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Frieren im Winter, bangen um Jobs: Was kommt, wenn uns das Gas ausgeht?

Der Faktencheck zur Sendung vom 15.08.2022

Mitten in der Sommerhitze redet Deutschland über Kälte und Frieren. Was kommt da auf uns zu, wenn russisches Gas im Winter fehlt? Werden warme Dusche und Heizung zum Luxus? Und sollten ganze Industrien abgeschaltet werden: Sind Jobs und Wohlstand in Gefahr?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Jens Spahn über Be- und Entlastungen

Jens Spahn wirft der Bundesregierung vor, schnell zu sein, wenn es um Belastungen geht. Sollen die Bürger aber entlastet werden, würde sie nichts entscheiden.

Als Oppositionspolitiker steht Jens Spahn dieser Vorwurf natürlich zu. Unter dem Strich aber ist er dann doch zu pauschal. Zunächst einmal hat die Bundesregierung im Zuge der Verteuerung von Energie und Lebenshaltungskosten bislang nur eine Belastung eingeführt: Mit der Gasumlage von rund 2,4 Cent je Kilowattstunde Gas sollen die Gasverbraucher die Mehrkosten auffangen, die auf Gasimporteure zukommen, weil diese gezwungen sind, teureres Gas auf dem Weltmarkt einzukaufen, da Russland seinen Lieferverpflichtungen nur noch zu 20 Prozent nachkommt. Richtig ist, dass die Bundesregierung zwar angekündigt hat, die entstehenden Mehrkosten für die Gasverbraucher durch weitere Entlastungen abzufedern. Wie diese Entlastungen konkret aussehen werden, ist bislang aber nicht bekannt.

Zu pauschal ist der Vorwurf von Spahn aber, weil er bereits beschlossene Entlastungspakete der Bundesregierung außen vorlässt. Bereits wenige Wochen nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und den hieraus resultierenden Preissteigerungen für Energie und Lebenshaltung, brachte die Bundesregierung Entlastungspakete in Höhe von rund 30 Milliarden Euro auf den Weg. In einem ersten Paket wurde die Abschaffung der EEG-Umlage um ein halbes Jahr vorgezogen, Wohngeld- und Bafög-Empfängern ein Heizkostenzuschuss bis zu 350 Euro zugesichert, sowie der steuerliche Grundfreibetrag angehoben. Darüber hinaus wurde die Pendlerpauschale auf 38 Cent erhöht. Ein zweites Entlastungspaket sieht unter anderem die einmalige Zahlung einer Energiepreispauschale von 300 Euro für jeden Einkommenssteuerpflichtigen vor. Familien erhielten einen Kinderbonus von 100 Euro je Kind. Auch Sozialleistungsempfängern wurde eine Einmalzahlung zugesichert. Hinzu kommen eine zeitlich befristete Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und das 9-Euro-Ticket für den ÖPNV.

Christian Kullmann über Gewinne von Evonik

Christian Kullmann stellt sich auf Kosten von drei Milliarden Euro ein, die auf seinen Evonik-Konzern durch die Gasumlage zukommen werden. Gleichzeitig rechnet er für das laufende Jahr mit einem “operativen Ergebnis“ von etwa 2,6 Milliarden Euro.

Christian Kullmann kennt die Zahlen seines Konzerns. Im ersten Quartal dieses Jahres meldete Evonik ein EBITDA in Höhe von 735 Millionen Euro. Vor wenigen Tagen legte der Chemie-Riese Zahlen für das zweite Quartal nach: Auch hier kann Evonik auf ein EBITDA in Höhe von 728 Millionen Euro verweisen. Würde sich diese Entwicklung für die beiden letzten Quartale des Jahres fortsetzen, könnte die Prognose von Kullmann also erreicht werden. EBITDA gibt den Gewinn eines Unternehmens vor Steuern, Zinsen, sowie Abschreibungen auf Sachanlagen und immaterielle Wirtschaftsgüter wie z. Bsp. Lizenzen, Patente oder Nutzungsrechte an. Das EBITDA gilt in der Betriebswirtschaft als eine Kenngröße der Rentabilität eines Unternehmens.

Jens Spahn über Gasverstromung

Jens Spahn sagt, in Deutschland werde heute so viel Gas zur Stromerzeugung genutzt, wie selten zuvor.

Wissenschaftler des Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) sammeln seit über zehn Jahren täglich Daten zur Stromerzeugung und bilden unterschiedlichste Entwicklungen ab. Unter anderem beobachten sie, zu welchen Anteilen fossile und regenerative Energieträger zur Stromerzeugung beitragen. Vergleicht man das erste Halbjahr dieses Jahres mit dem des Vorjahres sowie die Jahre 2020 und 2021, hat Jens Spahn unrecht. Im ersten Halbjahr dieses Jahres lagen sowohl die Menge des mit Erdgas erzeugten Stroms als auch der Anteil an der gesamten Stromerzeugung niedriger als im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres. Rund 11,9 Prozent (29.582 Gigawattstunden) der Nettostromerzeugung entfielen im 1. Halbjahr 2021 auf die Verstromung von Gas. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren es 10,2 Prozent (25.584 Gigawattstunden). Im Jahresvergleich 2020/2021 sank der Anteil des Stroms aus Gas von 11,7 Prozent auf 10,4 Prozent. Richtig ist, dass der Anteil der Gasverstromung im Vergleich zu den Jahren 2014 bis 2018, als er noch zwischen ca. 5 Prozent (2014) und etwa 8 Prozent (2018) lag, bis heute deutlich gestiegen ist. Aktuell liegt der Erdgasstrom-Anteil bei 10 Prozent.

Stand: 16.08.2022, 12:57 Uhr