Einfamilienhäuser verbieten, Wohnungskonzerne enteignen: Wie radikal soll Wohnungspolitik sein?

Der Faktencheck zur Sendung vom 08.03.2021

Politik mit anderen Mitteln: Was bringt ein harter Mietendeckel wie in Berlin? Sollen Immobilienkonzerne enteignet werden, weil die Marktwirtschaft beim Bau von billigem Wohnraum versagt? Und wird Eigenheim-Bau bald unmöglich gemacht?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Kai Wegner und Amira Mohamed Ali über Umfragen zu Enteignungen

Amira Mohamed Ali will von Umfragen wissen, in denen sich bundesweit 70 Prozent der Befragten für eine Enteignung von Wohnungskonzernen ausgesprochen hätten. Kai Wegner hält mit einer eigenen Umfrage von Infratest dimap dagegen: Die Mehrheit der Berliner lehne eine Enteignung ab, so Wegner.

Kai Wegner spielt auf eine Umfrage von Infratest dimap an, die seine Berliner CDU im Februar dieses Jahres selbst in Auftrag gegeben hatte. Demnach lehnen 51 Prozent der Berliner eine Enteignung ab. 36 Prozent sprechen sich für die Enteignung der “Deutschen Wohnen“ aus. Elf Prozent sind unsicher. Das Meinungsbild der Berliner scheint über die Jahre allerdings zu schwanken. Noch vor zwei Jahren gab es mehrere Umfragen mit unterschiedlichen Ergebnissen. In einer Forsa-Umfrage für die “Berliner Zeitung“ sprach sich eine Mehrheit für die Enteignung von Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen aus. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Civey-Umfrage im Auftrag des “Tagesspiegel“. Nur wenige Monate später kommt das gleiche Meinungsforschungsinstitut bei einer bundesweiten Befragung zu einem anderen Ergebnis: In einer Umfrage für die “Berliner Morgenpost“ sprachen sich 52 Prozent der Menschen gegen Enteignungen aus, 40 Prozent befürworteten solche Maßnahmen. Noch deutlicher fiel eine Umfrage aus dem gleichen Jahr von Infratest dimap im Auftrag der “Welt am Sonntag“ aus: 70 Prozent der Befragten hielten eine Enteignung nicht für ein geeignetes Mittel, um neuen Wohnraum zu schaffen. Nur 23 Prozent sagten, eine solche Maßnahme sei “gut“ oder “sehr gut“. Eine Umfrage, in der sich bundesweit 70 Prozent der Befragten offen für Enteignungen von Wohnungskonzernen gezeigt haben, wie es Amira Mohamed Ali sagt, konnten wir bislang nicht finden. Sollten wir noch auf eine solche Umfrage stoßen, werden wir den Faktencheck an dieser Stelle natürlich ergänzen.

Aygül Özkan über gestiegene Netto-Gehälter

Auf die Anmerkung von Frank Plasberg, Arbeitnehmer hätten in den letzten Jahren kaum einen realen Einkommenszuwachs gehabt, entgegnete Aygül Özkan, dies sei falsch. Die Netto-Gehälter seien um 30 Prozent gestiegen.

Es ist nicht möglich zu sagen, wer recht hat. Denn beide nennen keinen konkreten Zeitraum der Nettolohnentwicklung. Nimmt man für die Formulierung „in den letzten Jahren“ den Zeitraum von 2015 bis 2019 an, verdiente ein berufstätiges Ehepaar aus den alten Bundesländern, das im produzierenden Gewerbe oder im Dienstleistungssektor beschäftigt war und zwei Kinder hat, laut statistischem Bundesamt im Jahr 2015 durchschnittlich 4785 Euro netto. Bis 2019 stieg das Einkommen auf 5.331 Euro an. Das ist ein Plus von 11,4 Prozent. Um auf eine Steigerung des Nettoeinkommens von 30 Prozent zu gelangen, muss man nur lange genug zurück blicken. So verdiente das gleiche Ehepaar im Jahr 2007 3.876 Euro. Für die Zeitspanne 2007 bis 2019 liegt die Steigerung dann schon bei 37 Prozent.

Katja Dörner über Mietpreisbremse und möblierte Wohnungen

Katja Dörner findet die Mietpreisbremse zwar gut, sie würde sie aber anders ausgestalten. Es gebe zu viele Schlupflöcher. So gelte die Mietpreisbremse etwa nicht für eine möblierte Wohnung, sagt Katja Dörner.

Möblierte Wohnungen fallen ebenso unter die Regelungen der Mietpreisbremse, wie leere Wohnungen. Darauf machen zahlreiche Mieterschutzverbände wie der Deutsche Mieterbund oder der Verein für Mieterrechte “wenigermiete.de“ immer wieder aufmerksam. Ausnahmen gelten für möblierte Wohnungen, die nur zeitweise – etwa als Ferienwohnung – vermietet werden. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt klar, dass möblierte Wohnungen unter die Maßgaben der Mietpreisbremse fallen. Für eine möblierte Wohnung dürfen Vermieter allerdings einen Aufschlag verlangen. In einer Evaluierung der Mietpreisbremse für das Verbraucherschutzministerium weist das DIW darauf hin, dass durch solche Aufschläge teilweise eine erheblich höhere Miete erzielt werden kann. Dabei falle es schwer, so das DIW, die ortsübliche Miete und einen berechtigten Mietaufschlag voneinander zu trennen, was zumindest eine indirekte Umgehung der Mietpreisbremse ermöglicht. Es gebe Beobachtungen, dass die Zahl der Wohnungsangebote mit Möblierung erheblich gestiegen sei, so DIW. Ob dies in Zusammenhang mit der Mietpreisbremse steht, sei allerdings noch unklar.

Kai Wegner über Kosten einer Enteignung

Kai Wegner sagt, der Berliner Senat gehe offiziell davon aus, dass eine Enteignung des Wohnungsbaukonzerns “Deutsche Wohnen“ 36 Milliarden Euro kosten werde.

Die amtliche Kostenschätzung der Stadt Berlin für die Vergesellschaftung von 243.000 Wohnungen der “Deutsche Wohnen“ und anderer Wohnungsgesellschaften liegt zwischen 28,8 und 36 Milliarden Euro. Dabei aber bleibt es laut der Berliner Schätzung nicht. Hinzu kommen demnach bis zu 180 Millionen Euro an Erwerbsnebenkosten sowie weitere 1,5 bis 1,9 Milliarden Euro für die Erfassung und technische Bewertung der Immobilien, Ausgleichszahlungen für Wertminderungen und Personalüberhänge sowie Entschädigungen für unbebaute Grundstücke.

Die Initiative zur Enteignung der „Deutsche Wohnen und Co“ geht dagegen davon aus, dass die Entschädigung für die Vergesellschaftung von rund 200.000 Wohnungen zwischen 7,3 und 13,7 Milliarden Euro liegt. Diese Summe könne vollständig aus den Mieteinnahmen refinanziert werden, so die Befürworter der Enteignungen.

Katja Dörner über Seehofers Versprechen

Katja Dörner sagt, Horst Seehofer hätte sein Versprechen, innerhalb einer Legislaturperiode 1,5 Millionen zusätzliche sozial geförderte Wohnungen zu bauen, nicht eingehalten.

Das ist so nicht richtig. Denn die Bundesregierung hat niemals versprochen 1,5 Millionen sozial geförderte Wohnungen zu bauen. Ihr Ziel war es, insgesamt 1,5 Millionen Wohnungen zu bauen – also auch Wohnraum, der nicht sozial gefördert wird. Auf einem gemeinsamen Wohngipfel verabredeten Bund, Ländern und Kommunen im Jahr 2018 eine “Wohnraumoffensive“. Vor zwei Wochen zog Horst Seehofer eine Bilanz der Wohnraumoffensive. Das Ziel der zugesagten 1,5 Millionen neuen Wohnungen werde erreicht werden, so Seehofer. Dabei verwies er ebenso auf fertig gestellte Wohnungen wie auf noch im Bau befindliche Wohnungen und solche, für die Baugenehmigungen vorliegen. Kritik kam unter anderem von der Gewerkschaft IG Bau, die die Bilanz als einen Griff in die “Trickkiste der Statistik“ bezeichnete. Seehofer rechne die Zahlen schön, so der IG-Bau-Vorsitzende Robert Feiger. Seehofer nehme alle tatsächlich gebauten Wohnungen und addiere dann alle Wohnungen, die gerade im Bau sind oder für die eine Genehmigung vorliegt. In einem Rohbau aber könne man nicht wohnen, so Feiger. Die IG Bau geht bis Ende 2021 bestenfalls von 1,2 Millionen neuen Wohnungen aus. Kritik kommt auch vom Deutschen Mieterbund. “Das Ziel der 1,5 Millionen Wohnungen wurde schichtweg verfehlt“, sagt sein Präsident Lukas Siebenkotten.

Katjs Dörner über Leerstand

Katja Dörner sagte, in Deutschland gebe es einen Leerstand von 2 Milliarden Wohnungen. Sicher nur ein Verprecher...

Katja Dörner hat uns auf Nachfrage bestätigt, dass es sich um einen Versprecher gehandelt hat. Das ist auch naheliegend, denn jedem sollte klar sein, dass eine solche Zahl unrealistisch ist. Für das Jahr 2018 schätzte das Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung(BBSR) die Zahl der leerstehenden Wohnungen auf 1,7 Millionen. Das entspricht einer Quote von 4,2 Prozent. Noch im Jahr zuvor lag die Schätzung des BBSR bei 2,14 Millionen leeren Wohnungen und einer Quote von 5,2 Prozent. Laut BBSR stellt die unzureichende Datenlage zum Leerstand die Wohnungsforscher allerdings vor methodische Herausforderungen. Eine regelmäßige bundesweite Erfassung von leerstehenden Wohnungen gebe es nicht, so das BBSR. Lediglich im Jahr 2011 wurde im Rahmen des so genannten Zensus eine vollständige Gebäude- und Wohnungszählung durchgeführt. Hinzu komme, dass es für den Begriff “Leerstand“ keine allgemein gültige Definition gibt. Je nach Perspektive oder Zweck könnten diese variieren. Dennoch sagt das BBSR, dass es rein statistisch betrachtet in Deutschland mehr leerstehende als fehlende Wohnungen gibt. Dabei stehen die Wohnungen vor allem in Regionen leer, in denen es keine große Nachfrage gibt und weniger in den wachsenden Groß- und Universitätsstädten.

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Stand: 10.03.2021, 13:07 Uhr