Corona im Schlachthof – sind uns Mensch und Tiere Wurst?
Der Faktencheck zur Sendung vom 08.06.2020
Hunderte infizierte Arbeiter in deutschen Schlachthöfen: Legt das Virus jetzt offen, was schon lange falsch läuft in der Fleischindustrie? Müssen für Billigpreise Menschen ausgebeutet und Tiere gequält werden? Was muss jetzt der Gesetzgeber tun und was der Verbraucher?
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Robert Habeck und Max Straubinger über Schlachtmengen
Robert Habeck sagt, in Deutschland habe sich eine „Niedrigpreis-Schlachtbranche“ etabliert. Die Schlachtmenge in Deutschland habe sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten verdoppelt. Gleichzeitig sei die Schlachtmenge in Ländern wie Dänemark, den Niederlanden und Frankreich zurück gegangen. "Das stimmt nicht", hält Max Straubinger dagegen. In den vergangenen zehn Jahren seien die Schlachtungen auf gleichem Niveau geblieben, in den vergangenen drei Jahren sogar zurück gegangen. Wer hat Recht?
Dr. Josef Efken hat sich diese Zeiträume ganz genau angeschaut. Efken arbeitet am Thünen-Institut und analysiert die Agrar- und Ernährungswirtschaft. Besonderes Augenmerk richtet er dabei auf den internationalen Fleischmarkt. Für den Zeitraum zwischen 1999 und 2019 ist die Schlachtmenge insgesamt nach Angaben von Dr. Efken um 28 Prozent gestiegen. Zwischen 2009 und 2019 betrug der Anstieg allerdings lediglich drei Prozent – die Schlachtungen blieben also nahezu konstant. Betrachtet man lediglich die vergangenen drei Jahre (2016-2019) sind die Schlachtungen laut Efken um fünf Prozent zurück gegangen. Von einer Verdopplung der Schlachtungen in den letzten zwei Jahrzehnten kann also keine Rede sein. Richtig ist dagegen, dass die Schlachtungen in den vergangenen drei Jahren sogar rückläufig waren.
Dr. Josef Efken verweist allerdings auf Unterschiede bei den Fleischarten. “Die Erzeugung von Rindfleisch ist zurückgegangen, während mehr Schweinefleisch und deutlich mehr Geflügelfleisch erzeugt wurde.“ So hat sich die Produktion von Geflügelfleisch zwischen 1999 und 2019 mehr als verdoppelt. Im gleichen Zeitraum ging die Produktion von Rind- und Kalbfleisch um 18 Prozent zurück, während die von Schweinefleisch um 27 Prozent anstieg. Fast verdoppelt haben sich im Zeitraum zwischen 1999 und 2019 nach Daten des statistischen Bundesamtes die Schlachtungen von Schweinen aus dem Ausland.
Efken schaute sich auch die Entwicklung der Schlachtmengen in Dänemark, den Niederlanden und Frankreich an. Demnach ist die Schlachtmenge in Dänemark zwischen 1999-2019 um elf Prozent zurückgegangen (2009-2019: Rückgang um fünf Prozent). Einen Rückgang verzeichnet laut Efken auch Frankreich: Zwischen 1999 und 2019 um zwölf Prozent (Minus ein Prozent zwischen 2009 und 2019). Gestiegen ist die Zahl der Schlachtungen dagegen in den Niederlanden. Mit 26 Prozent war der Anstieg bei unseren Nachbarn in den vergangenen zehn Jahren (2009 bis 2019) besonders stark.
Hubertus Heil über Sub-Unternehmertum
Hubertus Heil wirft Teilen der Fleischwirtschaft vor, das Recht auf einen Mindestlohn über „Sub-Sub-Unternehmen“ zu umgehen. Er nennt das organisierte Verantwortungslosigkeit, bei dem Beschäftigte um ihren Lohn betrogen werden. Nutzen solche Betriebe hier einfach nur rechtliche Lücken oder sind solche Konstellationen schlicht illegal?
“Subunternehmer ist jeder Unternehmer, der für einen anderen Unternehmer tätig wird, damit dieser seine Leistung am Markt erbringen kann.“ So lautet die Begriffsklärung von Prof. Gregor Thüsing, Rechtswissenschaftler und Direktor des Instituts für Arbeitsrecht an der Uni Bonn. Als Beispiel nennt er einen Generalbauunternehmer, der den Bau eines Hauses verspricht. Einen Teil der Arbeiten erledige er selbst, die Elektroarbeiten aber vergibt er dann an einen Elektroinstallateur. “Ein Sub-Sub-Unternehmer, was kein Rechtsbegriff ist, ist dann einer, der wiederum vom Subunternehmer beauftragt wird, damit dieser den Auftrag ganz oder teilweise erledigt“, so Thüsing. Nicht nur in der Fleischwirtschaft, sondern auch in vielen anderen Branchen würden diese Konstellationen beklagt, so Thüsing. Er stellt aber klar, dass Sub-Unternehmerketten rechtlich zulässig und nicht illegal sind.
Diese Form des Unternehmertums könne aber durchaus zu Nachteilen für die Beschäftigten führen, sagt Thüsing und verweist auf eine anschauliche Schilderung des Sachverständigen Matthias Schulz von der Generalzolldirektion bei einer Anhörung vor dem Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales zum Paketboten-Schutzgesetz. “Subunternehmerketten bis in alle Unendlichkeit, wie wir sie manchmal im Baugewerbe antreffen, haben wir bei den Speditionen so nicht. Aber es gibt natürlich durchaus eine Versubung bis ins zweite und dritte Glied. Spätestens da kann es nicht mehr rentabel sein zu arbeiten, wenn man nach weiterem Subunternehmer noch einen zweiten und dritten anschließt“, berichtet Schulz von seinen Erfahrungen. Darüber hinaus komme es bei solchen Konstrukten immer wieder zu Verstößen gegen den Mindestlohn.
Statt Subunternehmer zu verbieten, sagt Gregor Thüsing, sei der Gesetzgeber bislang einen anderen Weg gegangen und habe spezifisch beim Arbeitnehmerschutz angesetzt. “Er hat eine Haftung des Auftraggebers für die korrekte Lohnzahlung und Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Subunternehmer oder dessen Sub-Sub-Unternehmer geschaffen“, erklärt der Arbeitsrechtler. Dies gelte insbesondere für die Paketbranche (Paketboten-Schutz-Gesetz), mit dem Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten aber auch in der Fleischwirtschaft, sagt Thüsing.
Hubertus Heil über seine Pläne und Fleischpreis
Hubertus Heil will die Bedingungen für Arbeiter in der Fleischwirtschaft verbessern. Werkverträge will er abschaffen. Außerdem will er dafür sorgen, dass die Arbeiter zumindest den Mindestlohn erhalten. Heil ist sich sicher, dass sein Maßnahmenpaket nicht zu steigenden Fleischpreisen führen werden. Hat er Recht?
Das hält auch Dr. Josef Efken für plausibel. Laut Efken machen die Arbeitskosten gerade einmal einen Anteil von 10 Prozent an den Gesamtschlachtkosten bei Schweinen und Rindern aus. Der Anteil der Arbeitskosten an den Gesamtschlachtkosten bei Geflügel liegen laut Efken bei 15 Prozent. “Offensichtlich spielen die Arbeitskosten nur eine untergeordnete Rolle. Eine durch Lohnerhöhungen ja auch nur relativ geringe Anpassung nach oben - gering, bezogen auf die gesamten Arbeitskosten - wird auf den Endverbraucherpreis für Fleisch nur eine sehr geringe Auswirkung haben“, so die Einschätzung von Efken. Viel bedeutsamer für den Fleischpreis seien Änderungen der Schlachttierpreise. “Sobald etwa der Preis für Schlachtschweine steigt, wird es recht bald auch zu Preiserhöhungen im Lebensmitteleinzelhandel kommen“, sagt Efken.
Was ist eine A1-Bescheinigung?
In der gestrigen Sendung fiel mehrmals der Begriff der A1-Bescheinigung. Prof. Gregor Thüsing erklärt, was damit auf sich hat.
“A1-Bescheinigungen gibt es nicht nur in der Fleischwirtschaft. Sie sind durch Europarecht vorgesehen und bescheinigen rechtsverbindlich einem aus dem Ausland entsandten Arbeitnehmer, dass er im Heimatland sozialversichert ist und diese Sozialversicherung auch während seines zeitlich begrenzten Einsatzes im europäischen Ausland weitergilt.“ Die Regel sei Folge des europäischen Sozialversicherungsrechts, erklärt der Arbeitsrechtler: “Wer nur zeitweise im Ausland von seinem Arbeitgeber eingesetzt wird, der soll dafür nicht das Sozialversicherungssystem wechseln müssen und der soll auch nicht in zwei Systeme einzahlen müssen. Denn mit Rentenanwartschaften in Mini-Höhe oder etwa einer Arbeitslosenversicherung für einen ganz anderen Markt könnte er wenig anfangen.“ Dasselbe gilt laut Thüsing auch für deutsche Arbeitnehmer, die von ihrem Arbeitgeber ins Ausland entsandt werden. Auch sie bleiben demnach während der vorübergehenden Arbeit im EU-Ausland weiter in der deutschen Sozialversicherung versichert. “A1-Bescheinigungen sind damit begrenzt auf Arbeitnehmer, die aus dem Ausland kommen und nach vorübergehender Entsendung durch ihren Arbeitgeber wieder in Ihr Heimatland zurückkehren, wo sie dann weiter bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt werden“, sagt Thüsing. Dies greife auch in der Fleischwirtschaft, wenn der regelmäßige Arbeitsort des Arbeitnehmers im Heimatland liegt.
Kastenstände in Europa
Robert Habeck sagt, es gebe Länder in Europa, die das Halten von Schweinen in Kastenständen längst überwunden hätten. So sei diese Form der Haltung beispielsweise in Schweden verboten.
Über die Haltung von Sauen in Kastenständen wird hierzulande schon seit Jahrzehnten gestritten. Seit 1992 ist vorgeschrieben, dass Sauen genügend Platz haben müssen, um aufstehen und ihre Gliedmaßen ungehindert austrecken zu können. Bis heute aber halten sich viele Schweinezüchter nicht an diese Vorgaben. In Deutschland können Schweine bis zu 35 Tage ohne Unterbrechung in einem Kastenstand gehalten werden. So dokumentiert es unter anderem auch der aktuelle Tierschutzbericht der Bundesregierung. Tatsächlich gibt es aber andere europäische Länder, die besser mit ihren Schweinen umgehen. So ist nach Angaben des Bundesinformationsdienstes Landwirtschaft die Fixierung im Kastenstand in Großbritannien gar nicht erlaubt. In anderen Ländern ist der Zeitraum, in denen eine Muttersau im Kastenstand gehalten werden darf, auf wenige Tage begrenzt. In Schweden und Norwegen dürfen Schweine nur während der Fütterung, des Besamungsvorgangs oder für eine tierärztliche Untersuchung im Kastenstand gehalten werden. Martin Ziron, Professor für Landwirtschaftliche Tierhaltung und Nutztierethologie an der Fachhochschule Südwestfalen (FH-SWF) stuft das Tierwohl der Schweine in diesen beiden Ländern als „sehr hoch“ ein. Trotz oftmals langer Fixierung von Sauen im Kastenstand bewertet er den Tierwohlstandard in Deutschland noch als „hoch“. Als “niedrig“ bezeichnet er ihn zum Beispiel in Spanien und Polen. Kaum Bedeutung hat der Tierwohlstandard bei der Schweinzucht demnach in den USA: Das Niveau ist nach Ansicht von Ziron hier „sehr gering“.
Robert Habeck zum MIndestpreis für Fleisch
Robert Habeck spricht sich für einen Mindestpreis für Fleisch aus. Die Politik müsse unter Beachtung der Kosten der Landwirte eine Grenze festlegen, die nicht unterschritten werden darf. Wie realistisch ist sein Vorschlag?
Einen Mindestpreis für Fleisch ist nach Ansicht von Dr. Josef Efken aus mehreren Gründen nicht zielführend. Zum einen setze ein Mindestpreis für Fleisch den Marktmechanismus nicht außer Kraft: “Trotz eines Mindestpreises für Fleisch werden die Einkaufsabteilungen z.B. des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) immer das günstigste Angebot nutzen. Die Anbieter von Fleisch - hier sind die Schlachthöfe und die Fleisch-verarbeitende Industrie gemeint - werden also weiterhin in einem Preiswettbewerb stehen. Sie werden auch bei einem Mindestpreis für Fleisch im Supermarkt nur zum Zuge kommen, wenn sie dem LEH bei entsprechender Qualität das günstigste Angebot machen“, sagt der Experte für den Fleischmarkt. Vom Preiskampf der Hersteller profitiere am Ende eher der Einzelhandel, dem sich hierdurch Chancen auf höhere Gewinnmargen bieten werden als den Erzeugern. Denn am Ende der Vermarktungskette stehe der Einzelhandel, der den günstigsten Anbieter auswählt, so Efken. “Wie bei einem Dominoeffekt setzt sich dieser Preisdruck bis zum Erzeuger fort. Damit werden also die Margen auf den vorhergehenden Stufen bleiben wie sie sind“, sagt Efken. Ist der festgelegte Mindestpreis hoch, werde dann also der Einzelhandel die Marge erhalten, weil ja nur er den Mindestpreis "vorgeschrieben" bekommt. Schließlich müsse er nicht im Wettbewerb mit den anderen Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels in einen Preiswettbewerb einsteigen, weil sie alle diesen Mindestpreis einhalten müssen, erklärt Efken. “Damit wird also keine Wirkung erzielt, die zu besseren Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Fleischbranche oder zu besseren Haltungsbedingungen für die Tiere führt“, ist sich Efken sicher.
Er nennt einen weiteren Grund und beruft sich dabei auf den niederländischen Nobelpreisträger Jan Tinbergen. “Schon er hat nachweisen können, dass es am besten ist, ein Ziel mit genau einer Maßnahme zu erreichen. Wenn ich also die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Fleischindustrie verbessern will, muss auch eine Maßnahme ergriffen werden, die genau dies ändert bzw. verbessert und nicht versucht, etwas über Umwege zu erreichen.“ Nicht zuletzt führten Mindestpreisregelungen auch zu durchaus spürbaren Folgekosten bei den Kontrollbehörden, da die Einhaltung dieser Regelung auch überwacht werden müsse, so Efken.
Stand: 09.06.2020, 12:02 Uhr