Ungeimpft, ungeschützt, unbeschult: Lässt der Staat die Familien im Stich?

Der Faktencheck zur Sendung vom 03.05.2021

Die Alten geimpft und fast schon entspannt, aber auf Familien wächst der Druck weiter. Bringt Corona Eltern und Kindern Stress ohne Ende? Was ist schlimmer: Die Gefahr durch Ansteckung in den Schulen oder die seelischen Schäden durch Schulschließung und Lockdown?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Anja Karliczek über mobile Raumlüfter in Schulen

Auf die Kritik, dass Schulen nicht flächendeckend mit Raumlüftern ausgestattet wurden, verweist Anja Karliczek auf „diese Studie“, nach der ein Nutzen solcher Geräte von den individuellen örtlichen Gegebenheiten abhängig sei.

Anja Karliczek bezieht sich offensichtlich auf eine Stellungnahme der am Umweltbundesamt (UBA) angesiedelten “Kommission Innenraumhygiene (IRK)“. Das IRK hält mobile Luftreinigungsgeräte nur in Ausnahmefällen für sinnvoll. Zwar seien solche Geräte je nach technischer Ausstattung in der Lage virushaltige Aerosolpartikel aus der Luft zu entfernen, so die IRK, die Wirksamkeit hänge jedoch von den örtlichen Raumbedingungen und von der Luftausbreitung ab. Für das Umweltbundesamt können solche mobilen Lüfter allenfalls als Ergänzung dienen. Effizienter sind nach Ansicht des UBA fest eingebaute Lüftungsanlagen mit entsprechenden Partikelfiltern, sowie das regelmäßige Durchlüften bei geöffneten Fenstern. Nur wenn diese Möglichkeiten ausgeschlossen seien, „kann der Einsatz mobiler Luftreinigungsgeräte erwogen werden“, so das UBA.

Kritikern geht diese Empfehlung nicht weit genug. Sie beziehen sich ihrerseits auf andere Studien, nach denen der Einsatz mobiler Luftreiniger durchaus einen Nutzen hat. So fand etwa der Atmosphärenforscher der Universität Frankfurt, Prof. Joachim Curtius, heraus, dass Luftreiniger mit entsprechenden Filtern die Aerosolkonzentration in einem Klassenraum binnen einer halben Stunde um 90 Prozent senken können. Curtius´ Versuche fanden unter realen Bedingungen in einem vollen Klassenzimmer statt. “Ein Luftreiniger reduziert die Menge an Aerosolen so stark, dass in einem geschlossenen Raum auch die Ansteckungsgefahr durch eine hoch infektiöse Person, einen Superspreader, sehr deutlich reduziert würde“, sagt Curtius. Er empfahl den Schulen schon für den vergangenen Winter den Einsatz dieser HEPA-Luftreiniger. Zum gleichen Schluss kommt auch Prof. Christian Kähler vom Institut für Strömungstechnik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr in München. Im vergangenen Jahr fand er unter Laborbedingungen heraus, dass sich die Aerosolkonzentration in einem 80 Quadratmeter großen Raum mit geeigneten Lüftern innerhalb von sechs Minuten halbieren lässt. Zwar seien die Untersuchungen von einem Hersteller von Raumluftreinigern finanziell unterstützt worden und es wurde auch ein Modell dieses Herstellers verwendet, so Kähler. Diese Unterstützung habe aber keinerlei Auswirkung auf die Ergebnisse, versichert der Forscher.

Warum sich Bundesregierung aber nur an den Empfehlungen des UBA orientierte und die Studienergebnisse aus Frankfurt und München nicht berücksichtigt hat, wollten auch Bundestagsabgeordnete der Linken wissen. Die Anfrage der Linken blieb ohne Antwort. Die Bundesregierung erklärte lediglich, dass sie zu einzelnen wissenschaftlichen Studien grundsätzlich keine Stellung beziehe.

Thorsten Frühmark über Inzidenzen bei Kindern

Thorsten Frühmark sagt, die Inzidenzwerte bei Kindern seien inzwischen viel höher als die Gesamtinzidenz in Deutschland.

Die aktuellsten verfügbaren Daten des Robert Koch-Instituts bestätigen das. Einmal pro Woche enthalten die täglichen Lageberichte des RKI auch die nach Altersgruppen aufgeschlüsselten Inzidenzwerte. Sie werden in der Regel gegen Dienstagabend veröffentlicht. Der derzeit aktuellste Bericht aus der vergangenen Woche berücksichtigt dabei die dem RKI gemeldeten Fälle für den Zeitraum vom 19.04.21 bis 25.04.21. Da die Inzidenzwerte in den höchsten Altersgruppen aufgrund der Impfungen deutlich zurück gegangen sind und sich auf einem mittleren Niveau stabilisiert haben, sind es nun die Kinder und Jugendlichen, bei denen die Inzidenzen am höchsten liegen – zum Teil um mehr als das Doppelte als bei den ältesten Gruppen. So lag der Wert bei 5- bis 9-jährigen zuletzt bei 224, für die 10- bis 14-jährigen liegt er bei 234. Für beide Gruppen bedeutet dies einen Anstieg im Vergleich zu den Vorwochen. Einen leichten Rückgang gab es dagegen in der Gruppe der 15- bis 19-jährigen. Dennoch ist die Inzidenz in dieser Gruppe mit 260 nach wie vor die höchste (Vorwoche: 275).

Anja Karliczek über "S3-Richtlinien"

Anja Karliczek erwähnte im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen an Schulen die “S3-Richtlinien“, auf deren Basis Standards für Therapien entwickelt würden. Auf diesem Standard seien auch Maßnahmen für einen sicheren Unterricht entwickelt worden.

Genauer gesagt handelt es sich um die so genannten "S3-Leitlinien", die keine rechtliche Verbindlichkeit haben. Bei den Leitlinien handelt es sich um Empfehlungen, wie Erkrankungen diagnostiziert, behandelt oder ihnen vorgebeugt werden können. Dabei stellt die Bezeichnung S3 gewissermaßen die qualitativ höchsten Ansprüche an die Erkenntnisse, auf deren Basis die Empfehlungen ausgesprochen werden. Im Falle der Schutzmaßnahmen für Schulen steht dabei vor allen die Prävention – also die Verhinderung von Erkrankungen – im Mittelpunkt. Zahlreiche medizinische Fachgesellschaften haben im Februar dieses Jahres eine solche S3-Leitlinie für “Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARD-CoV-2-Übetragung in Schulen“ erstellt. Dabei wird jede empfohlene Maßnahme auf die Qualität ihrer Evidenz – also ihrer wissenschaftlichen Aussagekraft – hin bewertet. Darüber hinaus werden die Empfehlungen in drei Stufen gewichtet. So bedeutet etwa der Empfehlungsgrad A eine starke Empfehlung, bei einem Empfehlungsgrad 0 kann dagegen auf eine Maßnahme verzichtet werden. Außerdem wird angegeben, wie viele der beteiligten Wissenschaftler sich für eine Maßnahme ausgesprochen haben und wie viele dagegen waren. Bei den Handlungsempfehlungen für Schulen wurde bis auf eine Ausnahme ein Konsens (mehr als 75 Prozent Zustimmung) oder ein starker Konsens (mehr als 95 Prozent Zustimmung) erreicht. Für die meisten Maßnahmen haben die Wissenschaftler eine „starke Empfehlung“ ausgesprochen. Etwa beim Tragen von Masken, der Reduzierung der Schülerzahl in Präsenzunterricht oder dem regelmäßigen Lüften der Klassenräume.

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Stand: 27.04.2021, 09:23 Uhr