Wir Ostdeutsche, wir Westdeutsche: Wie groß ist die Kluft wirklich?

Der Faktencheck zur Sendung vom 28.09.2020

Altes verschwindet, alles verändert sich: Das verbinden viele Ostdeutsche mit 30 Jahren Einheit. Sind Ossis deshalb heute wendiger als Wessis? Oder haben viele so den Halt verloren, zweifeln an Demokratie und etablierten Parteien? Die Diskussion nach der Dokumentation zum Thema!

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Katja Kipping über Treuhand und Firmen-Verkäufe

Katja Kipping sagt, 80 Prozent der DDR-Firmen, die nach der Wiedervereinigung durch die Treuhand privatisiert wurden, seien an Westdeutsche verkauft worden. Nur sechs Prozent der Betriebe seien von Ostdeutschen erworben worden.

Die Größenordnung stimmt zumindest für die großen DDR-Betriebe. Das vom MDR betreute Projekt “Treuhand-Mythos“ analysiert die Privatisierung der volkseigenen Betriebe der DDR durch die Treuhand. Nach aufwändiger Recherche und Durchsicht von mehreren Hunderttausend Dokumenten kommen die Macher von “Treuhand-Mythos“ zu dem Ergebnis, dass rund 85 Prozent der großen DDR-Betriebe an westdeutsche Unternehmen verkauft wurden. Zehn Prozent der Firmen gingen demnach an ausländische Investoren und nur fünf Prozent wurden an Ostdeutsche verkauft.

Auch das ifo-institut kommt in einer aktuellen Studie zu dem Ergebnis, dass vor allem Westdeutsche bei der Privatisierung von DDR-Betrieben zum Zuge kamen. Bei Betrachtung aller von der Treuhand verwalteten Staatsunternehmen kommen die Wirtschaftsforscher zu dem Ergebnis, dass im Jahr 1995 51 Prozent der Firmen in westdeutsche Hand übergegangen waren. Dies war gleichbedeutend mit 68 Prozent der Arbeitsplätze und 64 Prozent der Umsätze. Deutlich höher seien diese Anteile bei erfolgreicheren DDR-Unternehmen gewesen. Ein Grund für den Ausverkauf nach Westen könnte nach Ansicht der Autoren der leichtere Zugang westdeutscher Firmen zum Finanzkapital gewesen sein. Darüber hinaus verfügten Westdeutsche über größere Erfahrung in der Führung marktwirtschaftlich ausgerichteter Unternehmen, sagen die Forscher.

Nikolaus Blome über Renten für Frauen in Ost und West

Nikolaus Blome sagt, die Renten für Frauen im Osten seien höher als die von Frauen in den alten Bundesländern.

Zu diesem Ergebnis kommt auch das Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Die Sozialpolitikexperten stellen anhand von Daten der Deutschen Rentenversicherung fest, dass die ostdeutschen Frauen bei allen Rentenarten höhere Renten erhalten als westdeutsche Frauen. So erhielten Frauen aus Ostdeutschland, die 35 Versicherungsjahre vorweisen, durchschnittlich 948 Euro. Frauen in Westdeutschland kommen in dieser Gruppe auf 779 Euro. Etwas geringer ist die Differenz, wenn man nur die Frauen berücksichtigt, die als besonders langjährig versichert (45 Versicherungsjahre) gelten: Rentnerinnen mit einer solch langen Erwerbsbiografie aus Ostdeutschland erhalten im Schnitt 1.198 Euro, Frauen aus dem Westen 1.167 Euro. Höhere Bezüge erhalten Frauen aus dem Osten auch bei Erwerbsminderungsrenten und Altersrenten für Schwerbehinderte. Einen Grund für diese Unterschiede sehen die Experten in der hohen Erwerbsbeteiligung und Vollzeitarbeit vieler Frauen in der ehemaligen DDR.

René Springer über Niedriglohn in der Altenpflege

René Springer sagt, 40 Prozent der Altenpfleger in Ostdeutschland arbeiten im Niedriglohnsektor.

Das stimmt. René Springer selbst hatte im Sommer eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und wollte unter anderen wissen, wie hoch die Zahl der Pflege-Beschäftigten ist, die im Niedriglohnsektor arbeiten. Aus der Antwort der Bundesregierung wird ersichtlich, dass in den neuen Bundesländern tatsächlich 40,7 Prozent aller Beschäftigten im Bereich Altenpflege in unteren Lohngruppen tätig sind. Mit 78 Prozent arbeiten hier besonders häufig Altenpfleger-Helfer im Niedriglohnsektor. Für Fachkräfte liegt die Quote bei 19 Prozent. Zum Vergleich: In den alten Bundesländern müssen von allen Beschäftigten in der Altenpflege nur 25,3 Prozent mit einem Niedriglohn auskommen. Für Helfer liegt die Quote im Westen bei rund 53 Prozent, für Fachkräfte bei 10,4 Prozent.

Nachgereicht: Zuschauermeinungen zum Thema der Sendung

Wegen eines technischen Problems konnte Brigitte Büscher in der gestrigen Sendung die Zuschauermeinungen und Beiträge unserer Zuschauer nicht präsentieren. Wie von Frank Plasberg versprochen, möchten wir das an dieser Stelle nachholen. Brigitte Büscher hat hier zusammengefasst, was sie für die Sendung vorbereitet hatte.

Unsere Zuschauerinnen und Zuschauer werfen einen kritischen aber auch selbstkritschen Blick auf das historische Ereignis "30 Jahre Wiedervereinigung“.

Zuschauer Martin Horn hat uns geschrieben, dass er bis zur Wiedervereinigung voll im Leben stand - mit einem Studium und einem qualifizierten Job. Und dann?

Aber es gibt auch Zuschauer, die voller Zuversicht auf ihr Leben im wiedervereinten Deutschland blicken. 

Unser Zuschauer Rudolf Machar hat einen Wunsch zum Einheits-Geburtstag Deutschlands. 

Wie schwierig es aber sein kann, den Schalter im Kopf auf neue "Begriffe“ umzustellen, erzählt Zuschauerin Ute Sauer. Im Gästebuch schreibt sie, dass sie als Westdeutsche einen tollen Urlaub in Brandenburg verbracht hat. Beim Einkauf in einer Bäckerei kam sie mit der Verkäuferin ins Gespräch. 

Heiß diskutiert auf allen Kanälen: Wird zu viel gejammert? Ein kleiner Ost-West-Dialog zwischen zwei Zuschauerinnen: 

Eine Antwort an Ingrid Becker kommt von der Zuschauerin Christine Niemann. Sie sagt: "Erst mal ein 'Hallo' aus dem Osten. Auch mir geht das das Gejammere auf die Nerven." Aber sie versucht zu verstehen:

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Stand: 29.09.2020, 11:12 Uhr