Über eine Million Menschen suchen Zuflucht: Deutschland an der Belastungsgrenze?
Der Faktencheck zur Sendung vom 06.03.2023
Es fehlt an Unterkünften, Schulen, Geld: Überfordert die Rekordzahl an Flüchtlingen Stadt und Land? Scheitert so die Integration? Warum bleiben Zehntausende hier, die eigentlich abgeschoben werden müssten? Und warum müssen zu oft die gehen, die gut integriert sind?
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Genfer Flüchtlingskonvention und EU-Außengrenzen
Die Debatte über die Genfer Flüchtlingskommission, das Recht auf Wahl des Ziellandes und Kontrollen an den EU-Außengrenzen war in der Sendung ein wenig zerfahren. Wir fassen hier die einzelnen Punkte zusammen.
Es ist richtig, wie Jens Spahn sagt, dass die Genfer Flüchtlingskonvention einem Geflüchteten nicht das Recht gibt, sich das Zielland auszusuchen. Das haben uns sowohl Dr. Dana Schmalz vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht als auch Prof. Daniel Thym, Völkerrechtler an der Uni Konstanz, bestätigt. Dana Schmalz verweist aber darauf, dass die Genfer Flüchtlingskonvention einen Staat gleichzeitig über das so genannte Refoulement-Verbot dazu verpflichtet, einen Schutzsuchenden nicht ohne Weiteres in einen Transitstaat zurückzuschieben. “Es gibt also kein Recht das Aufnahmeland auszusuchen, aber bei Ankunft an der Grenze oder auf dem Territorium gibt es Pflichten des Staates gegenüber dem Individuum“, so Dana Schmalz. Eine dieser Pflichten ist laut Daniel Thym, dass Staaten Menschen nicht in ein Land zurück schicken dürfen, in dem sie verfolgt werden. Gleichzeitig ergebe sich daraus aber auch, “ dass ein Staat schutzsuchende Personen in andere Länder zurückschicken kann, wenn ihnen dort keine Verfolgung oder sonstige gravierende Gefahr droht“, so Thym. Noch detaillierter werde dies alles in den Richtlinien der Europäischen Union zu gemeinsamen Verfahren der An- und Aberkennung von internationalem Schutz geregelt, so Dana Schmalz.
Zu den Verfahren an der EU-Außengrenze, die laut Jens Spahn bereits durch EU-Beschlüsse vorgegeben sind, äußern sich unsere Experten differenziert. Ja, es gebe solche Verfahren an den Außengrenzen, sagt Daniel Thym, da bereits die EU-Staaten – also auch die an den Außengrenzen - eine Verpflichtung hätten, Asylverfahren durchzuführen. Der Völkerrechtler schränkt aber ein, dass solche Verfahren nicht zwingend an den Außengrenzen stattfinden, sondern auch beispielsweise innerhalb von Italien oder Griechenland durchgeführt werden können. Eine weitere kleine Einschränkung gebe es bei Einreiseverweigerungen. “Eine solche findet nur statt, wenn die Länder an den Außengrenzen so genannte Grenzverfahren bzw. Transitzonen einrichten.“ Das könnten sie machen, müssten sie aber nicht, sagt Thym und verweist auf Pläne der EU-Kommission diese Verfahren künftig strenger handhaben zu wollen.
Tareq Alaows und Tanja Schweiger über Einzelfälle im Landkreis Regensburg
Tanja Schweiger kann den Fall, den Tareq Alaows in der Sendung geschildert hat, nicht glauben und verweist auf ein Gespräch mit einem Mitstreiter Alaows´ vor 14 Tagen. Der Bitte, ihr den konkreten Fall vorzulegen, sei er allerdings bisher nicht nachgekommen.
Die Bürgerinitiative "Asyl Regensburg" schickte vor sechs Tagen (01.03.23) einen Brief an Landrätin Tanja Schweiger. Der Brief liegt unserer Redaktion vor. In ihm macht die Initiative den Vorschlag für ein Treffen, um über Fälle zu sprechen, wie ihn unser Gast Tareq Alaows in der Sendung geschildert hatte. In dem Brief werden insgesamt sechs Fallbeispiele aufgelistet, in denen Bewohnern einer Gemeinschaftsunterkunft der Auszug untersagt wurde, obwohl sie den zuständigen Behörden Vorschläge für eine eigenverantwortliche Unterbringung in eigenen Wohnungen, Wohnungen von Familienangehörigen oder Appartements und Zimmern gemacht haben. Drei dieser Fallbeispiele beziehen sich auf Gemeinschaftsunterkünfte der Regierung Oberpfalz im Landkreis Regensburg, weitere drei Fälle auf die Stadt Regensburg.
Nach Bitte um eine Stellungnahme versicherte uns Tanja Schweiger, dass sie der Brief bis heute nicht erreicht hat. Darüber hinaus ging sie auf die im Brief genannten Fallbeispiele ein. Nach Angaben von Tanja Schweiger war der Landkreis in fünf von sechs aufgelisteten Fällen für die Ablehnung eines Auszugs aus einer Gemeinschaftsunterkunft nicht zuständig und verweist auf die Verantwortlichkeit der Bezirksregierung und der Stadt Regensburg. Nur in einem der geschlderten Fälle lag die Zuständigkeit für die Genehmigung eines Auszugs aus einer Gemeinschaftsunterkunft beim Landkreis Regensburg. Der hatte dem Auszug auch zugestimmt. Allerdings wurde diese Zustimmung von der zentralen Ausländerbehörde der Regierung Oberpfalz wieder zurückgenommen. Auf diese Entscheidung hat das Landratsamt nach Angaben von Tanja Schweiger keinen Einfluss.
Übrigens: In dem Brief an Landrätin Schweiger spricht die Bürgerinitiative "Asyl Regensburg" der Arbeit der Landrätin und ihrer Mitarbeiter ausdrücklich für die Fälle, für die sie alleine zuständig sind, ein Lob aus: "Hier entscheidet die Ausländerbehörde des Landratsamtes nach unserem Kenntnisstand auch großzügig und zeitnah, was wir begrüßen.“
Da die Beispiele im Brief anonymisiert sind, können wir deren Wahrheitsgehalt nicht ohne Weiteres prüfen. Wir bemühen uns, zumindest für den Fall, den Tareq Aloaws in der Sendung angeführt hat, die nötigen Daten zu erhalten, um bei den zuständigen Behörden nachzufragen, ob sich dieser Fall tatsächlich so zugetragen hat und – sollte es stimmen - mit welcher Begründung dem Geflüchteten der Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft untersagt wurde. Sobald wir nähere Informationen hierzu erhalten, werden wir den Faktencheck an dieser Stelle ergänzen.
Anm. d. Redaktion: In einer früheren Version dieses Faktenchecks schrieben wir, der Brief an Frau Schweiger sei von Pro Asyl. Richtig ist, dass der Brief von der Bürgerinitiative "Asyl Regensburg" stammt. Wir haben das korrigiert.
Stand: 07.03.2023, 14:59 Uhr