Die Frage nach den Impf-Deals: Taugt Europa als Krisen-Manager?

Der Faktencheck zur Sendung vom 08.02.2021

Kaum gemeinsame Maßnahmen, zögerlich beim Kauf der Impfstoffe: Warum wirkt die EU In der Corona-Krise so schwach? Ist Brüssel gut bei Vorschriften, aber schlecht bei harter Politik? Oder zeigt diese Krise: Die EU muss stärker werden, denn gemeinsam geht es besser als allein?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Rolf-Dieter Krause über eine Stanford-Studie zur Lockdown-Wirkung

Rolf-Dieter Krause verweist auf eine Studie der Universität Stanford. Sie sei zu dem Schluss gekommen, dass ein Lockdown keine große Auswirkung auf das Pandemiegeschehen habe.

Die Studie, die Rolf-Dieter Krause erwähnte, wurde Anfang Januar von Prof. John P.A. Ioannidis von der kalifornischen Stanford-Universität veröffentlicht. Ioannidis und seine Kollegen untersuchten anhand von Daten aus der ersten Corona-Welle die Auswirkungen auf die Fallzahlen bei harten Maßnahmen, wie etwa Schulschließungen und weniger restriktiven Maßnahmen, wie zum Beispiel das Befolgen der Abstands- und Hygieneregeln. Unter anderem verglich er Fallzahlen aus Staaten wie Schweden und Südkorea, die nach Ansicht der Autoren eher weniger restriktive Maßnahmen ergriffen hatten, mit Ländern wie Deutschland, den USA, Frankreich, Spanien und den Niederlanden. Tatsächlich behauptet die Studie, dass weniger restriktive Lockdown-Maßnahmen zwar für einen spürbaren Rückgang der Fallzahlen gesorgt hätten, härtere Maßnahmen diesen Rückgang aber nicht sonderlich verstärkt hätten.

Kritik an Studie

Die Ergebnisse der Arbeit von Ioannidis war Wasser auf die Mühlen zahlreicher Corona-Skeptiker und Gegnern von Corona-Maßnahmen. Scheint sie doch zu belegen, dass harte Lockdown-Maßnahmen reichlich übertrieben sind. Kaum aber war die Studie veröffentlicht, zweifelten Forscher-Kollegen sowohl ihre Aussagekraft als auch die Interpretation der Ergebnisse durch Lockdown-Gegner an. Den Studienautoren werden methodische Mängel vorgeworfen. Der österreichische Epidemiologe Gerald Gartlehner sagte dem “Standard“, Ioannidis und seine Kollegen hätten bei der Untersuchung Maßnahmen wie Schutzmasken, Abstandhalten oder Hygienemaßnahmen herausgerechnet, um auf den tatsächlichen Effekt des Lockdowns zu kommen. Auch die speziellen Eigenheiten der Länder habe man dabei unberücksichtigt gelassen, so Gartlehner. Die Stanford-Wissenschaftler hätten “Birnen mit Äpfeln verglichen.“

Auch der Neurologe und Methodenexperte Ulrich Dirnagl von der Berliner Charité gibt in der “Süddeutschen Zeitung“ zu bedenken, dass die Studie „eine statistische Modellierung auf Grundlage von schwierigen Daten“ darstelle. Die Studie kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass für einige Länder eine Absenkung der Fallzahlen um 30 Prozent durch härtere Maßnahmen nicht ausgeschlossen werden könne. Ein Ergebnis, das von Lockdown-Gegnern gerne verschwiegen wird. Diese Reduktion falle in der Studie als Erfolg fast unter den Tisch, sagt Dirnagl. “Eine Effektgröße bis zu 30 Prozent, das ist in der Medizin doch der Hammer“, so Dirnagl.

Jan Fleischhauer über Ausgaben für Impfstoffe pro Kopf

Jan Fleischhauer sagt, Großbritannien habe ebenso wie die USA pro Einwohner 25 Dollar für den Impfstoffeinkauf ausgegeben. Die EU dagegen weniger als 5 Dollar.

Auch wenn die Preise in US-Dollar nicht genau mit denen von Jan Fleischhauer übereinstimmen, ist der Tenor seiner Aussage – die EU sei zu knauserig gewesen – plausibel. “Airfinity“ – ein Unternehmen für Datenanalyse - hat sich die bisherigen Ausgaben einzelner Länder genauer angeschaut. Nimmt man die Ausgaben der Länder für alle Impfstoffeinkäufe zur Grundlage, so investierte Großbritannien umgerechnet etwa 1,9 Milliarden Euro in den Kauf von Impfstoffen. Bei etwa 66 Millionen Einwohnern gab Großbritannien rein rechnerisch etwa 28 Euro (rund 34 US-Dollar) für Impfstoffe pro Einwohner aus. Die USA haben “Aifrinity“ zufolge bislang für rund 9 Milliarden Euro Impfstoffe gekauft – das entspricht rechnerisch rund 27,40 Euro (33,2 US-Dollar) pro Einwohner. Für die 448 Millionen Einwohner der EU gab die Europäische Kommission laut “Airfinity“ bis heute ca. 1,8 Milliarden Euro aus – das entspricht rund vier Euro (4,8 US-Dollar) pro Kopf. Die EU hat sich inzwischen weitere 300 Millionen Impfdosen von Biontech gesichert. Das dürfte die Gesamtausgaben etwas weiter ansteigen lassen – und damit auch die Ausgaben für Impfstoffe pro EU-Einwohner.

Jan Fleischhauer über Impfstoff-Werke in Europa

Jan Fleischhauer sagt, ein Werk von Biontech im belgischen Puurs und ein weiteres Werk von AstraZeneca seien die einzigen beiden Werke, die im Moment Impfstoff gegen Corona produzieren – für ganz Europa.

Für die Herstellung von Impfstoffen werden Produktionsketten benötigt, um die unterschiedlichsten Stoffe und Zusätze herzustellen, zu verarbeiten und am Ende auch abzufüllen. Daher ist es zu einfach, zu sagen, es gebe nur zwei Werke, die Corona-Impfstoff produzieren. Wir haben beim Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) nachgefragt. Laut vfa waren bis heute alleine an der Impfstoff-Produktion von Biontech/Pfizer neben Biontech selbst vier weitere Unternehmen an insgesamt sechs Standorten beteiligt (Mainz, Idar-Oberstein, Laupheim, Wien, Brehna und Puurs in Belgien). Seit heute (10.02.21) sind es sogar sieben, da das neue Biontech-Werk in Marburg mit der Produktion begonnen hat. Auch am Impfstoff für AstraZeneca arbeiten sieben Unternehmen an sieben europäischen Standorten. Neben IDT Biologika in Dessau-Roßlau zählen hierzu unter anderem Werke in Belgien, den Niederlanden, Spanien und Italien. Und auch der Impfstoff des US-Herstellers Moderna wird in Europa nicht nur in einer Produktionsstätte hergestellt. An der Herstellung des Impfstoffs von Moderna sind in Europa nach Angaben des vfa drei Unternehmen aus Frankreich, Spanien und der Schweiz beteiligt.

Linn Selle über den weltweiten Anteil der Impfstoffe aus Europa

Linn Selle sagt, 80 Prozent der Impfstoffe weltweit werden in Europa produziert.

Die Angaben des Europäischen Pharmaverbandes EFPIA lesen sich ein wenig anders. Laut EFPIA stellten seine Mitgliedsunternehmen in der EU zwar 76 Prozent ihrer weltweiten Impfstoffproduktion in Europa her (Stand 2019). Das bedeutet aber nicht, dass auch ihr Anteil an der weltweit produzierten Gesamtmenge an Impfstoffen bei 76 Prozent liegt. Bei den Zahlen handelt sich übrigens nicht nur um Impfstoffe gegen Covid-19, sondern um alle Impfstoffe. Also auch Vakzine gegen Masern, Pocken oder auch gegen Hepatitis und Influenza. Zu den Mitgliedern der EFPIA zählen Pharmariesen wie Bayer, Merck und Novartis. Laut dem Verband der forschenden Arzneimittelhersteller wurden im Jahr 2016 86 Prozent der europäischen Produktion exportiert – mehr als die Hälfte hiervon in Schwellen- und Entwicklungsländer.

Wie hoch der Anteil der in Europa hergestellten Impfstoffe gemessen an der weltweiten Produktion tatsächlich hat, ist schwer zu beziffern. Besonders in Ländern wie Indien, China oder auch den USA gibt es unzählige Pharmaunternehmen, die Impfstoffe produzieren. Für aussagekräftige Zahlen müsste die Anzahl der produzierten Impfdosen eines jeden Herstellers bekannt sein. Auch dem Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) liegen hierzu keine Zahlen vor. Viele Unternehmen geben laut vfa in ihren Bilanzen keine Stückmengen von produzierten Impfstoffdosen an, sondern lediglich die Umsätze für die gesamte Produktpalette des Unternehmens.

Jan Fleischhauer über Impfangebot und Impftermin

Für Jan Fleischhauer bedeutet das Versprechen von Jens Spahn, jedem im Sommer ein Impfangebot machen zu können, nicht automatisch, dass auch jeder im Sommer einen Impftermin bekommt.

“Wir wollen im Sommer jedem ein Impfangebot machen können.“ Mit diesem Satz hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in den vergangenen Wochen immer wieder Hoffnung auf eine zügige Impfung verbreitet. Viele aber fragten sich, ob ein Impfangebot auch einhergeht mit einem konkreten Impftermin? Gibt es also nur das Angebot oder können die Menschen auch damit rechnen, im Sommer tatsächlich geimpft zu sein? Das von Jan Fleischhauer angesprochene Polit-Magazin “Cicero“ stellte sich Ende Januar die gleiche Frage und wollte vom Bundesgesundheitsministerium Klarheit. Laut “Cicero“ bat das Ministerium um Verständnis dafür, dass man Äußerungen des Ministers nicht kommentiere. Nur wenige Tage später wird Jens Spahn in den ARD-Tagesthemen dann konkret: “Impfangebot“ bedeute für ihn ausdrücklich, dass jeder im Sommer bereits eine Impfung bekommen haben soll – also auch einen Impftermin. “Jeder soll im Sommer sozusagen seine Impfreihe – jeder der will – begonnen haben können. Das ist das Ziel“, so Spahn in den Tagesthemen.

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Stand: 10.02.2021, 09:22 Uhr