Der Schock danach: Wie kommt die Wirtschaft aus der Corona-Starre?

Der Faktencheck zur Sendung vom 11.05.2020

In vielen Fabriken wird wieder gearbeitet, die Geschäfte öffnen – aber die Bürger haben Job-Angst, zögern mit dem Geldausgeben. Braucht die Wirtschaft jetzt Autoprämien und Steuergeschenke? Und wer kommt am Ende für die Milliarden auf, die der Staat in die Corona-Hilfen steckt?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Wie sinnvoll sind Konsumgutscheine?

Grundsätzlich findet Peter Altmaier die Idee eines Konjunkturprogramms richtig. Es müsse dafür gesorgt werden, dass investiert und die Nachfrage gestärkt wird. Ob dies allerdings mit Konsumgutscheinen, wie es die Grünen vorschlagen, gelingt, bezweifelt der Bundeswirtschaftsminister. Wie sinnvoll sind Konsumgutscheine wirklich?

Nach Ansicht von Klaus Wälde sollte vor jeder staatlichen Intervention die Frage nach ihrer Rechtfertigung stehen. Wälde ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mainz und forscht unter anderem auf den Gebieten Makroökonomik und Arbeitsmarkt. “Wenn der Staat Aufgaben erfüllen kann, die in einem freien Wirtschaftsgeschehen nicht erfüllt werden, aber einzelnen Menschen oder der Gesellschaft insgesamt dienen, dann ist staatliches Handeln wünschenswert“, sagt der Wissenschaftler. Ob Konsumgutscheine diese Kriterien erfüllen, hänge auch von ihrer Finanzierung ab. Etwa ob Konsumgutscheine durch den Bundeshaushalt - und nicht etwa durch die Europäische Zentralbank - finanziert werden: “Dann entsprechen Konsumgutscheine einem Steuernachlass. Wenn jeder Haushalt unabhängig von seinem Jahreseinkommen einen Konsumgutschein gleicher Höhe bekommt, dann bewirken diese eine Umverteilung in Richtung einkommensschwacher Haushalte“, erklärt Wälde. Dies sei im Sinne einer Armutsreduktion hilfreich. “Ein solcher Gutschein könnte als ‘einmaliges bedingungsloses Grundeinkommen‘ verstanden werden.“ Wälde zweifelt jedoch daran, ob in Zeiten großer Zukunftsunsicherheit Nachfrage überhaupt stimuliert werden kann. “Konsumenten würden den Gutschein, es sei denn er ist mit einem Verfallsdatum versehen, größtenteils für ‘schlechte Zeiten‘ aufheben“, glaubt der Experte, der sich auch mit der Psychologie ökonomischer Entscheidungen befasst.

Gutscheine dieser Art ermöglichen erhebliche Steuerungsmöglichkeiten, sagt Wälde. “Wenn ein ökologisch-sozialer Umbau gewünscht wird, dann sollte darauf geachtet werden, dass Gutscheine auch Konsum dieser Art unterstützt.“ Konsumgutscheine könnten auch dem Erhalt oder der Wiederbelebung des lokalen Einzelhandels dienen, wenn sie nur dafür verwendet werden können. Damit würden sie eine Aufgabe erfüllen, die “der freie Markt“ so nicht bewerkstelligen könnte, so Wälde. Er sieht in der Corona-Krise ein “verstärktes online-Training für Internethandel“. Möchte man dieser Entwicklung nach der Krise entgegenwirken, könnten seiner Ansicht nach im lokalen Einzelhandel einlösbare Konsumgutscheine mit einem Verfallsdatum ein Weg sein.

Aus einer etwas anderen Sicht betrachtet Prof. Stefan Kooths Konsumgutscheine. Für ihn kommt es derzeit vor allem darauf an, eine größere Insolvenzwelle zu vermeiden, weil nur Unternehmen, die die Krise überstehen, auch die Erholung tragen können. Kooths ist Leiter des Prognosezentrums am Institut für Weltwirtschaft (ifw) in Kiel. Konsumgutscheine seien hierzu nicht das geeignete Mittel, sagt Kooths. Wenn überhaupt, würden sie nur sehr punktuell wirken und keine systematische Stabilisierung der Konjunktur ermöglichen. “Erfahrungen in anderen Ländern - z. B. Japan - haben immer wieder gezeigt, dass die damit erhofften Anschubeffekte verfehlt werden, weil die Konsumenten zwar die Gutscheine einlösen, dafür aber ihre Einkommen an anderer Stelle sparen (Drehtüreffekte), oder es nur zu Strohfeuereffekten kommt“, sagt der Konjunkturchef des ifw. Kooths geht davon aus, dass die privaten Ersparnisse durch den Shutdown deutlich ansteigen. Diese Ersparnisse werden zum größten Teil wieder in den Konsum fließen, sobald es die Verhältnisse zulassen und beispielsweise Gaststätten oder touristische Einrichtungen wieder zugänglich sind, sagt Kooths. “Sollten die Verbraucher den Konsum aus Gründen des Gesundheitsschutzes unterlassen, nützen auch Konsumgutscheine nichts“, sagt der Experte. Wenn Verbraucher aus Angst vor einer Infektion in ihrem Konsumverhalten auch dann noch zurückhaltend bleiben würden, obwohl es hierzu gesundheitspolitisch keinen Anlass mehr gäbe, wäre nach Ansicht des ifw-Forschers die Politik gefragt. Sie müsse aufklären und der dann aus seuchenpolitischen Aspekten nicht mehr gebotenen Vorsicht entgegenwirken.

Für Kooths besteht die wirksamste Stabilisierungspolitik darin, marktfähige Arbeitsplätze über die Krise hinaus zu erhalten. Kleinteilige, sehr spezielle Maßnahmen wie Konsumgutscheine, Kaufprämien oder selektive Mehrwertsteuersatzsenkungen sind seiner Ansicht nach hierfür wenig geeignet, weil sie der Komplexität im Wirtschaftsgefüge nicht gerecht würden. “Zielführender sind Maßnahmen, die selbstdosierend und reaktionsschnell dort einsetzen, wo Corona-bedingte Wertschöpfungsausfälle auftreten. Hierzu zählt das Kurzarbeitergeld, das unabhängig von der konkreten Branche gewährt wird.“ In ähnlicher Weise sollte jetzt auch über betriebliche Zuschüsse nachgedacht werden, damit die Corona-bedingten und oftmals behördlich aus gesundheitspolitischen Gründen verordneten Geschäftsausfälle nicht vollständig zu Lasten des Eigenkapitals der betroffenen Unternehmen gehen, so Kooths. “Nur dann dürften auch die bereits beschlossenen Kreditprogramme sachgerecht abgerufen werden“, sagt der Experte. Staatliche Konjunkturprogramme, die auf Infrastrukturausgaben gerichtet sind oder gar mit industriepolitischen Zielen verknüpft werden, dürften demgegenüber nicht die gewünschte Stabilisierungswirkung entfalten. Sie können nach Auffassung von Kooths auch die Ausfälle im Exportgeschäft nicht kompensieren.

Thomas Meyer über Familienunternehmen

Thomas Meyer sagt, von den 3,3 Millionen Unternehmen in Deutschland, seien drei Millionen Familienunternehmen.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Stiftung Familienunternehmen. Auf Basis von Daten des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zählte die Stiftung im vergangenen Jahr insgesamt rund 3,3 Millionen Unternehmen in Deutschland. Hiervon waren 2,95 Millionen in Familienhand. Die Kriterien, wann ein Unternehmen als Familienunternehmen betrachtet werden kann, liegen dabei nicht in erster Linie auf wirtschaftlichen Kennzahlen. Vielmehr zählen Aspekte wie Einfluss einer oder mehrerer Familien auf das Unternehmen, Unternehmenskultur oder der Wille zur Weitergabe des Unternehmens an die nächste Generation. Insgesamt beschäftigen die Familienunternehmen laut der Untersuchung 17 Millionen Menschen. Das ist mehr als die Hälfte aller rund 33 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland.

Peter Altmaier über die wirtschaftliche Situation Deutschlands

Peter Altmaier sagt, Deutschland sei im Jahr 2009 auch mit dem damals aufgelegten Konjunkturprogramm sehr gut aus der Finanzkrise gekommen. Durch das folgende Wirtschaftswachstum seien Löhne und Steuereinnahmen gestiegen, so dass Deutschland zu Beginn der heutigen Krise gut dastehe. Wie gut ist Deutschland wirtschaftlich tatsächlich gerüstet, um der Krise entgegen treten zu können?

Bei Betrachtung einzelner Kenngrößen, ist Deutschland tatsächlich in der Lage, umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen zu ergreifen, sagt Prof. Klaus Wälde. So sei die Arbeitslosigkeit zwischen 2005 und 2019 auf ihren niedrigsten Stand seit fast 40 Jahren gefallen und die Zahl der Beschäftigten auf ein sehr hohes Niveau gestiegen, so Wälde. Darüber hinaus verfüge Deutschland mit dem Kurzarbeitergeld und mit Arbeitszeitkonten über Instrumente, die auch schon während der Finanzmarktkrise geholfen haben, die Arbeitslosigkeit und Beschäftigung auf stabilen Niveaus zu halten, so der Experte. Auch die Staatsschuld relativ zum Bruttoinlandsprodukt habe 2019 mit unter 60 Prozent ebenfalls auf einem im internationalen Vergleich sehr gutem niedrigen Wert gelegen und das reale Bruttoinlandsprodukt sei im Jahr 2019 gewachsen – wenn auch nicht so schnell wie in den fünf davorliegenden Jahren. All dies stellt Deutschland nach Ansicht des Volkswirts auf eine solide Basis für umfangreiche Hilfen.

Nach Auffassung Wäldes sollten bei den Hilfen aber auch Klima- und Sozialaspekte berücksichtigt werden: “Deutschland ist jedoch auch gekennzeichnet durch einen im internationalen Vergleich sehr hohen CO2 Ausstoß pro Kopf und durch eine hohe Armutsquote. Armut und Arbeitslosigkeit werden durch die sich abzeichnende Wirtschaftskrise zunehmen“, befürchtet Wälde. Berücksichtige man diese Problemfelder, dränge sich ein klima- und sozialorientiertes Entgegentreten auf. So steht der Volkswirtschaftsprofessor dem Vorschlag einer einmaligen Sonderabgabe für hohe Vermögen offen gegenüber. Eine solche Maßnahme “ginge konform mit Lehrbuchwissen zu effizienter optimaler Steuerpolitik“, sagt Wälde.

Für Prof. Stefan Kooths war die Krise im Jahr 2009 in erster Linie eine Exportkrise. Preisbereinigt habe der Einbruch bei 14,3 Prozent gelegen. Im Zuge der weltwirtschaftlichen Erholung sei bereits Ende 2010 schon wieder das Vorkrisenniveau bei den Exporten erreicht worden, sagt Kooths. “Demzufolge war die rasche Überwindung der Krise in Deutschland primär der weltwirtschaftlichen Erholung zu verdanken. Konjunkturprogramme spielten demgegenüber keine bedeutende Rolle, zumal die staatlichen Investitionsausgaben erst zu wirken begannen, als die Krise schon wieder vorbei war“, so das Fazit des Konjunkturexperten. “Wichtig waren allerdings – wie in jeder Krise – die automatischen Stabilisatoren (Rückgang der Steuereinnahmen, Anstieg der Sozialausgaben), die vor allem den privaten Konsum stützen und zeitgleich mit der Krise anspringen, ohne dass es dafür gesonderter Beschlüsse bedarf“, erklärt Kooths. Diese automatischen Stabilisatoren habe man wirken lassen und dadurch verhindert, dass der Einbruch der Exporte massiv auf die Binnenwirtschaft durchschlug. Nach dem Aufholen der krisenbedingten Ausfälle an Wirtschaftsleistung in den Jahren 2011 und 2012 sei die durchschnittliche Zuwachsrate des Bruttoinlandsproduktes in Deutschland nicht höher als vor der großen Rezession gewesen, stellt Kooths klar.

Wie Prof. Wälde verweist auch Kooths auf die allgemein gute Entwicklung einiger Kennzahlen: “Die hierzulande erheblichen fiskalischen Spielräume in der Corona-Krise für großzügige Rettungspakete liegen an der vorangegangenen Konsolidierungspolitik, also der Rückführung der Staatsverschuldung in Relation zur Wirtschaftsleistung in den Jahren seit der Finanzkrise.“ Hierzu habe neben der günstigen Arbeitsmarktentwicklung auch das äußerst günstige Finanzierungsumfeld, das die Zinsen auf die ausstehende Staatsverschuldung sukzessive gesenkt hat, beigetragen. Zudem sei die Staatseinnahmenquote – also die Staatseinnahmen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt - in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen: Von 43,7 Prozent im Jahr 2007 auf 46,8 Prozent im Jahr 2019, so Kooths.

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Stand: 12.05.2020, 09:59 Uhr