Der Sommer der Entspannung: Kann man das Virus erstmal vergessen?

Der Faktencheck zur Sendung vom 15.06.2020

Bars und Restaurants füllen sich, Schulen und Kitas üben den Normalbetrieb und die ersten Deutschen liegen am Strand von Mallorca: Gibt uns der Sommer coronafrei? Was geht alles, was noch nicht? Und kommt statt der zweiten Viruswelle jetzt die erste Reisewelle?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Wolfgang Kubicki über Fallzahlen in Schleswig-Holstein

Wolfgang Kubicki sagt, in seinem Bundesland Schleswig-Holstein gebe es die niedrigsten Infektionszahlen.

Das stimmt nicht, wenn Wolfgang Kubicki die Gesamtzahl der Infizierten meinte. Richtig läge er, wenn er die Fälle meint, die aktuell noch infiziert sind.

Fälle insgesamt: Laut den aktuellsten Daten des Robert Koch-Instituts wurden Schleswig-Holstein bislang 3.122 Infektionen bestätigt. 151 Menschen starben in Verbindung mit Corona. In Mecklenburg-Vorpommern liegt die Zahl mit 784 bestätigten Infektionen deutlich darunter. Und auch in Sachsen-Anhalt wurden bislang deutlich weniger Menschen mit Covid-19 infiziert (1.771). Die für Epidemiologen wichtige Zahl ist die Verteilung der Infizierten pro 100.000 Einwohner. Auch hier stehen Mecklenburg-Vorpommern (48,7 Fälle auf 100.000 Einwohner) und Sachsen-Anhalt (80,2/100.000) besser da als Schleswig-Holstein, wo auf 100.000 Einwohner 107,8 Infizierte kommen. Zwar gibt es weitere Bundesländer, die in absoluten Zahlen weniger Infektionen melden als Schleswig-Holstein. Allerdings sind die Zahlen der Infizierten pro 100.000 Einwohner schlechter. So gibt es beispielsweise im Saarland zwar insgesamt weniger Infizierte, mit 280 Fällen auf 100.000 Einwohner steht das Saarland allerdings deutlich schlechter da, als Schleswig-Holstein Auch Bremen hat mit 1.593 Fällen weniger Infizierte als Schleswig-Holstein, mit 233 Infektionen pro 100.000 Einwohner aber eine höhere Infektionsdichte als das Bundesland von Wolfgang Kubicki.

Aktuell Infizierte: Bei der Zahl der Menschen, die aktuell noch mit dem Virus infiziert sind, steht - Stand heute - tatsächlich Schleswig-Holstein am besten da. Das Robert Koch-Institut verzeichnet noch 22 aktive Corona-Infektionen im Bundesland unseres Gastes – in absoluten Zahlen so wenig, wie in keinem anderen Bundesland. Einen Infizierten mehr zählt Mecklenburg-Vorpommern. Die meisten noch aktiven Infektionen gibt es in Nordrhein-Westfalen. Hier leiden noch 1.342 Menschen an der Infektion. (Stand: 16.06.2020 0:00 Uhr)

Norbert Fiebig über "Gutscheinlösungen"

Norbert Fiebig sagt, in zwölf europäischen Staaten gebe es eine verpflichtende “Gutscheinlösung“. Hier entscheiden also die Anbieter, ob sie Verbrauchern, deren Reise beispielsweise wegen einer Reisewarnung aufgrund der Corona-Pandemie ausgefallen ist, einen Gutschein anbieten oder das Geld erstatten.

Das ist richtig, allerdings wird darüber gestritten, ob es auch rechtens ist. Darüber, ob Verbraucher für ausgefallene Flüge oder Pauschalreisen vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie Anspruch auf die Rückerstattung des Geldes oder lediglich auf das Recht auf einen Gutschein haben, wurde EU-weit in den vergangenen Wochen immer wieder diskutiert. Tatsächlich hatten zwölf Staaten die EU-Kommission aufgefordert, angeschlagenen Fluggesellschaften und Reiseanbietern die Ausgabe von Gutscheinen zu erlauben. Unter anderem Frankreich, die Niederlande, Belgien und Bulgarien haben inzwischen nationale Regelungen zur „Gutscheinlösung“ erlassen. Auch das “Corona-Kabinett“ der Bundesregierung plante zunächst, Verbraucher dazu zu verpflichten, Gutscheine zu akzeptieren. Verbraucherschützer sprachen von “Gutscheinzwang“. Nachdem die EU-Kommission jedoch auf die Einhaltung von EU-Recht pochte, ruderte die Bundesregierung zurück. EU-Justizkommissar Didier Reynders stellte klar, dass der Verbraucher die Wahl haben muss: “Nach EU-Recht haben Verbraucher die Wahl, ob sie einen Gutschein akzeptieren oder eine Rückerstattung bevorzugen.“ Die Vizepräsidentin der Kommission, Margrethe Vestager, räumte zwar ein, dass Gutscheine dabei helfen könnten, die Not der Airlines und Reiseanbieter zu lindern, sie pocht allerdings auf die Wahlmöglichkeit der Verbraucher und hat die eigenmächtigen Staaten in einem Schreiben aufgefordert, das EU-Recht zu akzeptieren. In Brüssel sprach Vestager von einem „ersten Schritt eines Vertragsverletzungsverfahrens.“

Karl Lauterbach über symptomfreie Infektionen

Karl Lauterbach, sagt 40-45 Prozent der mit Covid-19 infizierten Personen zeigen gar keine Symptome.

Es gibt Studien, die darauf hindeuten. Besonders eine Preprint-Studie aus Italien hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und von Virologen erregt. Gemeinsam mit Kollegen vom Imperial College London hat ein Forscherteam um Enrico Lavezzo aus Padua fast alle Bewohner des kleinen italienischen Städtchens Vo´ getestet, nachdem dort im Februar ein älterer Mann an Corona gestorben war. Die Stadt wurde abgeriegelt und die Forscher testeten nahezu jeden Einwohner ungehindert von äußeren Einflüssen zweimal. In der ersten Testreihe wurden über alle Altersgruppen hinweg 2,6 Prozent positiv auf SARS-Cov-2 getestet, beim zweiten Test waren es 1.2 Prozent. Über 43 Prozent der positiv getesteten Personen zeigten dabei keine Krankheitssymptome. Für den Berliner Virologen Prof. Christian Drosten sind die Ergebnisse eine gute Grundlage. Bei aller wissenschaftlich gebotenen Zurückhaltung und Berücksichtigung von möglichen Testfehlern sei dies eine Zahl, mit der man in Zukunft arbeiten könne, so der Virologe in seinem NDR-podcast “Corona-update“. Ähnliche Beobachtungen gab es in Wuhan, Jordanien und auch Heinsberg. Hier kam im Rahmen der so genannten “Heinsberg-Studie“ des Bonner Virologen Prof. Hendrick Streeck heraus, dass 22 Prozent der Infizierten keinerlei Symptome aufwiesen. Laut Robert-Koch-Institut spielen die Fälle, bei denen Infizierte keine Symptome zeigen, eine große Rolle für das Infektionsgeschehen. Denn am Tag bevor die ersten Symptome auftreten, sei die Infektiosität am höchsten, so das RKI.

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Stand: 16.06.2020, 10:54 Uhr