haf

Streit um Einwanderung: Verpasst Deutschland seine Zukunft?

Der Faktencheck zur Sendung vom 16.01.2023

Die Deutschen werden immer weniger, schon fehlen überall Fachkräfte. Braucht es noch mehr Einwanderer, um die ganze Arbeit zu erledigen? Und welche? Muss Deutschland mehr bieten, wenn es weltweit um Talente wirbt: zum Beispiel leichteren Zugang zum deutschen Pass?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Joachim Herrmann über Arbeitslosenquoten unter Ausländern

Joachim Herrmann ist mit der Eingliederung von Ausländern in den bayerischen Arbeitsmarkt zufrieden. Schließlich gebe es kein Bundesland, in dem die Arbeitslosenquote unter Ausländern so niedrig sei, wie im Freistaat.

Joachim Herrmann hat Recht. Im Dezember 2022 lag die Arbeitslosenquote unter Ausländern in Bayern bei 8,1 Prozent. Damit liegt sie so niedrig wie in keinem anderen Bundesland und deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt von 14,7 Prozent. Das geht aus den aktuellen Arbeitsmarktstatistiken der Bundesagentur für Arbeit hervor. Ähnlich niedrig liegt die Quote mit 9 Prozent in Baden-Württemberg. Die höchste Arbeitslosenquote unter ausländischen Mitbürgern verzeichnet Mecklenburg-Vorpommern mit 26 Prozent. Auch bei der Arbeitslosenquote insgesamt steht Bayern unter den 16 Bundesländern am besten da. Sie lag im Vormonat bei 3,1 Prozent. Am höchsten waren die Quoten in Bremen mit 10 Prozent und Berlin mit 8,6 Prozent.

Lamya Kaddor über Deutschland als attraktives Einwanderungsland

Lamya Kaddor macht sich ein wenig Sorgen um die Attraktivität Deutschlands für ausländische Fachkräfte. Sie ist sich sicher, dass Deutschland nicht zu den beliebtesten Einwanderungsländern für qualifizierte Ausländer gehört.

Eine Untersuchung der OECD unterstützt die Vermutung von Lamya Kaddor. Mit der “OECD talent attractiviness“ untersuchte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wie attraktiv sich Deutschland für hochqualifizierte Einwanderer im Vergleich zu anderen OECD-Staaten darstellt. Dabei legten die Forscher sieben Kriterien zugrunde, die für die Attraktivität eines Landes ausschlaggebend sind. Hierzu zählen unter anderem Verdienstmöglichkeiten und Steuerlast, Zunftsperspektiven, berufliche Chancen, Lebensqualität und die Bedingungen für Familienangehörige. Für hochqualifizierte Einwanderer liegt Deutschland im OECD-Vergleich lediglich im Mittefeld und nimmt den zwölften Rang unter 35 Staaten ein. Das für qualifizierte Facharbeiter attraktivste Land ist demnach Australien, gefolgt von der Schweiz und Schweden. Attraktiver – wenngleich ebenfalls nicht in der Spitzengruppe – wird Deutschland bei ausländischen Unternehmern, die sich im Ausland niederlassen wollen, gesehen. Hier rangiert Deutschland auf dem fünften Rang. Kanada erscheint Unternehmern in dieser Kategorie am attraktivsten. Am besten schneidet Deutschland bei den ausländischen Studenten ab. Für sie ist Deutschland das viertattraktivste Land, um ein Studium zu absolvieren. Noch attraktiver für ausländische Studenten sind nur die Schweiz, Norwegen, und Finnland.

Chancen-Karte und Chancen-Aufenthaltsrecht

An der einen oder anderen Stelle wurden in der Diskussion die “Chancen-Karte“ und das “Chancen-Aufenthaltsrecht“ in einen Topf geworfen. Wir möchten an dieser Stelle die beiden Maßnahmen noch einmal erklären

Chancen-Aufenthaltsrecht

Anders als bei der von Hubertus Heil vorgesehenen „Chancen-Karte“, die eines von mehreren Instrumenten zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte darstellt, hat das “Chancen-Aufenthaltsrecht“ die Menschen im Blick, die schon über längere Zeit geduldet in Deutschland leben. Ihnen soll mit dem seit 31. Dezember 2022 geltenden Gesetz die Möglichkeit gegeben werden, die nötigen Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht zu erfüllen. Hierfür werden ihnen vom Gesetzgeber 18 Monate Zeit gegeben. Die Betroffenen müssen ihrerseits eine Reihe von Anforderungen erfüllen. So müssen sie zum Stichtag 31.10.2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben und ununterbrochen geduldet sein oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzen. Darüber hinaus müssen sie sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen, nicht wegen einer Straftat verurteilt sein und sie dürfen nicht wiederholt falsche Angaben gemacht haben oder über Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht haben. Nach Ablauf des 18-monatigen Chancen-Aufenthaltsrechts müssen sie ausreichende Deutschkenntnisse sowie die eigene Sicherung des Lebensunterhalts durch eine Erwerbstätigkeit nachweisen. Schaffen sie es nicht, diese Voraussetzungen innerhalb dieser Frist zu erfüllen, werden sie wieder auf den Status der Duldung zurückgestuft. Nach Angaben der Bundesregierung haben sich Ende vergangenen Jahres rund 248.000 geduldete Ausländer in Deutschland aufgehalten. Etwa 137.000 hiervon länger als 5 Jahre.

Chancen-Karte

Die Chancen-Karte basiert auf einem Punktesystem und ist ein Teil mehrerer Säulen, mit denen die Bundesregierung qualifizierte Zuwanderung nach Deutschland ermöglichen will. Ausländer, die nach Deutschland kommen möchten, sollen mit der Chancen-Karte hier ein Jahr lang die Möglichkeit bekommen, sich eine Arbeit zu suchen, mit der sie ihren Lebensunterhalt sichern können. In dieser Zeit sind die Chancenkarten-Inhaber vom Bezug von Sozialleistungen ausgeschlossen. Die Chancen-Karte erhält nach dem Willen der Ampel-Koalition jeder, der mindestens sechs Punkte erreicht. Wer beispielsweise ausreichend gut deutsch spricht, erhält zwei Punkte. Drei Punkte erhalten diejenigen, die etwa eine Berufsausbildung haben und eine dreijährige Berufserfahrung mitbringen. Zwei Punkte erhalten auch die Bewerber, die nicht älter als 35 Jahre alt sind. Sollten die Bewerber in einer Kategorie nur wenige oder gar keine Punkte erzielen, so können sie dies in einer anderen Kategorie wieder wett machen. Am Ende aber müssen insgesamt mindestens sechs Punkte erreicht werden.

Stand: 17.01.2023, 11:38 Uhr