Frieden mit Putins Russland: Eine Illusion?
Der Faktencheck zur Sendung vom 27.02.2023
Weniger Waffen, mehr Verhandlungen: Das fordern jetzt viele Deutsche auf Demonstrationen und in Briefen. Aber verlängern Waffen für die Ukraine wirklich den Krieg? Und würden Verhandlungen jetzt nur einen Frieden von Putins Gnaden und auf Kosten der Ukraine bringen?
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Sahra Wagenknecht über Kriegssverbrechen
Die Reaktion von Sahra Wagenknecht auf unseren Einspielfilm über die Vergewaltigungen von ukrainischen Frauen durch russische Soldaten war: “Also das stimmt so nicht, die UN hat eindeutig gesagt, dass Kriegsverbrechen – und das ist in jedem Krieg so – von beiden Seiten begangen werden.“
Richtig ist, dass die Vereinten Nationen Hinweise darauf haben, dass auch von ukrainischer Seite Verbrechen begangen wurden. In ihrem Bericht über die Behandlung von Kriegsgefangenen kam die Leiterin der UN-Menschrechtsdelegation in der Ukraine, Matilda Bogner, im November vergangenen Jahres zu dem Ergebnis, dass sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer Seite Kriegsgefangene geschlagen, gefoltert und auch getötet wurden. Ihr Bericht basiert auf der Befragung von 159 ukrainischen und 175 russischen Kriegsgefangenen. So berichtete die Mehrheit der ukrainischen Gefangenen, während ihrer Internierung Folter und Misshandlungen ausgesetzt worden zu sein. Ebenso dokumentierte die UN Fälle von Folter und Misshandlungen durch ukrainische Streitkräfte – meist bei der Festnahme, dem ersten Verhör oder dem Transport in ein Gefangenenlager. Der Bericht von Matilda Bogner kommt zu dem Schluss, dass ukrainische Kriegsgefangene “systematisch“ von russischen Truppen misshandelt werden. Eine “systematische“ Misshandlung russischer Soldaten durch ukrainische Truppen konnte die UN nicht feststellen.
In unserem Einspielfilm ging es aber um die Erkenntnisse der UN über Vergewaltigungen von ukrainischen Frauen durch russische Soldaten. Sahra Wagenknecht bezog sich an dieser Stelle aber auf Kriegsverbrechen. Wir texten in unserem Einspielfim: „Die Vereinten Nationen sammeln seit Beginn des Krieges Informationen zu Vergewaltigungen: Es gibt dazu verschiedene Aussagen, Stellungnahmen, Berichte. Belege für Vergewaltigungen durch ukrainische Soldaten liegen der UN demnach nicht vor.“ Mittlerweile ist uns ein Bericht der UN-Menschenrechtskommissarin aus dem Juli 2022 bekannt, in dem auch sexualisierte Gewalt auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet berichtet wird. Auch in diesem Bericht, wird der Großteil der verübten Verbrechen den Russen angelastet. Die damalige UN- Menschenrechtskommissarin schreibt: „Mein Team hat 28 Fälle konfliktbedingter sexueller Gewalt verifiziert, darunter Fälle von Vergewaltigung, Gruppenvergewaltigung, Folter, erzwungener öffentlicher Entkleidung und Androhung sexueller Gewalt. Die meisten Fälle wurden in den von den russischen Streitkräften kontrollierten Gebieten begangen, aber es gab auch Fälle, die in von der Regierung kontrollierten Gebieten begangen wurden.“ In einem Bericht aus dem September werden den russischen Streitkräften 30 Taten sexualisierter Gewalt vorgeworfen, den ukrainischen Streitkräften zwei Fälle. In einem Folgebericht der UN-Menschenrechtskommissarin aus dem Dezember ist von 86 Fällen sexualisierter Gewalt im Zusammenhang mit dem Krieg die Rede, ukrainische Täter werden nicht erwähnt. Stattdessen werden in diesem Bericht alle Vorfälle, in denen konkret Aussagen über die Täter gemacht werden, ausschließlich russischen Soldaten zugeordnet. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen der von uns zitierten UN-Sonderbeauftragten für sexualisierte Gewalt in Konflikten, Pramila Patten, die den systematischen Einsatz sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe der Russen beobachtet hat: "Wenn Sie sehen, dass Frauen und Mädchen tagelang gefangen gehalten, geschlagen und vergewaltigt werden. Wenn Sie sehen, wenn Sie die Zeugenaussagen dieser Frauen hören, die über russische Soldaten sprechen, die mit Viagra ausgerüstet sind. Das ist eindeutig eine militärische Strategie."
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Faktenchecks haben wir noch nicht auf den Bericht der UN-Menschenrechtskommissarin aus dem Juli 2022 und den UN-Bericht aus dem September 2022 verwiesen. Dies haben wir hier ergänzt.
Katrin Göring-Eckardt über verschleppte Kinder
Katrin Göring-Eckardt sagt, inzwischen seien 16.000 ukrainische Kinder verschleppt worden.
Es kursieren die unterschiedlichsten Zahlen zu den Kindern, die zwangsweise nach Russland verschleppt worden sind. Noch vor einem Jahr etwa behauptete die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments Lyudmyla Denisova, insgesamt seien bereits bis Mai 2022 fast zwei Millionen Ukrainer zwangsweise nach Russland deportiert worden, darunter 200.000 Kinder. Diese Zahl konnte nie bestätigt werden und widerspricht auch den Zahlen, die die Ukraine erst kürzlich genannt hat. Demnach geht die Ukraine von 14.700 Kindern aus, die zwangsweise in so genannte Umerziehungslager gebracht worden seien. Forscher der Yale-University haben in einer aktuellen Untersuchung versucht, sich ein realistisches Bild über die Zahl der verschleppten Kinder zu machen. Dazu analysierten die Wissenschaftler um den Experten für Kriegsverbrechen, Nathaniel Raymond, zahlreiche open-source-Informationen sowie Stellungnahmen der russischen Regierung und anderer russischer Einrichtungen. Die Forscher identifizierten bis heute insgesamt 43 Umerziehungslager in Russland und gehen von mindestens 6000 Kindern aus, die aus den russisch besetzten Gebieten in solche Einrichtungen gebracht worden sind. Raymond stuft seine Schätzung als sehr konservativ ein und geht selbst von deutlich höheren Zahlen aus.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann über Ukrainer auf der Flucht
Agnes Strack-Zimmermann sagt, 14 Millionen Ukrainer seien inzwischen auf der Flucht vor dem Krieg.
Diese Größenordnung deckt sich mit den Schätzungen des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR). In seinen jüngsten Schätzungen geht das UNHCR davon aus, dass sich seit Beginn der russischen Invasion vor einem Jahr ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung gezwungen sah, die Flucht zu ergreifen. Demnach suchten über acht Millionen Menschen aus der Ukraine Schutz in Europa. Weitere 5,4 Millionen Menschen sind innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Mit über 1,55 Millionen hat Polen bisher die meisten Ukrainer aufgenommen, gefolgt von Deutschland mit mehr als einer Million Menschen.
Stand: 01.03.2023, 12:42 Uhr