Das Virus und wir: Wie erleben Menschen unser Land in der Corona-Krise?

Der Faktencheck zur Sendung vom 04.05.2020

Zu Hause bleiben, kein Konzert, Kino oder Kneipe – das zehrt an den Nerven. Das Land diskutiert zunehmend gereizt, was wichtiger ist: Profifußball? Kitaöffnung? Und was bleibt von unserer Lebensfreude, wenn Restaurants, Theater, Vereine endgültig Opfer des Virus werden?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Wirtschaftliche Bedeutung Kultur - Fußball

Ulrich Matthes sieht einen möglichen Re-start der Fußball-Bundesliga skeptisch. Er kann vor allem nichts mit dem Argument anfangen, die Bundesliga sei ein bedeutenderer Wirtschaftsfaktor als der Kulturbetrieb – dies sei falsch.

Ulrich Matthes

00:17 Min. Verfügbar bis 04.05.2025

Insgesamt betrachtet spielt der Umsatz in der Branche der Kulturwirtschaft tatsächlich eine deutlich größere Rolle als der Profi-Fußball. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums lag der Umsatz in der Kultur- und Kreativwirtschaft im Jahr 2018 bei rund 168 Milliarden Euro. Betrachtet man die Bruttowertschöpfung, so trug die Branche mit 100,5 Milliarden Euro drei Prozent zum gesamten Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Das war mehr als wichtige Branchen wie beispielsweise Chemie oder Energieversorger, so das Ministerium. Die 36 Vereine im deutschen Profi-Fußball erzielten dagegen in der Saison 2017/18 nach Angaben der Deutschen Fußball Liga (DFL) einen Gesamtumsatz von rund 4,4 Milliarden Euro. Mit 3,81 Milliarden Euro setzten die Clubs der ersten Bundesliga den Löwenanteil um.

Was die Größenordnung insgesamt betrifft, hat Ulrich Matthes also Recht. Allerdings darf die Aussagekraft dieses Vergleichs hinterfragt werden. Während der Umsatz im Profi-Fußball für die Saison 17/18 von gerade einmal 36 Vereinen erwirtschaftet wurde, tragen in der Kulturbranche über 256.000 Unternehmen zum Gesamtumsatz bei. Hierzu zählen Betriebe wie Theater, Museen, Konzertveranstalter, Betreiber von Kleinkunstbühnen sowie zahlreiche Solokünstler. Insgesamt waren 2018 fast 1,7 Millionen Menschen in der Kultur- und Kreativbranche beschäftigt. Zum Vergleich: Die Zahl der Arbeitsplätze im Profifußball lag in der Saison 2017/18 bei rund 55.100.

Lockerungen im Einzelhandel - schon zwei Wochen rum?

14 Tage – dieser Zeitraum ist für Virologen und Politiker gleichermaßen wichtig. Zwei Wochen, in denen Virologen Erkenntnisse über die Entwicklung des Infektionsgeschehens nach Lockerungen von Corona-Maßnahmen gewinnen können. Diese Erkenntnisse wiederum sind Grundlage für die Politik, über weitere Lockerungen oder gegebenenfalls auch erneute Beschränkungen zu entscheiden. Unklarheit herrschte aber zwischen Frank Plasberg und Melanie Brinkmann darüber, ob seit Öffnung der Läden schon 14 Tage vergangen sind.

Melanie Brinkmann

00:21 Min. Verfügbar bis 04.05.2025

Wie in so vielen anderen Bereichen auch, handhabten die Bundesländer die Lockerungen auch im Einzelhandel sehr unterschiedlich. Tatsächlich aber lockerten die meisten Bundesländer die Auflagen für den Handel bereits vor zwei Wochen. Grundsätzlich hatten Bund und Länder sich zunächst darauf geeinigt, dass alle Geschäfte mit einer Fläche von bis zu 800 Quadratmetern ab dem 20.04.20 wieder öffnen dürfen. Jedoch setzten die Bundesländer diesen Beschluss sowohl für den Zeitpunkt der Wiedereröffnung als auch für die Interpretation der Verkaufsfläche unterschiedlich um. In den weitaus meisten Bundesländern durften die Geschäfte – bei Einhaltung strenger Hygiene- und Abstandsregeln - bereits am 20.04.20 wieder öffnen. Berlin und Brandenburg öffneten die Läden zwei Tage später. Lediglich in Bayern mussten sich die Menschen eine Woche länger gedulden – hier öffneten die Geschäfte erst am 27.04.20.

Die Begrenzung auf maximal 800 Quadratmeter Verkaufsfläche sorgte von Beginn an für Diskussionen. Während es Geschäften, die größer als 800 Quadratmeter sind, in einigen Bundesländern erlaubt war, die Verkaufsfläche auf 800 Quadratmeter zu reduzieren (z.Bsp. in Rheinland-Pfalz, Niedersachen und dem Saarland), durften in anderen Bundesländern größere Geschäfte erst gar nicht öffnen – so etwa in NRW. Inzwischen gibt es die unterschiedlichsten Gerichtsurteile zur Flächenbegrenzung, die bei Verbrauchern hier und da für Verwirrung sorgen. So scheiterte Galeria Karstadt Kaufhof in NRW vor dem Oberverwaltungsgericht Münster mit dem Versuch, die Flächenbegrenzung aufzuheben. In Berlin dagegen hatte der Warenkonzern Erfolg: Hier dürfen die Filialen wieder auf ganzer Fläche öffnen. In Baden-Württemberg kippte ein Gericht die Begrenzung, während Hamburger Richter sie für angemessen halten. Was bundesweit erst seit einer Woche flächendeckend gilt, ist die Maskenpflicht. Seit dem 27.04.20 muss in allen Bundesländern beim Einkaufen und bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ein Mund-Nasenschutz getragen werden.

Aussagekraft der ersten Corona-Tests in der Bundesliga

Von 1.724 getesteten Fußballern und Betreuern der 1. Und 2. Fußball-Bundesliga wurden zehn Personen positiv auf das Covid-19-Virus getestet. Diese Zahlen haben nach Ansicht von Melanie Brinkmann allerdings wenig Aussagekraft.

Alexander Herrmann

04:44 Min. Verfügbar bis 04.05.2025

Die Aussagekraft der ersten Testergebnisse aus der Bundesliga ist auch nach Ansicht des Epidemiologen Prof. Wolfgang Ahrens sehr begrenzt. Ahrens forscht am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. Die Zahl der positiven Tests sei für eine fundierte statistische Bewertung der Verteilung der Fälle noch viel zu gering, so Ahrens. Insbesondere reichten die Informationen der DFL über die geografische Verteilung der positiven Tests nicht aus, um eine Risikobewertung oder gar Prognosen zu einem potenziellen, künftigen Infektionsgeschehen innerhalb des Fußballbetriebs anstellen zu können. Hierfür wären – bei Einhaltung aller Datenschutzregeln - zumindest Informationen über die Corona-Situationen in den Wohnregionen und den Vereinen der Betroffenen hilfreich, so Ahrens. Solange die DFL solche Informationen nicht berücksichtigt, mache eine Bewertung der Testergebnisse wenig Sinn, so der Epidemiologe. Laut Ahrens wäre nun eine kontinuierliche Beobachtung der auftretenden Fälle nach Verein wichtig, um eventuelle Cluster frühzeitig zu erkennen und dort die Infektionsketten zu unterbrechen. Darüber hinaus erinnert der Experte daran, dass Tests in Einzelfällen falsch negativ sein können und dann eine trügerische Sicherheit vermitteln können.

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Stand: 05.05.2020, 10:22 Uhr