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Der Winter naht, der Krieg wirkt fern: Was ist uns die Freiheit der Ukraine wert?

Der Faktencheck zur Sendung vom 05.09.2022

Deutschland sorgt sich um teures Gas, die Ukraine kämpft ums Überleben. Ist die warme Wohnung hier wichtiger als der Krieg dort? Muss man sich Solidarität mit der Ukraine auch leisten können? Und: Soll Deutschland mehr auf Verhandlungen drängen oder mehr Waffen liefern?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Sabine Fischer über Sanktionen gegen Russland

Sabine Fischer hält die Sanktionen gegen Russland für beispiellos in der Geschichte. Sie ist sich sicher, dass diese Sanktionen auf Zeit auch Wirkung zeigen.

Vielfach wird die Einschätzung vertreten, die Sanktionen des Westens gegen Russland zeigten keine oder zu wenig Wirkung. Gleichzeitig machen Wirtschaftswissenschaftler darauf aufmerksam, dass die Datenlage zur Situation der Wirtschaft in Russland sehr dünn sei. Die renommierte US-Universität Yale hat den Versuch unternommen, mit Hilfe alternativer Quellen ein Bild über den Zustand der russischen Wirtschaft zu zeichnen. Die Autoren, unter ihnen der Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sonnenfeld, haben sich zur Aufgabe gemacht, mit einigen Mythen rund um die Sanktionen gegen Russland aufzuräumen.

So sei es – anders als von Putin immer wieder behauptet - für Russland nicht so einfach möglich, Gas, das nicht nach Europa verkauft wird, auf den asiatischen und insbesondere chinesischen Markt umzuleiten. Hierzu mangele es an geeigneten Pipelines, so die Yale-Wissenschaftler. Die Pipeline-Infrastruktur ermögliche gerade einmal die Lieferung von 16,5 Mrd. Kubikmeter Gas nach China. Dies seien nur 10 Prozent dessen, was Russland im vergangenen Jahr nach Europa geliefert hat.

Die Angaben über die Devisenreserven von 600 Milliarden Dollar, die Russland über die Zeit der Sanktionen bringen sollen, nahmen Sonnenfeld und seine Kollegen ebenfalls unter die Lupe. Sie stellen klar, dass die Hälfte dieser Devisen von den USA, Europa und Japan eingefroren bzw. deren Zugang beschränkt sei. Die verbliebenen 300 Milliarden Dollar seien seit Kriegsbeginn bereits um rund 75 Mrd. Dollar rasant geschrumpft. Es gebe Anzeichen, die darauf hindeuten, dass dem Kreml das Geld möglicherweise viel schneller ausgeht, als bisher geschätzt.

Darüber hinaus kommt die Analyse zu dem Schluss, dass Russland mit Problemen beim Binnenkonsum und dem Import benötigter Technologie zu kämpfen hat. Sogar der Import aus China sei nach Angaben der Chinesen in den ersten vier Monaten des Jahres um die Hälfte eingebrochen. Unter dem Strich sind sich die Wissenschaftler einig, dass die Sanktionen katastrophale und lähmende Auswirkungen auf Russland haben.

Dr. Janis Kluge, Osteuropaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, rät bei solchen Analysen allerdings zur Zurückhaltung. Zwar sei es falsch zu sagen, die Sanktionen wirken nicht und auch die Mythen, die die Yale-Kollegen untersucht hatten, seien tatsächlich falsch. “Aber man sollte vorsichtig bleiben in der Analyse, sonst gibt es erst Recht eine Enttäuschung am Ende“, so Kluge auf Twitter.

Alexander Graf Lambsdorff über eine Aussage von Ralf Stegner

Alexander Graf Lambsdorff hat eine Aussage von Ralf Stegner so verstanden, als hätte er “salopp“ gesagt: Naja, der Krieg dauert noch, und auf eine militärische Lösung zu setzen, sei doof, weil bei uns dann die Extremisten demonstrieren. So habe er das nicht gesagt, entgegnete Stegner.

Ralf Stegners Aussage bezog sich auf das Zitat vom ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba, der sagte, dass in der Ukraine das Leben der Menschen auf dem Spiel stehe, in Deutschland dagegen lediglich der Komfort der Menschen.

Zum ersten Teil des Zitats merkte Stegner an, gerade weil der Krieg “Tod, Zerstörung, Vergewaltigung, Traumatisierung“, mit sich bringt, könne man einen langanhaltenden Krieg nicht einfach hinnehmen und sagen, man löse das jetzt militärisch.

Dass es den Menschen in Deutschland nur um ihren Komfort gehe, sieht Stegner nicht so. Es gehe in Deutschland durchaus auch um existentielle Not. Versuche, den Krieg zu beenden seien eine zwingende Notwendigkeit. Es gehe nicht um den Komfort, sondern darum, dass in einer Demokratie verhindert werden müsse, dass “Angstmacher, Rechtsradikale davon profitieren, dass Leute hier am Ende ihre Rechnung nicht mehr bezahlen können, dass sie am Ende befürchten, ihre Wohnung zu verlieren, dass wir Armut produzieren.“

Stegner hat also nicht direkt gesagt, eine militärische Lösung sei “doof“, weil dann bei uns Rechtsextreme demonstrieren. Stegner warnte davor, dass Rechtsextreme und Angstmacher die Sorgen der Menschen für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren.

Den gesamten O-Ton von Ralf Stegner finden Sie hier:

Anna Lehmann über Sanktionen und Stimmung im Osten

Anna Lehmann sagt, im Osten Deutschlands sei die Stimmung gegenüber den Sanktionen gegen Russland bereits gekippt. Nur noch 40 Prozent stehen hinter ihnen, obwohl sie ihnen möglicherweise schaden.

Die unterschiedlichen Ansichten der Ost- und Westdeutschen zu den Sanktionen gegen Russland wurden zuletzt im ARD-DeutschlandTrend für den Juli dieses Jahres abgefragt. Tatsächlich zeigten sich die Befragten in Ostdeutschland weniger solidarisch als die Befragten im Westen Deutschlands. Nur 39 Prozent der Menschen im Osten unterstützen demnach die Sanktionen gegen Russland, auch für den Fall, wenn ihnen eigene Nachteile entstehen. Eine Mehrheit von 51 Prozent unterstützen die Sanktionen nicht. Zum Vergleich: Auch wenn ihnen mögliche Nachteile drohen, stehen in Westdeutschland 63 Prozent der Menschen hinter den Sanktionen. Nur 29 Prozent sind dagegen. Für das gesamte Bundesgebiet ergibt sich eine Mehrheit von 58 Prozent für die Sanktionen, 33 Prozent halten sie für falsch.

Im aktuellen DeutschlandTrend (September) scheint die Zustimmung für die Sanktionen abzunehmen, wenn durch sie eigene Nachteile entstehen. 53 Prozent unterstützen sie auch dann, wenn die Energiepreise und Lebenshaltungskosten steigen. 41 Prozent sehen das nicht so. Zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommt der DeutschlandTrend bei den Aspekten von Engpässen in der Energieversorgung und Nachteilen für deutsche Firmen. Die Differenzierung, wie Ostdeutsche und Westdeutsche den Sanktionen gegenüberstehen, wurde im aktuellen DeutschlandTrend nicht vorgenommen.

Stand: 06.09.2022, 10:59 Uhr