Rettung nur tröpfchenweise: Bekommt Deutschland zu wenig Impfstoff?

Der Faktencheck zur Sendung vom 04.01.2021

Leere Impfzentren, kaum Impfstoff – der Start der Impfkampagne gegen Corona wirkt armselig. Haben die EU und Deutschland bei der Bestellung von Impfstoffen Fehler gemacht? Dauert der Lockdown deshalb länger als nötig? Und darf es Sonderrechte für Geimpfte geben?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Christina Berndt über Impfstoffmengen der EU

Christina Berndt sagt, zwar habe die EU falsch eingekauft, ihr vorzuwerfen, zu wenig Impfstoff eingekauft zu haben, sei jedoch unangebracht. Unter dem Strich habe die EU viermal mehr Dosen gekauft, wie die EU Einwohner hat.

Ganz unabhängig von der Frage, ob die EU-Kommission beim Ankauf von Impfstoffen zu spät reagiert hat, zu lange verhandelt hat oder die Entwicklungsfortschritte bestimmter Impfstoffhersteller über- oder unterschätzt hat, so hat sie tatsächlich deutlich mehr Impfstoffdosen gesichert, als es nach der Bevölkerungsanzahl in der EU nötig wäre. Mit sechs Impfstoffherstellern hat die EU bis heute Verträge abgeschlossen und sich dabei die Lieferung von insgesamt zwei Milliarden Impfstoffdosen gesichert. Da die Impfstoffe zweimal verbreicht werden müssen, sind es bei rund 450 Millionen Einwohnern in den 27 Mitgliedsstaaten also etwas mehr als doppelt so viele Impfdosen wie nötig wären. Die erste Vereinbarung über eine Impfstofflieferung von 300 Millionen Dosen und einer Option auf weitere 100 Millionen schloss die EU im August mit dem Pharmaunternehmen AstraZeneca ab. Es folgten Verträge mit Sanofi (bis zu 300 Mio. Impfdosen), Johnson & Johnson (bis zu 400 Mio.), BioNTech-Pfizer (bis zu 300 Mio.), CureVac (bis zu 405 Mio.) und Ende November schließlich Moderna mit der Zusage von bis zu 400 Millionen Impfdosen.

Es ist also genügend Impfstoff bestellt worden. Das ändert jedoch nichts an dem Problem, dass er in großen Teilen deutlich später zur Verfügung steht als in anderen Ländern, die bei der Impfstoffbeschaffung offenbar berherzter agiert haben.

*Anmerkung der Redaktion (13.01.21): Inzwischen hat die EU weitere 300 Millionen Impfstoffdosen bei BionTech bestellt. Entsprechend hat sie die Angaben unter folgendem Link aktualisiert.

Markus Feldenkirchen über Karl Lauterbach und Politik aus dem Lehrbuch

Markus Feldenkirchen ist sich sicher, dass die Leute das „Hangeln von Woche zu Woche“ leid sind. Das seiner Ansicht nach schlimmste Beispiel sei der “Shutdown light“ im November gewesen, als versprochen wurde, in vier Wochen sei alles vorbei. Auch Karl Lauterbach habe die Beschlüsse seinerzeit als “Politik aus dem Lehrbuch“ bezeichnet. Dem will Lauterbach auch nicht widersprechen. Allerdings sei bereits damals eingeräumt worden, dass „wir da nicht ganz sicher sind“, ob das ohne Schulschließungen gehe.

Tatsächlich war Karl Lauterbach zuversichtlich, dass die Bund-Länder-Beschlüsse zum Teil-Lockdown Ende Oktober letzten Jahres, wirken werden. Unter anderem einigten sich Bund und Länder darauf, Gastronomie und Freizeiteinrichtungen zu schließen, Kulturveranstaltungen abzusagen und Kontakte in der Öffentlichkeit auf maximal 10 Personen zu begrenzen. In der ZDF-Sendung “Markus Lanz“ am 28.10.2020 sagte Lauterbach auf die Frage, wie er die Beschlüsse bewertet: “Ich glaube, das ist ein ganz großer Erfolg.“ Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Beschlüsse helfen, den Erfolg aus dem Frühjahr, als Deutschland vergleichsweise gut durch die erste Welle gekommen war, wiederholen zu können. “Wir haben jetzt - quasi wie im Lehrbuch kann man sagen - beim aufsteigenden Ast des exponentiellen Wachstums, haben wir sehr früh, sehr konsequent gehandelt“, so Lauterbach wörtlich.

Richtig ist auch Lauterbachs Hinweis, dass es Stimmen aus der Wissenschaft gab, die Zweifel daran äußerten, ob ein Teil-Lockdown ohne Schließung der Schulen überhaupt Sinn ergebe. Trotz dieser Zweifel habe er sich damals gegen die Schließung von Schulen ausgesprochen, so Lauterbach bei Lanz. So unsicher, wie Lauterbach es in der gestrigen Sendung vermitteln wollte, schien er beim Thema Schulschließungen bei seinem Lanz-Auftritt also nicht gewesen zu sein. Seine persönliche Sicht der Dinge sei sehr nah an dem gewesen, was die Bund-Länder-Kommission beschlossen habe, so Lauterbach.

Sitzungsprotokoll EU-Parlament

Auf Bitte zahlreicher Zuschauer reichen wir das Sitzungsprotokoll der EU-Parlamentsdebatte nach, die unser Gast Peter Liese angesprochen hat.

In dieser Debatte hatte er Grünen und Linken vorgeworfen, gegen die Verhandlungen der Kommission „gewettert“ zu haben. Er forderte sie auf, einzugestehen, dass die Kommission am Ende einen guten Job gemacht habe. Die von Liese angesprochene Grünen-Abgeordnete Jutta Paulus entgegnete, dass Verträge mit Impfstoffherstellern durchaus sinnvoll seien. Die aber sollten transparent sein. “Es muss klar sein, wofür die Milliarden der europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ausgegeben werden“, so Paulus. Nur so könne Vertrauen entstehen. Das gesamte Sitzungsprotokoll finden Sie hier:

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Stand: 06.01.2021, 10:18 Uhr