Offener Kampf bei den Schwarzen, Harmonie bei den Grünen: Wie findet man die Besten fürs Kanzleramt?

Der Faktencheck zur Sendung vom 19.04.2021

Ohne öffentlichen Streit einigen sich die Grünen über die Kanzlerkandidatur. Taugt das als Vorbild, auch für die Union? Und bringt das unbedingt Erfolg? Oder bewährt sich ein guter Kandidat erst im harten politischen Kampf, egal ob gerade Pandemie ist?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Wolfgang Bosbach über Arbeitnehmer und Spitzensteuersatz

Wolfgang Bosbach sagt, wer heute das 1,8-fache des durchschnittlichen Einkommens erzielt, bei dem greife bereits der Spitzensteuersatz. Früher habe der Spitzensteuersatz erst bei dem 10 bis 15-fachen gegriffen.

Vergleichbare Zahlen berechnete auch das Institut der Deutschen Wirtschaft Köln. Auf Basis von Daten aus dem Jahr 2016 kommt das Institut zu dem Schluss, dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent schon Steuerpflichtige trifft, die das 1,9-fache des durchschnittlichen Bruttogehalts aller Arbeitnehmer in Deutschland erhalten. Im Jahr 1965 musste ein Arbeitnehmer noch das 15-fache des Durchschnittlohns verdienen, um in den Spitzensteuersatz zu rutschen, so die Forscher. Lege man für das Durchschnittsgehalt lediglich das Jahresbruttogehalt von Arbeitnehmern in Vollzeit zugrunde, so greife der Spitzensteuersatz sogar schon beim 1,5-fachen des durchschnittlichen Einkommens. “Damit wird der Spitzensteuersatz seinem Wortsinn längst nicht mehr gerecht, da er breite Bevölkerungsschichten trifft“, so das Fazit des IW-Köln.

Tatsächlich traf der Spitzensteuersatz im Jahr 2015 rund 3,5 Millionen Personen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken aus dem vergangenen Jahr hervor. Demnach waren auch 1,7 Millionen Arbeitnehmer vom Spitzensteuersatz betroffen, die nicht mehr als 5000 bis 7000 Euro Brutto pro Monat verdienten. Laut statistischem Bundesamt lag der durchschnittliche Bruttoverdienst im Jahr 2016 bei 3.703 Euro.

Diese Zahlen werden von Politik – etwa von FDP und Linken -, aber auch von Medien häufig dahingehend interpretiert, dass schon Arbeitnehmer mit einem mittleren Gehalt zu Spitzenverdienern erklärt werden. Dabei wird aber gerne verschwiegen, dass der Spitzensteuersatz nicht auf das gesamte Gehalt anfällt, sondern nur auf den Teil des Einkommens, der über der Bemessungsgrenze liegt.

Zur Einordnung: Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent wird in diesem Jahr ab einem Einkommen von 57.918 Euro (für Ehepaare das Doppelte) fällig. Das bedeutet aber nicht, dass der gesamte Verdienst eines Arbeitnehmers, der mehr verdient, mit 42 Prozent besteuert wird. Es zahlt nur für den Teil seines Einkommens den Spitzensteuersatz, der über der Grenze von 57.918 Euro liegt. Seine durchschnittliche Steuerbelastung liegt deutlich darunter. Laut einer Berechnung der Uni Duisburg-Essen bei etwa 28 Prozent für einen Arbeitnehmer mit einem Bruttoeinkommen von 64.000 Euro.

Hierauf machen auch die Autoren von “Steuermythen.de“ aufmerksam. Mit Unterstützung von Wissenschaftlern hat es sich eine Gruppe von SPD-Bundestagsabgeordneten zur Aufgabe gemacht, über vermeintliche Irrtümer und falsche Schlussfolgerungen in der Steuerpolitik aufzuklären. Ihrer Meinung nach ist schon die Bezeichnung Spitzensteuersatz falsch. Sie erinnern daran, dass der tatsächliche Spitzensteuersatz in Deutschland bei 45 Prozent (Reichensteuer) liegt. Im vergangenen Jahr lag die Einkommensgrenze für die Reichensteuer bei 270.501 Euro (für Ehepaare das Doppelte). Laut der Autoren von Steuermythen.de wurde dieser in ihren Augen wahre Spitzensteuersatz von gerade einmal 0,3 Prozent der einzeln veranlagten Steuerpflichtigen gezahlt.

Wolfgang Bosbach über Steuereinnahmen

Wolfgang Bosbach sagt, im Zeitraum zwischen der Finanzkrise 2008/2009 und der Corona-Pandemie seien die Steuereinnahmen stetig gestiegen.

Das ist richtig, Seit dem Jahr 2009 – dem Jahr nach der Finanzkrise – sind die Steuereinnahmen in Deutschland in jedem Jahr stetig angestiegen. Laut statistischem Bundesamt von 524 Milliarden Euro im Jahr 2009 auf über 799 Milliarden Euro im Jahr 2019. Der Trend wurde im darauffolgenden Jahr aufgrund der Corona-Pandemie gestoppt. 2020 lagen die Steuereinnahmen nur noch bei rund 739 Milliarden Euro. Das ist ein Minus von etwa 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

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Stand: 20.04.2021, 10:40 Uhr