 33,9 Prozent. Laut statistischem Bundesamt ist die Teilzeitquote von Müttern mit Kindern unter 12 Jahren mit 82,3 Prozent nur noch in den Niederlanden höher als bei uns.

Zitat Andrea Nahles

Ein wenig schimmerte bei Hubertus Heil der Vorwurf durch, unsere Verkürzung eines Zitats von Andreas Nahles reiße ihre Aussage aus dem Zusammenhang. Hier daher nochmal das Zitat in Originallänge und unsere verkürzte Version. Machen Sie sich selbst ein Bild:

In einem Interview mit der “Augsburger Allgemeinen“ vom 19. Februar dieses Jahres ist Andrea Nahles darauf angesprochen worden, dass “einige junge Menschen den Einklang von Leben und Arbeit sehr ernst“ zu nehmen scheinen. Zu diesem Aspekt der “Work-Life-Balance“ machte Nahles darauf aufmerksam, dass Arbeit immer wieder neu ausgehandelt werden müsse und nannte als Beispiel aus ihrer Generation das Aushandeln der Verteilung der Arbeit zwischen Mann und Frau in Familien. Ein solches Aushandeln sei nun auch bei Fragen der Work-Life-Balance nötig, sagte Nahles und fügte hinzu: “Aushandeln heißt aber auch an die jüngere Generation gerichtet: Arbeit ist kein Ponyhof.“

Hier der Auszug aus dem Interview im genauen Wortlaut:

Augsburger Allgemeine: “Dabei scheinen einige junge Menschen den Einklang von Leben und Arbeit sehr ernst zu nehmen und bei Einstellungsgesprächen zu fordern, dass sie ihren Hund ins Büro mitnehmen dürfen und keine einzige Überstunde machen müssen.“

Andrea Nahles: “So etwas irritiert mich auch manchmal. Wir müssen Arbeit immer wieder neu aushandeln. Der Arbeitsmarkt verändert sich in Deutschland stärker als in anderen Ländern, weil wir ein massives demografisches Problem haben. Der deutsche Arbeitsmarkt wandelt sich von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmer-Arbeitsmarkt. Fragen der Work-Life-Balance müssen neu ausgehandelt werden, wie meine Generation die Verteilung der Arbeit zwischen Frau und Mann in Familien neu ausgehandelt hat. Aushandeln heißt aber auch an die jüngere Generation gerichtet: Arbeit ist kein Ponyhof.

Wir haben den Satz, der sich auf die “Work-Life-Balance“ bezieht, wie folgt gekürzt:

“Fragen der Work-Life-Balance müssen neu ausgehandelt werden […]. Aushandeln heißt aber auch an die jüngere Generation gerichtet: Arbeit ist kein Ponyhof.“

Die einzige Passage, die wir im Zusammenhang mit der “Work-Life-Balance“ herausgenommen haben, war also das Beispiel von Nahles über das Aushandeln der Verteilung von Arbeit zwischen Mann und Frau in Familien. Wir sind der Ansicht, dass diese Verkürzung den Hinweis von Nahles an die Jüngeren, dass Arbeit keine Freizeit ist, nicht verfälscht.

Das komplette Interview mit BA-Chefin Andrea Nahles finden Sie hier:

Stand: 14.03.2023, 09:44 Uhr