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Warten auf die Preisbremse: Wie lange steigen die Kosten für Strom und Gas noch weiter?

Der Faktencheck zur Sendung vom 17.10.2022

Hohe Preise erleben die Bürger schon jetzt. Aber viele Hilfspläne der Politik lassen auf sich warten. Wann kommt die Preisbremse bei Strom und Gas? Reicht Deutschlands Energievorrat auch für einem kalten Winter? Und wie leicht kann Sabotage unsere Versorgung lahmlegen?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Torsten Frei über Kernkraft und Strompreis

Für Torsten Frei ist die Entscheidung von Kanzler Scholz, die drei Atomkraftwerke nur bis zum 15. April 2023 weiterlaufen zu lassen, ein fauler Kompromiss. Die Strompreise könnten durch einen Weiterbetrieb der AKW über April 2023 hinaus um zwölf Prozent gesenkt werden.

Torsten Frei bezieht sich hier offensichtlich auf eine aktuelle Studie der Universität Erlangen-Nürnberg. Ein Ökonomen-Team um die Wirtschaftsweise und Vorsitzende der Gas-Expertenkommission der Bundesregierung, Veronika Grimm, hat untersucht, wie sich bei einer Verlängerung der AKW-Laufzeiten die Strompreise in Deutschland entwickeln könnten. Dabei haben die Autoren unterschiedliche Szenarien beleuchtet – etwa eine Laufzeitverlängerung kombiniert mit einem ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien oder in Kombination mit dem Betrieb von Kohlekraftwerken. Betrachte man die Maßnahme der Laufzeitverlängerung alleine, könnten die Strompreise in einem optimistischen Szenario demnach bis zu 13 Prozent sinken. Die Autoren machen aber deutlich, dass sie in ihrer Untersuchung ausschließlich die Effekte auf die Strompreise beleuchten. Die Kosten und Risiken eines Weiterbetriebs lassen sie in der Kurzstudie außen vor.

Auch das ifo-Institut hat in einer aktuellen Studie untersucht, wie sich ein Weiterbetrieb der AKW auf die Strompreise auswirken könnte. Zwar kommt der Autor Mathias Mier ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Preise für Strom sinken, allerdings weitaus weniger stark als es seine Kollegen aus Erlangen prognostizieren. Mier rechnet damit, dass bei einer Laufzeitverlängerung der Strompreis im kommenden Jahr um 4 Prozent, im Jahr darauf aber nur noch um 1,2 Prozent sinkt. Der Energie-Ökonom geht davon aus, dass sich der Anteil der Stromerzeugung aus Erdgas durch ein Laufenlassen der Kernkraftwerke im kommenden Jahr gerade einmal von 8,3 Prozent auf 7,6 Prozent reduziert. Seiner Ansicht nach behindert eine längere Laufzeit der AKW außerdem den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Eva Quadbeck über Angela Merkel und Richtlinienkompetenz

Eva Quadbeck sagt, Angela Merkel habe in ihrer Amtszeit nie von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht – sie habe lediglich einmal „gedroht“, sie anzuwenden.

Es ist richtig, dass die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2018 mit dem Instrument der Richtlinienkompetenz gedroht hatte – und dies keinem geringeren als dem damaligem CSU-Chef Horst Seehofer. Der Streit drehte sich um die Abweisungen von Asylbewerbern an der deutschen Grenze. Während Seehofer Migranten abweisen wollte, die bereits in anderen EU-Staaten registriert waren, pochte Merkel auf eine europäische Lösung und bilaterale Abkommen. Wenn Maßnahmen in Kraft gesetzt würden, die Flüchtlinge ohne Abstimmung mit Partnern der EU an der Grenze zurückweisen, sei dies eine Frage ihrer Richtlinienkompetenz, so Merkel damals in Richtung ihres Innenministers Seehofer.

In einem weiteren Fall wird bis heute darüber diskutiert, ob Angela Merkel nicht schon konkret von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht hat. Die Bundesregierung erlaubte der deutschen Justiz im Jahr 2016 Ermittlungen gegen den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann nach dessen Schmähkritik am türkischen Staatspräsidenten Erdogan wegen Beleidigung einzuleiten. Die Entscheidung war in der Bundesregierung umstritten. Während die zuständigen von der CDU geführten Ressorts Kanzleramt und Innenministerium sich für Ermittlungen aussprachen, waren die SPD-Minister Maas (Justiz) und Steinmeier (Außenministerium) dagegen. Paragraf 24 der Geschäftsordnung der Bundesregierung sieht bei einer solchen Stimmengleichheit vor, dass die Stimme der Vorsitzenden – also Angela Merkel – entscheidet. Während einige das Votum der Kanzlerin für Ermittlungen gegen Böhmermann als Ausübung ihrer Richtlinienkompetenz werteten (etwa das damalige SPD-Vorstandsmitglied Ute Vogt), sahen andere Sozialdemokraten wie der damalige Fraktionschef Thomas Oppermann, hierin lediglich eine gewöhnliche Entscheidung nach Geschäftsordnung.

Die Richtlinienkompetenz ist in Artikel 65 des Grundgesetzes verankert. Hier heißt es: “Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.“ Über die Bedeutung und Wirkkraft der Richtlinienkompetenz eines Bundeskanzlers wird in der Politikwissenschaft schon seit vielen Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Während etwa der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann dem Instrument der Richtlinienkompetenz als eine „Machtreserve“ durchaus eine praktische politische Bedeutung zumisst, hielt sie sein Hamburger Kollege Eberhard Schuett-Wetschky für entbehrlich und „praktisch bedeutungslos.“ Ähnlich äußerte sich der renommierte Parteienforscher Franz Walter in einem Spiegel-Interview aus dem Jahr 2005. Die Richtlinienkompetenz sei niemals angewendet worden und „keinen Cent wert“, so Walter.

Stand: 18.10.2022, 11:05 Uhr